«Survival of the Hoselotteri»
«Wahrhalsig» heisst Simon Enzlers neues Programm. Und immer wieder bleibt einem die eine oder andere Wahrheit im Hals stecken, wenn der Innerrhoder Kabarettist den Finger auf gesellschaftlich wunde Punkte legt, sie freilegt und genüsslich Salz (oder noch lieber Aromat) hinein streut.
Das macht er wie gewohnt mit einer Doppelbödigkeit, die sich nicht allen beim ersten Zuhören erschliesst. So können am Ende auch jene zufrieden nach Hause gehen, die sich vor allem daran freuen, dass Enzler wieder in den wüstesten Tönen über die Schwaben, die Zürcher, die Thurgauer, die Österreicher, die Ausserrhödler, die Schüga-Trinker oder «kroatische Schleimzipfel» (Fische im Balkan, die nicht an die Angel wollen) herzieht, und dass endlich wieder einmal einer sagt, was andere sich nicht trauen.
Dabei geht es Enzler selbstredend nicht um simples Nachbarschafts- oder Zeitgeist-Bashing. Auch wenn er sich über die fantasielose Verwendung von Emojis oder über Fruktarier-, Flexitarier- und andere Ernährungs-Hyperventilisten, die sich gerne mal eine Laktoseintoleranz herbeiwünschen, lustig macht: Das ist nicht bloss despektierliche Schnöselei eines (etwas) älter werdenden Appenzellergrinds über eine zunehmend globalisierte Welt und den vermeintlichen Wertezerfall, womit der Überforderte nicht mehr umzugehen vermag – auch wenn man Enzlers Bühnenfigur da und dort allzu gerne beipflichten möchte.
Das humanitäre Potential einer Handgranate
Das ist keine Rückbesinnung auf Althergebrachtes und Tradition, welche der gesellschaftlichen Scheuklappen-Fraktion vermeintlich Halt und Stärke verleiht. Viele Leute mögen sich in ihrer moralischen Orientierungslosigkeit an festgefahrene Identitäten klammern. Das ist nicht Enzlers Haltung. Er bricht ein solches Weltbild dort auf, wo er erklärt, warum eben die Angsthasen dieser Welt und nicht die Mutigen und Vorprescher (Jäger/Sammler oder Unternehmer) überleben: «Survival of the Hoselotteri.» Schwimmen hat der Mensch nur gelernt, weil er beobachtet hat, wie einige es nicht konnten.
Wenn der Pfarrer dem kleinen Bühnen-Simon erklärt, wie man in den Himmel kommt, wird klar, dass Wahrheit meist nicht das ist, was wahr ist, sondern was überzeugend behauptet und darum geglaubt wird. Und wenn selbst die geglaubte Wahrheit einmal schmerzen sollte, dann kann man immer noch den Kopf in den Sand stecken, Most trinken und ganz einfach den Perseidenregen am Augusthimmel geniessen.
In diesem Spannungsfeld bewegt sich der Abend mit Simon Enzler: zwischen bitterbösen Zoten über kleinbürgerliche Campingerlebnisse und verquer-philosophischen Betrachtungen über das humanitäre Potential von Schweizer Handgranaten, die in den arabischen Raum exportiert werden.
Doch gerne «Zwischenmensch»
Das Programm mäandert angenehm zwischen Oberflächen-Kabarett und Gesellschaftssatire. Tempo und Verschnaufpausen halten sich die Waage. Und erstmals stehen die einzelnen Nummern nicht mehr für sich alleine, sondern finden in der Figur des ehemaligen kantonalen Sozialarbeiters, der nach einem frustrierenden Abstecher in die Privatwirtschaft in die Amtsstube zurückkehrt und darum gern wieder «Zwischenmensch» wird, einen roten Faden durch das Programm.
Ein äusserst unterhaltsamer Abend mit nachdenklichem, beinahe poetischem Performance-Schluss. Die Vorpremieren in der St.Galler Kellerbühne waren nicht umsonst schon Wochen vorher ausverkauft. Jetzt geht Enzler zuerst auf Schweizertournee, aber bereits Ende April und dann wieder Ende Mai gastiert er wieder in ostschweizerischen Gefilden.