Gestorben wird schweizweit gleich. Nur bei der Bestattung sind einige gleicher als andere. Das zumindest befürchtet dies ein illustres Trüppchen aus Weinfelden, welches das Referendum gegen die geplanten muslimischen Grabfelder auf dem örtlichen Friedhof ergriffen hat. Kurz vor Weihnachten 2024 hat sich das Weinfelder Stadtparlament mit 24:4 Stimmen deutlich für deren Einrichtung ausgesprochen. Sogar Mitglieder der SVP- Fraktion stimmten zu. Maximal 70 nach Mekka ausgerichtete Gräber sollen entstehen.
In zwei Punkten könnte man den Gegner:innen Recht geben: Der Islam wird im neuen Weinfelder Friedhofsreglement als einzige Religion namentlich erwähnt, was eine Sonderbehandlung darstellt. Und mit der Bundesverfassung von 1874 ist das Friedhofswesen von den Kirchen an die Gemeinden übertragen worden, weil niemand mehr aufgrund seiner religiösen Zugehörigkeit ausgeschlossen werden sollte. Wer künftig religiös separiert beerdigt werden wollte, musste dies auf privatem Grund und eigenfinanziert tun, wie es einige jüdische Gemeinschaften taten. Darauf wies Historiker, «Weltwoche»-Journalist und Referendumsunterstützer Markus Schär korrekt hin.
Es dauerte sehr lange, bis die kulturkämpferischen Animositäten nach Gründung des Bundesstaates 1848 abebbten. Die interkonfessionellen Streitigkeiten sind heute mehrheitlich beigelegt, Kulturkämpfe werden eher gegen imaginierte Feinde von «aussen» geführt. Etwa gegen «den Islam», der in der Antiminarett- und Burkaverbot-Schweiz einen besonders schweren Stand hat.
Dabei leben sehr viele Menschen mit muslimischem Hintergrund mittlerweile schon in dritter oder vierter Generation in der Schweiz. Sie haben den Schweizer Pass, bezahlen Steuern und AHV, leisten Zivil- und Militärdienst und so fort. Und die allergrösste Mehrheit von ihnen will hier nicht die Scharia einführen, will nicht die «eigenen» Mädchen beschneiden und uns die «unsrigen» rauben, wie manche behaupten. Und sie sind im Alltag oder im Ausgang nicht häufiger mit dem Messer unterwegs als Menschen mit anderem oder ohne religiösen Hintergrund.
Angstbilder von mordenden und frauenverachtenden Horden, wie sie auf einen erheblichen Teil unserer Bevölkerung, unserer Nachbar:innen und Freund:innen projiziert werden, liessen sich so oder ähnlich auch auf die aufstrebende und gewaltbereite braune Gesinnungsbrut übertragen. Angst war aber noch nie ein guter politischer Ratgeber. Und genau darin liegt der Grabeshund in Weinfelden begraben.
Lukas Madörin, Chef des Referendumskomitees, EDU-Stadtparlamentarier und Freikirchler, hat es selber zugegeben: Gegenüber der NZZ sagte er, dass «der Islam» bei vielen «ein gewisses Unbehagen» auslöse. Und dem «Tages-Anzeiger» verriet er, dass «der Islam» keine Trennung von Staat und Religion kenne. Auf rein theologischer Ebene mag das stimmen. Aber legt eine Mehrheit der Muslim:innen in der Schweiz tatsächlich Wert auf eine strenge Auslegung ihrer Heiligen Schrift? Ist das nicht eher die Befürchtung eines fundamentalistischen Christen, der sich seinerseits eng ans biblische Wort lehnt und nicht verkraftet, dass andere einem anderen, aus seiner Sicht falschen Buch Worttreue schwören könnten?
Die Ehrlichkeit zuzugeben, dass die Angst vor einer angeblichen Islamisierung der Schweiz der einzig wahre Grund ist, weshalb man keine Muslimgräber auf dem Weinfelder Friedhof will – diese Grösse haben Madörin, Schär und Konsorten nicht. Alle anderen Argumente verfassungsgeschichtlicher oder kulturpolitisch-grundsätzlicher Natur sind vorgeschoben und gaben definitiv nicht den Ausschlag für den raschen Erfolg ihrer Unterschriftensammlung.
Ja, die namentliche Nennung des Islams im Friedhofsreglement ist ungeschickt. Auch wenn man noch zu relativieren versuchte mit dem Passus «Das Grabfeld steht allen Glaubensrichtungen und auch nicht religiösen Personen zur Verfügung». Man hätte es nach dem Vorbild der Westschweiz, wo es seit Jahrzehnten islamkonforme Grabfelder gibt, neutral und ohne Nennung der Religion formulieren können.
Mit der Verstaatlichung respektive Kommunalisierung im 19. Jahrhundert wurde das Friedhofswesen zwar konfessionell neutral, eine komplette Loslösung von Religion und Staat hat aber nie stattgefunden. Wie auch? Bis heute lassen sich sehr viele Menschen kirchlich bestatten. Auch Lukas Madörin will sich dereinst sicherlich nach den Geboten seines Glaubens bestatten lassen. Die in der Bundesverfassung verankerte Religionsfreiheit erlaubt es ihm. Nach seiner Logik soll die strikte Trennung von Staat und Religion auf den Friedhöfen also vor allem für Muslim:innen gelten, nicht aber für Christ:innen.
Das wäre nun tatsächlich eine Sonderbehandlung, die unsere Einwohner:innen mit muslimischem Hintergrund nicht verdienen.
Die Weinfelder Stimmbevölkerung stimmt am 18. Mai über das Friedhofsreglement ab. Ein Nein hätte Signalwirkung für die Schweiz. Die Chancen für ein Ja und damit für die Schaffung eines Grabfeldes mit Ausrichtung nach Mekka stehen aber gut. Der Islam zieht als politisches Reizthema nicht mehr so gut wie auch schon. 2009 stimmten noch 65 Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung für ein Minarettverbot. 2021 wurde das Verhüllungsverbot mit 51 Prozent nur noch knapp angenommen. Weinfelden lehnte es mit 52 Prozent ab.