Bahnhofplatz: Nicht auf Knopfdruck

Der Bahnhofplatz ist die meistfrequentierte Schnittstelle des Stadtlebens. 75000 Menschen sind hier täglich auf Achse, zweieinhalb mal so viele wie jeweils am Open Air St.Gallen. Und nur halb so zahlreich war die Schar der Israeliten, die auf dem biblischen Auszug aus Ägypten das geteilte Schilfmeer durchwanderte.
Viele Umstellungen
Auf dem Bahnhofplatz legen jetzt, ganz irdisch und mehrheitlich oberirdisch, die Bagger los. Stadträtin Patrizia Adam und Markus Geyer, Leiter Projekte SBB Infrastruktur, drückten am Freitag auf dem Bahnhofplatz den Buzzer, den man aus den Samstagabendkisten des Fernsehens kennt. Er zeigte den symbolischen Baustart mit grünem Licht an der eigens aufgestellten Verkehrsampel an.
Ein mit Blumenbouquet und Schleifchen geschmückter Bagger hievte unter dem Applaus rotbehelmter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des städtischen Tiefbauamtes und der SBB eine schwere Betonplatte in die Höhe, auf der zu lesen war: «Jetzt gehts los!» Bis anhin war nur Leitungsbau auf dem Platz angesagt. Nach Pfingsten startet nun das Modernisierungsprogramm.
Das bringt viele Umstellungen. Unter anderem wird laut Adam die Endstation der Appenzeller Bahn vorübergehend beim Bahnhofpärkli eingerichtet. In einer weiteren Bauphase werden die VBSG-Busse und einige Postautos an der St. Leonhardstrasse anstatt am Bahnhof halten. Die Ost-Unterführung des Bahnhofes bleibt aber noch bis zum vierten Quartal 2016 in Betrieb.
Gläserne Ankunftshalle
Markus Geyer von der SBB liess die geplanten Neuerungen am Bahnhof Revue passieren. Einen architektonisch einmaligen Akzent werde die neue Ankunftshalle setzen: ein gläserner Kubus über dem Hauptzugang zu den Gleisen, als Verbindung von Bahnhofhalle und Bahnhofplatz. «Im Gegensatz zur bestehenden schweren Architektur aus der Gründerzeit erscheint die neue Ankunftshalle leicht und luftig und schafft so einen angenehmen Ort der Ankunft und der Abfahrt», schwärmte Geyer. «Die Halle wird auch in der Nacht ein Highlight sein – im wahrsten Sinne des Wortes – denn dann erscheint sie als hell strahlende Laterne.»
Künftig führen Rolltreppen von der Ankunftshalle in die Rathausunterführung hinunter. Diese wird breiter und heller gestaltet und erhält mehr Zugänge zu den Perrons. Zudem sind elf Ladengeschäfte in der Personenunterführung vorgesehen.
***
Wie stehen die Bauprojekte beim Bahnhof zu anderen geplanten und angedachten städtischen Verkehrsprojekten? Wir haben Stadträtin Patrizia Adam gefragt.
Zankapfel Nummer eins: Die dritte Röhre
Frau Adam, halten Sie die dritte Röhre im Rosenbergtunnel mit Teilspange Güterbahnhof für nötig? Und warum?
Patrizia Adam: Der Stadtrat hat schon verschiedentlich kommuniziert, dass sowohl die dritte Röhre als auch der Anschluss Güterbahnhof mit Teilspange richtig und notwendig sind. Dies entspricht auch meiner Haltung. Trotz aller Massnahmen zur Förderung des öffentlichen Verkehrs und des Langsamverkehrs ist realistischerweise auch künftig mit einer gewissen Zunahme des Individualverkehrs zu rechnen. Ohne die dritte Röhre und ohne Anschluss Güterbahnhof werden die Autobahn und vor allem der Anschluss Kreuzbleiche immer stärker überlastet sein mit der Folge, dass sich der Verkehr wieder stärker auf das städtische Strassennetz mit all den nachteiligen Folgen für die Bevölkerung verlagert. Das kann gemäss den vorliegenden Studien mit dem neuen Anschluss Güterbahnhof vermieden werden. Darüber hinaus wird die vorgesehene Tunnellösung zur Liebegg grosse Wohnquartiere der Stadt von den Verkehrsimmissionen entlasten.
Dagegen ist eine Initiative eingereicht worden. Wäre bei einer Annahme des Volksbegehrens die erhoffte Entlastung der Autobahn vertan oder gäbe es Alternativen?
Adam: Der Stadtrat wird demnächst seinen Bericht zur Initiative Anschluss Güterbahnhof dem Stadtparlament vorlegen. In diesem Bericht wird die Verkehrssituation einschliesslich der Folgen bei einer Annahme der Initiative im Einzelnen dargelegt werden. Dem kann ich nicht vorgreifen. Es ist aber offensichtlich, dass bei einer Annahme der Initiative die Realisierung des Anschlusses Güterbahnhof gefährdet wäre, also das Projekt, das vor allem im städtischen Interesse liegt. Hingegen dürfte der Bund die dritte Röhre in seinem Interesse trotzdem realisieren. Das wäre für die innerstädtische Verkehrssituation sehr problematisch. Der Anschluss Güterbahnhof mit der Spange zur Liebegg ist die einzige realistische Lösungsmöglichkeit für das bestehende und künftige innerstädtische Verkehrsproblem. Es wurden alle möglichen Alternativen geprüft, keine erwies sich als tauglich.
Mini-U-Bahn eins und zwei
Wegen des Bahnhofplatz-Umbaus verschiebt sich der Bau der Durchmesserlinie der Appenzeller Bahnen um ein Jahr. Hierbei ist das grösste Teilprojekt der 705 Meter lange Ruckhaldentunnel. Was bringt der Tunnel?
Adam: Der Ruckhaldentunnel der AB ist wesentlicher Bestandteil der neuen Durchmesserlinie für diese Bahn. Künftig wird eine direkte Bahnverbindung vom Marktplatz in Richtung Riethüsli, Teufen und Appenzell bestehen. Dies ist ein wichtiges zusätzliches Angebot im öffentlichen Verkehr der Region St.Gallen / Appenzell. Es ist zu erwarten, dass damit ein Teil des Individualverkehrs auf dieser Strecke aufgefangen und so die innerstädtische Verkehrssituation entlastet werden kann.
Die Neugestaltung des Marktplatzes ist zweimal an der Urne abgelehnt worden. Bei der Planung des Bahnhofplatzes und der AB-Durchmesserlinie ist auch ein Bahn- oder öV-Tunnel zwischen Gaiserbahnhof und Spisertor geprüft worden. In einem 2007 publizierten Bericht wird eine solche Lösung als machbar, aber zu kostspielig beurteilt. Könnte eine Mini-U-Bahn zwischen Gaiserbahnhof und Spisertor einer Neugestaltung des Marktplatzes neuen Auftrieb geben?
Adam: Ein Tunnel für die Appenzeller Bahnen zwischen Bahnhof und Speicherstrasse ist vor einigen Jahren offenbar geprüft, aber als unrealistisch wieder fallen gelassen worden. Die Idee einer Mini-U-Bahn für diese Regionalbahn hält einem Kosten-Nutzen-Vergleich nicht stand, diese Bahn hat bekanntlich bei weitem nicht das Verkehrsaufkommen einer U-Bahn in einer Grosstadt. Im Übrigen sind die beiden Marktplatzprojekte ja nicht wegen Problemen mit der Bahn, sondern aus anderen, verschiedenen Gründen abgelehnt worden.
***
Die ominösen Korridore im Richtplan
So ganz abwegig scheint die U-Bahn-Diskussion allerdings nicht. Im Richtplan der Stadt St.Gallen heisst es zum Thema «Unterirdischer öV-Korridor»: «Der Ausbaubedarf des künftigen öV macht es notwendig, dass für den öffentlichen Verkehr – sowohl für den Bus als auch für den schienengebundenen öV (Durchmesserlinie AB und künftige Stadtbahn) – unterirdische Korridore im Bereich der öV-Hauptkorridore frei gehalten werden. Zudem ist bei Anpassungen oder Veränderungen von bestehenden unterirdischen Bauten (beispielsweise Posttunnel, Unterführung Brühltor) der Platzbedarf für einen unterirdischen öV-Korridor zu beachten. Im Bereich Bahnhofplatz ist zudem ein Korridor für eine allfällige Verlängerung der Fussgängerunterführung Rathaus unter Berücksichtigung einer Tieferlegung der Bus- oder Tramlinien freizuhalten.»
Das St. Galler Tagblatt schrieb im Dezember 2010 zum «Unterirdischen öV-Korridor»: «Was im ersten Moment wie eine Schnapsidee tönt, ist eine ernst zu nehmende Idee. Ihre Machbarkeit wurde von Fachleuten der Stadt und der Appenzeller Bahnen (AB) bereits einmal im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Bahnhofplatzes und der Einführung der AB-Durchmesserlinie von Appenzell nach Trogen grundsätzlich geprüft.»
Luigi R. Rossi, der Präsident der TCS-Sektion St.Gallen-Appenzell I.Rh. hat kürzlich an der Hauptversammlung seiner Organisation die Idee wieder aufs Tapet gebracht, indem er einen Tunnel zwischen der Poststrasse und dem Kantonsschulpark forderte. Auf Anfrage sagte Rossi, es gehe ihm dabei nicht einzig um die Verbannung des öV unter den Boden, sondern um die grundsätzlich Eliminierung des Verkehrsproblems am Marktplatz. Die unterirdische Lösung sei eine Vision, die diskutiert werden müsse.