Stadtumbau mit harten Bandagen

Wie kam es vor bald 50 Jahren zum Abbruch der St.Galler Helvetia, und wie wurde das Bleicheli zum Bankenquartier? Architekturhistorikern Susanne Hefti hat die politisch forcierte Stadt-Transformation in einer Audio-Slideshow dokumentiert, zu sehen aktuell in der Ausstellung Heimspiel in der Kunsthalle St.Gallen.
Von  René Hornung

«Transformationsgedächtnis Stadt» heisst die Arbeit, die aktuelle schwarz/weisse Fotos aus dem St.Galler Bahnhofsquartier und aus dem Bleicheli zeigt. Bilder, die St.Galler:innen vertraut sind, die aber in ihrer Reduktion überdeutlich aufzeigen, um was es geht: um den Stadtumbau. Susanne Hefti (*1984) beschäftigt sich als Doktorandin am ETH-Institut für Geschichte und Theorie der Architektur mit den sozialen und politischen Dimensionen von Architektur und gebautem Raum. Ihr geht es um die politischen Entwicklungen in Richtung Nationalismus und deren Auswirkungen auf die Architektur.

Eine weitere Arbeit Heftis gilt der Glarner Textilgeschichte. «Transformationsgedächtnis Peripherie» ist ebenfalls im Rahmen des Heimspiels im Kunsthaus Glarus zu sehen.

«Transformationsgedächtnis Stadt», Audio-Slideshow 2021, Kunsthalle St.Gallen, bis 30. Januar.

«Transformationsgedächtnis Peripherie», Audio-Slideshow 2021, Kunsthaus Glarus, bis 6. Februar.

susannehefti.com

In ihrer 22-minütigen Slideshow in der Kunsthalle stellt sie den ganz konkreten St.Galler Zusammenhang von Stadtveränderung und politischer Einflussnahme am Beispiel des früheren Helvetia-Hauptsitzes dar, der dort stand, wo heute die Kantonalbank steht. Im gesprochenen (und auch gedruckt aufliegenden) Text zu den Bildern bilanziert sie, dass St.Gallen als Kantonshauptstadt zum Sitz von Banken und Versicherungen «mit ihren protzigen Palästen» wurde: «Manche machten sich so breit, dass ganze Quartiere weichen mussten», spielt sie auf den Bau der Kantonalbank in den 1970er-Jahren und auf den Raiffeisen-Hauptsitz ab den 1980er-Jahren an.

Akribisch die politischen Interventionen dokumentiert

Das Beispiel des Abbruchs der Helvetia für den Neubau der Kantonalbank hat Susanne Hefti akribisch recherchiert. Sie schildert, wie das «St.Galler Tagblatt» 1975 nur durch einen Zufall erfuhr, dass die Bank einen Neubauwettbewerb an Stelle des Kunkler-Gebäudes der Helvetia ausschrieb. Die Zeitung erwähnte dann auch den hohen baukulturellen Wert der Helvetia. Schon am Tag der Publikation erfolgte die erste Intervention durch den damaligen Bankdirektor Hans Hurni.

Später reichte der Heimatschutz Einsprache gegen den Helvetia-Abbruch ein. Und über 100 Personen, «alles was im Denkmalschutz Rang und Namen hatte, sprach sich für die Erhaltung der Helvetia aus.» Selbst der damalige Bundesrat Hürlimann – mit einer St.Gallerin verheiratet – intervenierte und erlebte eine unwirsche Abfuhr.

Hochschulprofessor Hans Christoph Binswanger – auch er plädierte für den Erhalt – wurde in Sippenhaft genommen: Die Kantonalbank drohte, ihre Zahlungen an die Uni einzustellen. Und auch den Zeitungen wurde unmissverständlich angeraten, sich zurückzuhalten. Das Ganze wurde vom Stadtrat orchestriert: «Von Behörden und Kantonalbank wurden die Gegner:innen des Abbruchs beinahe in die Nähe von Staatsfeind:innen gerückt und als verantwortungslose Wirrköpfe hingestellt», stellt Susanne Hefti fest.

Die Rettung der Helvetia-Figuren 1977. (Bild: René Hornung)

Eine unerfreuliche Folge hatte der Streit auch im damaligen Heimatschutz: Dort kam es zu einer Spaltung, denn fast 100 Mitglieder hatten in einem Brief den Abbruch der Helvetia befürwortet. Schliesslich zog der Heimatschutz seinen Rekurs zurück und im September fuhr der Abbruchhammer auf. Zuvor wurde noch die Figurengruppe auf dem Dach gerettet (Bild oben). Sie steht heute im Park vor der «neuen» Helvetia, neben der Universität.

Ersatzloser Abbruch im Raiffeisenquartier

Mit etwas weniger harten Bandagen wurde in den 1980er-Jahren das Bleicheli zum Raiffeisenzentrum umgebaut. Die Bank ging Schritt für Schritt vor und frass sich so immer weiter ins einstige Arbeiterquartier mit seinen bescheidenen Wohn- und Gewerbebauten und dem legendären Kulturlokal «Frohegg». Susanne Hefti erinnert hier unter anderem an das damalige Versprechen der Bank, für die abgebrochenen, kulturell genutzten Räume Ersatz zur Verfügung zu stellen. Und ernüchtert stellt sie fest: «Der Ersatz kommt aber nie zustande, stattdessen nutzt Raiffeisen die versprochenen Räume im ‚Gartenhof‘ bis heute für sich selbst».

Auch die Auflage, für die zuletzt an der Wassergasse verschwundenen Wohnungen Ersatz in der Nähe zu schaffen, wurde nicht eingehalten, wie sie feststellt. Die Stadt forderte immerhin eine Aufwertung der Umgebung ein. So entstand 2006 die Stadtlounge. Auch dazu äussert sich die Autorin kritisch und schreibt im Zusammenhang mit den «Osterkrawallen» 2021: «Die Nutzung des roten Platzes, nicht als kuschelige öffentlichen Wohnlounge, sondern als Schauplatz von Demonstrationen gegen fehlende öffentliche Freiräume, oder zumindest gegen das fehlende Bewusstsein für die Bedürfnisse der Jugendlichen, ist nicht im Sinne von Stadt und Planer:innen.»

Ihr Fazit: Die Stadt könne kein Museum sein, sie verändere sich und passe sich an. Aber immer seltener an die Bedürfnisse der Bewohner:innen.