Stadtprojektionen zum Fünften
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Die beiden St. Galler Kunsthistorikerinnen Anna Vetsch und Nina Keel kennen sich vom Studium. Beide beschäftigen sich mit dem öffentlichen Raum und mit Architektur. Seit 2016 haben sie bereits vier Mal «Stadtprojektionen» organisiert, jetzt folgt die fünfte Ausgabe. Nach der Altstadt, dem Linsebühl, der Lachen und dem Familien- und Frauenbad Dreilinden sind die Projektionen dieses Jahr in St.Fiden zu seheh: am Grossackerzentrum, an drei Nachbargebäuden und im Areal der Primarschule Grossacker.
Kultige Ikonen
Die Kuratorinnen haben ikonische Gebäude ausgewählt, die wichtige Etappen der Stadtsanktgaller Baugeschichte repräsentieren. Das Primarschulhaus Grossacker mit seinen Pavillons und den grosszügigen Grünflächen wurde 1956/57 gebaut. Entworfen hat es das Architekturbüro von Ziegler, Balmer, Bärlocher und Unger. Die «Schweizerische Bauzeitung» lobte die Anlage schon vor dem Baustart. Das Projekt zeige, «dass in St. Gallen die Zeit nicht stillgestanden ist». Die Schulanlage wird als schützenswert beurteilt und soll erhalten bleiben, auch wenn das benachbarte Areal des Kinderspitals teilweise neu überbaut wird (mehr dazu auf hier). Die Schule ist auch im ISOS (Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz) in der höchsten Schutzkategorie.
Stadtprojektionen V:
19. bis 22. September
Vernissage: 19. September, 19 Uhr, Pausenplatz Primarschule Grossacker. Rundgang mit den Kuratorinnen: 20. und 22. September, 19:30 Uhr, Treffpunkt auf der Südseite des Schulhauses, Zugang von der Flurhofstrasse
Das zweite ikonische Gebäude, das als «Leinwand» dient, ist das Einkaufszentrum Grossacker mit dem Silberturm. Es wurde 1973–1977 nach Plänen des St. Galler Architekten Heinrich Graf gebaut. Die beiden Kuratorinnen wählen an solchen Bauten die Projektionsflächen aus: Unter dem Haupteingang zum Silberturm werden KI-generierte Arme an die Decke projiziert, die symbolisch das Gewicht mittragen.
Auf der Terrasse des Einkaufszentrums und an einem Fenster an der Falkensteinstrasse sind weitere Bilder zu finden. Drei Projektionen befinden sich im Areal des Primarschulhauses Grossacker. Dort ist auch die Vernissage angekündigt. Weitere Werke sind im Innenhof des Blocks auf der Westseite des Grossackerzentrums zu sehen und weiter ostwärts an der Falkensteinstrasse – auch in der ehemaligen Metzgerei Wegmann.
Wechselspiel zwischen Kunst und Architektur
Alle diesjährigen Projektionen sind typisch fürs Konzept der beiden Kuratorinnen. Immer wieder laufen sie durch die Stadt und suchen nach Wänden, auf die sie Bilder und Filme projizieren können. So entsteht das Wechselspiel zwischen Kunst und Architektur. «Die Standorte und die dort gezeigten Werke bringen wir bei unseren Stadtwanderungen zusammen. Wir sind ständig im Austausch, welche Kunstwerke wir zeigen möchten – und wo», schildert Anna Vetsch den Entstehungsprozess. «So verbinden wir die Orte und deren Geschichte mit den Kunstwerken», ergänzt Nina Keel.
Die bisherigen Ausgaben der Stadtprojektionen hätten gezeigt, dass sich viele Quartierbewohner:innen in den vier Nächten auf den Weg machen, um nahe Orte neu oder gar erstmals zu entdecken. Weil dieses Jahr drei Arbeiten rund ums Schulhaus gezeigt werden, sind auch Kunstvermittlungen für Schüler:innen geplant.
Unter den neun in diesem Jahr projizierten Arbeiten sind sieben Filme und zwei Fotoserien. Sie stammen von Zilla Leutenegger, Guy Ben Ner, Noha Mokhtar, Luisa Zürcher, Ilana Harris-Babou, Mélodie Mousset, Regula Engeler, Elisabeth Nembrini und Alexandra Bondi de Antoni. Die Anfragen der Kuratorinnen führen bei den Kunstschaffenden mitunter zu einem Umdenken, denn viele Arbeiten sind für andere Medien oder für Projektionen in geschlossenen Räumen entwickelt worden. Diese draussen und in neuen Dimensionen zu zeigen, löse manchmal bei Künstler:innen Irritationen aus. Kommt dazu, dass die unterschiedlichen Projektionsflächen die Werke verändern: «Plötzlich ist da ein Lüftungsgitter mitten im Bild, oder eine Strassenlampe stört», so Nina Keel. «Kunstschaffende müssen deshalb bereit sein, die Kontrolle über ihre Werke ein Stück weit abzugeben», ergänzt Anna Vetsch.
Die Initiantinnen der St. Galler Stadtprojektionen haben eine Dokumentation in Buchform herausgebracht, die einige der bisher gezeigten Werke – auch solche der erst noch stattfindenden fünften Ausgabe – dokumentieren. Vorgestellt werden die fünf unterschiedlichen Umgebungen in den Quartieren, dazu werden ausgewählte Arbeiten in Bild und Text dokumentiert. Gestaltet hat den Band Laura Prim.
Im Buch finden sich zwei längere Texte von Kunsthistorikerinnen. Yasmin Afshar stellt unter anderem fest, dass während der Nächte der Stadtprojektionen eine temporäre Gemeinschaft in der Stadt entsteht und es zu mehr spontanem Austausch in den Strassen kommt. Dort, wo die Beamer in Wohnungen platziert werden, niste sich das Projekt wortwörtlich in Wohn- und Schlafzimmern ein. Lauren Elkin schreibt in ihrem Beitrag, dass Stadträume männlich geprägt seien und die Projektionen dazu einen Gegenpol bildeten. Sie betont, dass die Kuratorinnen bewusst feministische Themen in den öffentlichen Raum tragen.
Bestellungen: post@stadtprojektionen.ch, Fr. 28.–