Man sieht noch nichts, nur Schwarz. Funkgeräte rauschen und knacken. Aus dem Off tönt eine Stimme: «Muesch no chli füre, Mum.» Weitere Funksprüche folgen, dann scheint man bereit: «Okay, machend mers.» Es wird hell und vor dem strahlendblauen Himmel bewegen sich rote Baggerschaufeln. Synchron drehen sie sich, es scheint, als würden sie tanzen. Überraschend geschmeidig sind sie, fast wie Vögel beim Paarungstanz.
Das sogenannte «Bagger Ballett» wird für eine Aufführung am Betriebsfest eines Baggerunternehmens geübt. Die Familie, der das Unternehmen gehört, kommt mit den klobigen Maschinen gut zurecht – miteinander eher weniger.
Als Tochter Nadine bei einem Kanuunfall ums Leben kommt, bricht die fragile Ordnung endgültig zusammen. Die Familie erstarrt in individueller Bewältigung. Der Vater flüchtet in eine Affäre mit der Chorleiterin, die Mutter in die Suche nach einem Schuldigen und der Bruder will für ein Studium nach Übersee.
Nur beim Bagger Ballett findet die Familie zusammen. Da hört man sich zu, achtet aufeinander. Doch kaum aus der Baggerkabine raus, herrscht Stille. Sie ist die eigentliche Tragödie in Piet Baumgartners mehrfach ausgezeichnetem Spielfilmdebüt Bagger Drama.
Der Klotz muss weg
An der Stelle, wo ein stahldurchdrungener Betonklotz aus dem Fluss ragt, ist Nadine beim Kanufahren ums Leben gekommen. Mit dem Kopf schlug sie darauf und war auf der Stelle tot. Zurück bleiben Vater Paul (Phil Hayes), Mutter Conny (Bettina Stucky) und Bruder Daniel (Vincent Furrer), Nadines Hund Tigerli und eben dieser Betonklotz, zu dem die Familie jedes Jahr an Nadines Todestag zurückkehrt.
Im Lauf der Geschichte rafft sich die zerrüttete Familie auf und rückt dem Betonklotz mit vereinten Kräften – und einem Bagger – zu Leibe. Eine fast absurde Szene, halb Heilungsversuch, halb archaisches Ritual. Doch der erhoffte Befreiungsschlag bleibt aus. Der Klotz aus Beton ist jetzt zwar weg. Aber mit dem Appenzeller Bläss Tigerli, der mit seinem Kläffen unablässig deutlich macht, was fehlt, bleibt der Familie ein Klotz am Bein.
Wo der Mensch still ist
Nicht nur Tigerlis Bellen verweist auf das, was die Familie nicht aussprechen kann. Baumgartner setzt technische Geräte dort als Stellvertreter ein, wo Menschen nicht im Stande sind, sich mitzuteilen. So durchbricht einzig das Pfeifen des Baggers im Rückwärtsgang die Stille, als Vater Paul nach dem Betriebsfest wortlos die Festbänke aufräumt.
Und statt dass sich die Menschen aufeinander zubewegen, ist vor allem die Technik in Bewegung: Bagger, die synchron ihre Schaufeln drehen, motorisierte Krankenhausbetten oder fahrende Staubsaugerroboter.
Auch visuell herrscht Distanz: Die Kamera sucht selten den direkten Blick. Stattdessen beobachtet man durch Windschutzscheiben, Türrahmen und Fenster. Nähe wird stets durch etwas getrennt. Figuren wie Publikum werden auf Distanz gehalten und finden nicht zueinander.
Bagger Ballett
Wie ein melancholisches Leitmotiv zieht sich Heaven von Gotthard durch den Film – mal als musikalische Überlagerung, mal von Paul leise ins Handy gesungen. «Let me find my peace of heaven, let me find my way back home», singt Gotthard-Sänger Steve Lee. Und man fragt sich: Findet diese Familie überhaupt zurück – und wenn ja, wohin?
Regisseur Piet Baumgartner liefert keine einfachen Antworten. Der Film wirkt in seiner Inszenierung stellenweise fast dokumentarisch. Die Figuren haben Ecken, Kanten, blinde Flecken. Man hadert mit ihnen, versteht ihre Entscheidungen nicht immer, kann sie aber doch nachvollziehen.
Bagger Drama bleibt seiner Sprachlosigkeit treu, verweigert Auflösung wie Erlösung. Vergeblich hofft man auf einen Moment der Befreiung – und es scheint einfacher, mit Baggern Ballett zu tanzen als diese Stille aufzubrechen.
Bagger Drama: 29. April, 20 Uhr, Kinok St.Gallen, St.Galler Premiere mit Regisseur Piet Baumgartner und Schauspieler Phil Hayes. Weitere Vorstellungen im Mai.