Teddys, Schmetterlinge und Psychoanalyse

Precious Okoyomon im Kunsthaus Bregenz, 2025 (Bild: Miro Kuzmanovic)

Precious Okoyomon ist spätestens seit der zweimaligen Teilnahme an der Biennale Venedig an der Spitze der Kunstwelt angekommen – und nun auch im Kunsthaus Bregenz zu sehen. Die Ausstellung ist sehr persönlich und wartet mit grossformatigen Installationen auf.

Die ei­nen ha­ben ei­nen Ted­dy. Die an­de­ren ei­nen Ha­sen oder ei­nen Fuchs, ei­nen Hump­ty Dump­ty, ein Ein­horn. Fast al­le Kin­der ha­ben ein Plüsch­tier oder zwei oder vie­le. Ent­we­der mög­lichst na­tu­ra­lis­tisch oder in Ro­sa mit Kul­ler­au­gen und Glit­zer­hu­fen. Pre­cious Oko­yo­mon hat­te vie­le Plüsch­tie­re. Sehr vie­le. So vie­le, dass sie bis heu­te aus­rei­chend künst­le­ri­schen Roh­stoff lie­fern. Und dies nicht nur in ma­te­ri­el­lem Sin­ne, son­dern auch in­halt­lich, wie die ak­tu­el­le Aus­stel­lung im Kunst­haus Bre­genz zeigt.

Plüsch­tie­re sind ein gu­ter Stoff: Sie sind Ge­gen­stand psy­cho­ana­ly­ti­scher Be­trach­tun­gen, mit ih­nen wer­den die al­ler­ers­ten Bin­dun­gen in­ter­pre­tiert, die Tren­nungs­angst und der Trost. Das hat die so­ge­nann­ten Über­gangs­ob­jek­te auch in der Kunst im­mer wie­der zu ei­nem aus­drucks­star­ken Ma­te­ri­al ge­macht. Von Urs Fi­scher über Mi­ke Kel­ley bis An­net­te Mes­sa­ger gab es die Plüsch­tie­re in rie­sen­gross, in schä­big, auf­ge­hängt und zu gros­sen Knäu­eln zu­sam­men­ge­näht. Aus­ge­dient ha­ben sie da­mit noch lan­ge nicht, auch nicht in der Kunst.

Plüsch­tie­re als Spei­cher

Pre­cious Oko­yo­mon ar­bei­tet mit den ei­ge­nen Plüsch­tie­ren und das ist ein Be­frei­ungs­akt: «Als Kind war ich ge­ra­de­zu von mei­nen Plüsch­tie­ren ab­hän­gig. Ich nahm sie über­all­hin mit. Sie ha­ben mich vor der Rea­li­tät mei­ner Kind­heit be­schützt. Ich ha­be dar­über nach­ge­dacht, wie Er­in­ne­run­gen ge­spei­chert, fest­ge­hal­ten, ab­ge­ru­fen und er­schaf­fen wer­den. Stoff­tie­re sind Ob­jek­te, die kol­lek­ti­ve und per­sön­li­che Er­in­ne­run­gen spei­chern.»

Aber die­ser Er­in­ne­rungs­spei­cher kann auch zum Bal­last wer­den. Und dann? Pre­cious Oko­yo­mon hat die Plüsch­tie­re aus­ein­an­der­ge­nom­men, neu zu­sam­men­ge­näht, ih­nen Vo­gel­flü­gel an­ge­fügt und die­sen Chi­mä­ren ei­nen ro­bus­ten Strick um den Hals ge­legt. Stran­gu­liert bau­meln sie nun von der De­cke des Kunst­hau­ses Bre­genz und schi­cken trot­zig ihr Plüsch­tier­grin­sen in den Aus­stel­lungs­saal: So schnell ge­ben die Geis­ter der Ver­gan­gen­heit nicht auf. 

(Bild: Markus Tretter)

Viel­leicht hilft die Psy­cho­ana­ly­se. Oko­yo­mon be­sucht zwei­mal wö­chent­lich psy­cho­ana­ly­ti­sche Sit­zun­gen. Auch die­ses In­stru­ment, der ei­ge­nen Bio­gra­fie auf die Spur zu kom­men, fliesst in die Aus­stel­lung ein: Oko­yo­mon plat­ziert im Erd­ge­schoss des Kunst­hau­ses Bre­genz zwei Bo­xen. Bei­de sind mit ei­ner Chai­se­longue und ein­schlä­gi­ger Fach­li­te­ra­tur aus­ge­stat­tet. In der ei­nen war­ten ei­gens ge­schul­te Per­so­nen dar­auf, mit den Aus­stel­lungs­gäs­ten in ei­nen Dia­log zu tre­ten, in der an­de­ren lie­gen Fra­ge­bö­gen aus: «Wis­sen Sie, wie das Wet­ter am Mor­gen oder am Nach­mit­tag Ih­rer Ge­burt war?», lau­tet ei­ne der Fra­gen, «Ha­ben Sie schon mal ein Haus be­setzt?», ei­ne an­de­re. Oder: «Sind Sie ein dia­spo­ri­scher Cy­borg?» Mal sind die Fra­gen rät­sel­haft, mal ge­rad­li­nig, im­mer zie­len sie ins Ich der Be­frag­ten. Die Ant­wor­ten wer­den ge­sam­melt und flies­sen in Oko­yo­mons Ar­beit ein.

Schwar­ze Schmet­ter­lin­ge im Kunst­gar­ten

Soll­te so viel Mit­ar­beit zu an­stren­gend wer­den, bie­tet sich im zwei­ten Ober­ge­schoss ein rie­si­ger Ted­dy für ei­ne Ku­schel­pau­se an. Er liegt auf ei­nem ro­sa­far­be­nen Tep­pich, fletscht klei­ne Reiss­zäh­ne und ist an­sons­ten von harm­lo­ser Nied­lich­keit. Ob sich da­mit die be­haup­te­te in­ti­me At­mo­sphä­re ein­stellt, muss da­hin­ge­stellt blei­ben. Da­für braucht es in der kla­ren Ar­chi­tek­tur Pe­ter Zum­thors im Kunst­haus Bre­genz ver­mut­lich mehr als nur ein ro­sa­far­be­nes Tep­pich­qua­drat und et­was aus­ge­pols­ter­tes Kunst­fell.

(Bild: Markus Tretter)

Im obers­ten Stock­werk knüpft Pre­cious Oko­yo­mon an die Ar­beit im Ar­se­nal Ve­ne­dig an: In Zu­sam­men­ar­beit mit der Blu­men­in­sel Main­au wur­de ein Gar­ten ein­ge­rich­tet, in dem sich Rau­pen ver­pup­pen und Schmet­ter­lin­ge schlüp­fen – aus­schliess­lich schwar­ze Ar­ten. Die­se Sze­ne­rie in ei­nem Aus­stel­lungs­haus hat das Po­ten­ti­al, ei­ne ma­gi­sche Stim­mung zu ent­fal­ten, wä­re da nicht hin­ter ei­nem Netz­vor­hang die Vi­deo­pro­jek­ti­on: Oko­yo­mon sitzt am Steu­er ei­nes Klein­flug­zeu­ges bei ei­nem Rund­flug über den Hud­son Ri­ver.

Pa­ra­do­xer­wei­se er­det der Flug den be­nach­bar­ten Gar­ten, denn er wirkt recht prag­ma­tisch. Und er ist eben­falls eng mit Oko­yo­mons Bio­gra­fie ver­knüpft: Mit dem Flug­schein stemm­te sie sich als schwar­ze que­e­re Per­son ge­gen gän­gi­ge Rol­len- und Ras­sen­kli­schees. Im Vi­deo sind aus­ser­dem Oko­yo­mons Tex­te zu hö­ren – hier wird die Aus­stel­lung dann doch in­tim und poe­tisch.

 

Pre­cious Oko­yo­mon – «One eit­her loves on­es­elf or knows on­es­elf»: bis 25. Mai, Kunst­haus Bre­genz.

kunst­haus-bre­genz.at