SVP-Wahlkampf im Paul-Grüninger-Stadion

Die Ständeratskandidatin der SVP, Esther Friedli, tritt am Heimspiel des SC Brühl im Paul-Grüninger-Stadion an der Seite des Hauptsponsors auf und spendiert Bier für die Matchbesucher:innen. Wieso bietet ihr der Verein diese Plattform? Und sowieso: Was ist los beim SCB? 

Von  Matthias Fässler
Der SC Brühl hat eine neue Rechtsaussen: Esther Friedli und SCB-Hauptsponsor Ralf Klingler bei der «rein privaten» Bier- und Wurstverteileten. (Bild: Andrin Monstein)

Esther Friedli ist gerne unter Leuten, beim Volk. Oder zumindest dem, was sie dafür hält. Kaum eine Gelegenheit lässt sie aus, um zu betonen wie bodenständig, wie nahe bei den Bürgern (sic!) sie sei. Im grossen «Tagblatt»-Interview sagte sie jüngst: «Es ist mir wichtig, die Bevölkerung und deren Anliegen zu spüren.» Die PR-Beraterin aus dem Toggenburg weiss um die Wirkmächtigkeit solcher Erzählungen.

Direkt bei den Leuten wollte sie auch am vergangenen Samstag sein, am Heimspiel des SC Brühl gegen die zweite Mannschaft des FC St.Gallen. Stadtmatch also, volles Haus, drei Wochen vor dem zweiten Wahlgang gegen die SP-Kandidatin Barbara Gysi. Eine willkommene Gelegenheit, um dort noch etwas auf Stimmenfang zu gehen, wo sie grundsätzlich wenig Sympathisant:innen hat und ihr teils auch ein rauer Wind entgegenweht: in der Stadt. Dort, wo, wenn nicht gerade Fussball gespielt oder Olma gefeiert wird, für gewöhnlich der «Gender-Woke-Wahnsinn» tobt. Dort, wo die Gleichstellungsbüros stehen, die sie als SVP-Programmchefin gerne alle abschaffen würde. Und wo liessen sich besser noch ein paar unentschlossene Nichtwähler:innen erwischen als beim Fussball? Klingt ja auch gut bei dieser Friedli: Freiheit, Sicherheit, Unabhängigkeit. Darauf ein Bier und eine Wurst.

Friedli im Fussballstadion, das klingt natürlich auch wie das übliche Showlaufen von Politiker:innen im Wahlkampf. Brisant nur: Esther Friedli zapfte Bier an den offiziellen Verkaufsständen des SC Brühl – auf Einladung des Brühl-Hauptsponsors Ralf Klingler, der an diesem Heimspiel die Würste und das Bier offerierte. Friedli, die Hardlinerin von Rechtsaussen, als freundliches Aushängeschild des SC Brühl. Wie passt das zusammen?

Esther Friedli welcome

Nachfrage bei Felix Mätzler, dem Medienverantwortlichen des SC Brühl: Hatte der Verein Kenntnis von der Aktion und wie beurteilt er diese? Es hätten nicht alle Vorstandsmitglieder von der Aktion gewusst, sagt Mätzler. Und natürlich müsse man so kurz vor der Wahl davon ausgehen, dass es Wahlwerbung sei. Denn einen Bezug zum Verein habe Esther Friedli nicht. Sie sei auf Einladung des Hauptsponsors, Ralf Klingler, erschienen. Er betont aber: «Der SC Brühl als Organisation hat sich kein Urteil zum Auftritt von Esther Friedli gebildet.»

Die Antworten legen die Vermutung nahe: Hier handelte ein einflussreicher und selbstbewusster Sponsor in Eigenregie ohne Absprache mit dem ganzen Vorstand oder anderen Mitgliedern des Vereins.

Der Auftritt Friedlis ist doch ziemlich erstaunlich bei einem Verein wie dem SC Brühl, der sein Stadion 2006 nach dem Flüchtlingsretter Paul Grüninger benannt hat – damals gegen den Widerstand des St.Galler Stadtrates. Einem Verein, der im Sommer 2015 Flüchtlinge zu einem Heimspiel einlud und dazu schrieb: «Auch wenn man das heute im friedlichen Vereinsalltag kaum spürt, viele Spieler stammen auch aus Familien, die Schreckliches erlebt haben und in ihrer Heimat einst vor dem Krieg flüchten mussten. Daher lassen uns Ereignisse wie Kriege, Naturkatstrophen oder das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer nicht unberührt.»

Einem Verein, der seine Spieler einlud, den Spielfilm über Paul Grüninger zu schauen. Der einen somalischen Abend veranstaltete und betonte, der Slogan «Refugees Welcome» sei im Verein gelebte Realität. Organisiert hatte den Abend unter anderem Christoph Keller, der 2017 verstorbene Juniorentrainer, der sich für Sans-Papiers einsetzte.

Und einem Verein, der immer wieder betont, wie stolz er auf seine Integrationsbemühungen ist.

Im aktuellen Parteiprogramm der SVP fordert die Partei, dass Behörden die Daten von Sans-Papiers automatisch an Migrationsbehörden weiterleiten, was insbesondere Kinder und Jugendliche betreffen würde. Dazu fordert die Partei bereits jetzt die Einschränkung des Schutzstatus S für Flüchtlinge aus der Ukraine, wo der Krieg noch immer andauert.

Lassen sich also eine humanistische Tradition, auf die sich der Verein selber bezieht, die eigenen Integrationsbemühungen und der Bezug zum Flüchtlingsretter Paul Grüninger mit der Wahlwerbung für die SVP-Kandidatin vereinbaren? «Nein», sagt Medienchef Felix Mätzler. «Der SC Brühl als Organisation verbindet keine Werte oder inhaltliche Positionen mit Frau Friedli.»

Der «Büezer» Klingler

Die Antwort bietet Einblick in einen widersprüchlichen Verein voller unterschiedlicher Interessen und offenen Unstimmigkeiten. Es zeigt sich: Nicht allen liegt die Geschichte des Vereins und die soziale Verantwortung gleichermassen am Herzen. Es gibt auch jene, bei denen anderes im Vordergrund steht: Vernetzung, Zigarren, Männerfreundschaften, denen es am Rande um Fussball geht, denen das Erbe von Paul Grüninger weniger wichtig scheint.

Der Medienverantwortliche Felix Mätzler schreibt: Er persönlich würde lieber Franziska Ryser wählen und verbinde Friedli mit einer «rückwärtsgerichteten und rechtsbürgerlichen Politik».

Und da ist auch Ralf Klingler, langjähriger SCB-Sponsor und Freund des Präsidenten Christoph Zoller. Klingler ist Teil eines Netzwerkes aus Immobilienunternehmern, die den Verein seit Jahren prägen und zu denen jüngst auch der ehemalige Präsident des FC Wil, Roger Bigger, dazugestossen ist. Klingler entstammt einer lokalen Textildynastie und tritt nur selten öffentlich in Erscheinung. 2011 beteiligte er sich gemäss NZZ mit mehr als zwei Millionen Franken an der Übernahme der «Basler Zeitung» durch den rechten Tessiner Millionär und Financier Tito Tettamanti, der später die «Weltwoche» an Roger Köppel verkaufte. Ein Jahr zuvor weibelte Klingler gemeinsam mit dem SVP-Banker Thomas Matter gegen die Steuergerechtigkeits-Initiative der SP.

«Die Zusammenarbeit geht weiter, die VTAG bleibt Hauptsponsor bis 2025», vermeldete der SC Brühl letztes Jahr: VTAG-Inhaber Ralf Klingler und SCB-Präsident Christoph Zoller. (Bild: pd)

Klinglers Firma, die VTAG Verwaltungs- und Treuhand AG, gehört zu den Grossaktionären der FC St.Gallen AG (nicht allerdings der FC St.Gallen Event AG, die mit knapp 50 Prozent an der FC St.Gallen AG beteiligt ist). Daneben unterstützt er den SC Brühl mit einem «namhaften Betrag», wie Felix Mätzler auf Anfrage schreibt. Ohne Sponsoren wie Klingler könne der SC Brühl nicht in dieser Liga mitspielen.

Klingler, der Spendable. In einem «Tagblatt»-Interview von 2011 sagte er über Mieter:innen in seinen Liegenschaften: «Wenn ich ihnen zu Weihnachten die Nebenkosten erlasse, kommt das gut an.» Aber auch Klingler, der Büezer: 2019 beteiligte er sich am «Büetzer-Klub», einem Netzwerk zur Unterstützung der Musiker Gölä und Trauffer. Auf deren Website heisst es: «Die Büetzer Buebe und ihr Netzwerk wollen, dass alle Büetzer stolz sind auf das, was sie tun.»

Auch Ralf Klingler, der es mit Immobilien zu einigem Vermögen gebracht hat, ist gerne unter den Leuten. Und packte am vergangenen Samstag in gewohnt inszenierter Hemdsärmeligkeit auch gleich am Grill mit an, dann aber doch standesgemäss mit dicker Zigarre im Mund.

Klingler hatte bereits am Heimspiel wenig Verständnis «für d’lüüt» oder zumindest für jene Matchbesucher:innen, die ihrem Ärger über den Auftritt von Friedli Luft verschaffen und Klingler und Friedli am Match konfrontieren. Er  reagierte zuerst aufbrausend und beleidigt und danach auf die Frage wieso Friedli ausgerechnet in der Wahlkampfphase Bier ausschenke, plötzlich wortkarg.

Auch für die schriftliche Nachfrage von Saiten hatte Klingler wenig Verständnis. Er schreibt: «Ich wollte allen Besuchern und dem Verein eine Freude mache, stattdessen werde ich kritisiert, was für mich eine komische Art der Dankbarkeit und Freude ist.»

Die meisten Fragen von Saiten liess Klingler indes unbeantwortet, jene nach dem Bezug Friedlis zum Verein, wie wichtig ihm der Bezug des Vereins zu Grüninger sei oder ob er die Wahl Friedlis unterstütze. Er betonte, dass es sich bei Wurst und Bier um eine «rein private Aktion» gehandelt habe, bei welcher ihn Esther Friedli unterstützt habe. Auch sie «ausschliesslich als Privatperson».

Die SVP unter Druck?

Friedli, die beim gemütlichen Grillen und Bierzapfen anpackt: Das Bild passt zur Büezer-Erzählung, die die SVP –  die Partei der Grosskonzerne und des Finanzkapitals – immer wieder zu propagieren versucht. Umso bedenklicher ist es, dass sich der SC Brühl, ob gewollt oder ungewollt, an dieser Inszenierung beteiligte.

Auch Paul Rechsteiner, der sich für die Rehabilitierung Grüningers und für die Umbenennung des Stadions eingesetzt hat, ist erstaunt über den Auftritt Friedlis. Er findet klare Worte: «Das ist ein Missbrauch der ideellen Ausrichtung von Paul Grüninger. Esther Friedli steht für das Gegenteil dessen, wofür Grüninger einstand.»

Der Auftritt liesse sich immerhin so positiv interpretieren: Friedli und die SVP spüren, dass die Wahl eng werden könnte und buhlen um die städtischen Stimmen. Wenn man schon keine Politik «für d’lüt» macht, muss man wenigstens so tun, als wäre man bei ihnen und ihnen ein Bier spendieren.