Stahlbergers Stadt

Auf Stahlberger kann man zählen: alle fünf Jahre ein neues Album. Sonst aber ist auf nichts Verlass in der Stahlberger-Welt. Nicht mal auf «dini zwei Wänd». Heute erscheint das Werk – ein erster Blick auf die Texte.
Von  Peter Surber

Man sollte sich nicht wiederholen (aber Stahlberger machen es auch: Ihre Akkorde haben seit jeher den Hang zum Repetitiven und Minimalistischen, Stahlbergers Texte enden zuverlässig mit Refrains, drum also): 2014, beim Erscheinen des letzten Albums, Die Gschicht isch besser, fast auf den Schlag genau vor fünf Jahren, stand hier zu lesen: «Stahlbergers Texte, fast alle jedenfalls auf diesem dritten und bisher ausweglosesten Album, haben keine Pointe und sowieso keine Moral, aber Poesie und einen Himmel von Traurigkeit.»

Jetzt also ist das vierte Album von Stahlberger, der Band, da, und es ist noch einmal das bisher auswegloseste. Es ist noch ein paar schmerzhafte Herzkrümmungen düsterer als der Vorgänger.

Die Welt als Wahn und Wurschtguetschii

Man kann sich zum Beispiel im Chline Fisch verlieren. Der «chline Fisch» ist eine Frau in einer Wohnung, die ein Aquarium ist und wo der Weg von der Stube in die Küche drei vier Tage dauert, will ihre immer wieder Züüg / Vo früener in Sinn chunnt. Es ist ein surrealistischer Alptraum, mit am Ende einem Spalt im Boden, in dem die Frau «irgendwenn» verschwindet, was schon fast eine Erlösung ist.

Man kann auch versuchen, sich einen Reim auf die gespenstischen Bilder in Munzigi Teili zu machen – auf diesen «riesige Chlumpe», auf diese «unendlichi Sosse», auf den «ewige Sirup». Vielleicht beschreiben die Bilder uns selber.

Oder man kann den ersten Zeilen der Mission Of Love folgen, einer so rabiat verzweifelten Alltagsszenerie, dass klar wird, warum dem Pressetext-Verfasser Buster Keaton in den Sinn gekommen ist:

I de Poscht wieder nume Wärbig
Und en Wurschtguetschii
Und uf em Telefon e Nochricht
Vomene Herr Gautschi
Öb  d am Sunntig chämsch cho hälfe
Sini Stützstrümpf ufe zieh
Es siged immer alli bsetzt
Und chämed ungern oder nie

Der «Wurschtguetschii» als Metapher für das ganz banale Elend der menschlichen Existenz: Damit ist man schon fast in St.Gallen angekommen. Und ihrer Stadt halten Stahlberger auch auf dem neuen Album einen grotesk entzerrten Spiegel vor. Vor allem in den zwei Liedern mit dem meisten Text, was schon fast verdächtig ist für den sonst wortkargen Manuel Stahlberger.

«Ales ghört jetz allne»

Im ersten dieser Stadtlieder geht ein Stadtyeti um, «S hät en nume no niemer gseh», und einer, der ihn sucht und nicht mehr aufhört zu suchen, verkleidet sich für seine Suche als «Husmuur» oder Parkuhr, als Thujahecke, als Hydrant oder «Pfoschte», bis man ihn selber nicht mehr findet und langsam vergisst. In dem Lied schwingt eine Verlorenheit mit, aber auch eine melancholische Hoffnung, dass die Stadt doch noch Geheimnisse hat, dass das Gewöhnliche vielleicht doch ein verzauberter Traum ist. Weil: «Irgendwo mues er sii.»

CD-Taufe: 20. April, Palace St.Gallen

stahlberger.ch

Erst recht vom Kopf auf die Füsse gestellt wird die Stadt (vermutlich: wieder St.Gallen) im zweiten Lied, in der umwerfenden Utopie Über Nacht Isch En Sturm Cho. Der Sturm bringt alle Ordnungen durcheinander, wirbelt Dächer, Autos, Haushalte kreuz und quer durch die Stadt, gestaltet den Bahnhofplatz neu, verkeilt Lichtsignale ineinander, spült einen Pinguin ins Bett, lässt gerade noch zwei Wände stehen und stopft den Chef in eine Kartonschachtel.

Was Stahlberger da anrichten, ist Apokalypse pur: Das Unterste wird zuoberst gekehrt, das Resultat ist kommunistisch: «Ales ghört jetz allne / Ales isch neu sortiert.» Die Musik jault und rattert dazu.

Alles ausweglos also? Ja, und zugleich das Gegenteil: veränderungslustig und sturmerprobt. Die zwölf Lieder sind nach und nach in einem monatelangen Prozess zusammen mit der Musik entstanden. Manuel Stahlberger und Michael Gallusser, Marcel Gschwend, Dominik und Christian Kesseli können das offenbar: dem Unvertrauten vertrauen, gemeinsam Wörter und Klänge finden, in denen nichts so ist, wie man es bisher kannte.

«Wir mussten nie dran arbeiten, einen Boden zu haben», sagen Stahlberger im Interview in der gestrigen «Zeit». Das meint vielleicht: Der Boden ist sowieso da. Oder sowieso schon weg. In Stahlbergers Ort herrscht Durchzug, Sturm. «Ales wäg». Aber au: «Ales no do», wie es im letzten Lied heisst.