Stadtgespräch 2: «Community Policing»

Trotz gewichtiger Konkurrenzveranstaltungen wie dem Paul-Grüninger-Abend im Kinok, der Bowles-Garden-Buchvernissage im Botanischen Garten und Weltereignissen wie «Schmudo» und Ukrainekrieg strömte das Publikum wieder in die St.Galler Grabenhalle. Geladen hatten Künstlerin Julia Kubik und Historiker und Aktivist Matthias Fässler zur zweiten Ausgabe der Saiten-Stadtgespräche.
Leider müssen wir an dieser Stelle auf das Audiofile verzichten, das sich gestern beim Rüberladen vom Mischpult auf den Stick in die ewigen Jagdgründe verabschiedet hat. Bei den drei Testaufnahmen hat noch alles funktioniert. Sagen wir also, es waren «technische Gründe», womit wir vermutlich gar nicht so falsch liegen, auch wenns nach einer billigen Ausrede tönt.
Ausreden hatte auch Moderatorin Julia Kubik parat. In einem Plastikbecher hatte sie Zettel vorbereitet mit «typischen Polizistenphrasen» wie «Das ist nur eine Routinekontrolle» oder «Ein rechtsextremes Tatmotiv kann ausgeschlossen werden». Einen solchen Zettel konnte ziehen, wer auf eine bestimmte Frage nicht antworten wollte. Gebrauch gemacht hat allerdings niemand davon. Dennoch gelang es Kubik, dass jeder Gast mindestens ein Zettelchen vorlas.
Hurni im Verhör
Man ahnte bereits im Vorfeld, dass Stapo-Kommandant Ralph Hurni die meisten kritischen Fragen über sich ergehen lassen müsste. Was auch so war. «Community Policing» lautete seine Antwort auf Matthias Fässlers Frage, warum er sich dieser Diskussion in der «linksversifften Grabenhalle» überhaupt stelle. Hurnis Antworten waren dabei so erwartbar wie ehrlich.
Man goutiere nicht Coronademos mit rechtem Sukkurs inhaltlich, sondern müsse eine bewilligte Demo, von der man im Vorfeld nicht wisse, ob man sich an die Schutzmassnahmen halten würde, vor einer unbewilligten Gegendemo schützen. Bezüglich Jugendkrawallen vor knapp einem Jahr, während denen Hurni erstmals nationale Aufmerksamkeit erhielt, fand der Polizeichef, dass die Polizei natürlich dazugelernt habe, aber unter dem Strich eigentlich keine Fehler gemacht habe. Die Jugend habe das Recht, Grenzen zu suchen, aber sie habe ebenso das Recht, dass ihr die Grenzen auch aufgezeigt würden. Im öffentlichen Raum seien das nicht die Eltern, sondern eben die Polizei.
Immerhin erfuhr man auch noch Menschliches über Hurni, der gern im Burgund Ferien macht, musikalisch zwischen Hard Rock und Free Jazz zu Hause ist und – kein Witz – gerne Helipilot geworden wäre.
Shaquille Bernhard alias Rapture Boy war der Rapper in der Runde. Auf das Anti-Bullen-Klischee im Rap angesprochen, fand der gebürtige Südafrikaner, er selber habe in der Schweiz nie Probleme mit der Polizei gehabt. Man treffe ihn in St.Gallen vor allem im «Vibes» an, für Party («richtig hardcore Techno») gehe er nach Zürich, von den Jugendkrawallen respektive der Party auf dem Roten Platz habe er gar nichts richtig mitbekommen.
Post-Apartheid und andere Aktivismen
Mit Jahrgang 1995 sei er ein Kind jener Generation, die die Apartheid gerade nicht mehr direkt miterlebt hätten, allerdings hätten seine Eltern und Grosseltern einiges zu berichten. Er selber sei ein bisschen ausserhalb von Kapstadt in einem sehr ethnisch durchmischten Quartier aufgewachsen, wo alle gut miteinander ausgekommen seien.
Viele Jahre gegen die Apartheid engagiert hat sich Comedia-Gründer und Grabenhalle-Mitinitiant Pius Frey. Er sei damals auch im Londoner Wembley-Stadion am Nelson-Mandela-Solidaritätskonzert gewesen.
Frey räumte ein, dass es schon auch etwas ein komisches Gefühl sei, mit einem Polizeikommandanten auf der Bühne zu sitzen, hatte er als Aktivist in den 1970er- und 80er-Jahren doch ein paar ziemlich unschöne Erfahrungen mit der Staatsgewalt gemacht. Etwa bei der Räumung einer Hausbesetzung, bei der die friedlich agierenden Beteiligten in Kastenwagen verfrachtet worden seien und, bevor die Türe geschlossen wurden, noch eine Rauchgranate nachgeschoben wurde, an der ein Kollege beinahe erstickt sei.
Aber das seien halt andere Zeiten gewesen damals. Immer wieder holte Frey aus, plauderte aus dem Aktivisten- und Kommunen-Nähkästchen und man hätte ihm noch stundenlang zuhören können. Aber da waren ja auch noch andere Gäste.
Stadtparlamentarierin Karin Winter-Dubs hat unterschiedliche Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Einerseits aus Fanarbeitssicht, wo sie der Polizeiarbeit durchaus kritisch gegenüber steht und etwa «personalifizierte» Tickets ablehnt. Andererseits war sie mit aktuellen und ehemaligen Parlamentskollegen auch auf dem Roten Platz, wo die Jugend zuerst gefeiert und danach randaliert hat. Der ständig über St.Gallen kreisende Helikopter habe sie weniger gestört als die wütenden Jugendlichen.
Toni Brunners Geschenk
Das Klischee der «linksten SVP’lerin der Stadt» stimme ja eigentlich gar nicht, wenn man ihre Voten in parlamentarischen Geschäften analysiere, sagte Moderator Matthias Fässler. Sie sei in der Regel stets auf Parteilinie. Toni Brunner habe sie in einem Disput mal so genannt, sagte Winter-Dubs. Seither halte sich das hartnäckig.
War beim ersten Stadtgespräch definitiv FCSG-Captain Lukas Görtler der Publikumsmagnet, fielen die Antworten bei einer kleinen Umfrage im Nachgang unterschiedlich aus. Das Publikum war auch dieses Mal sehr durchmischt. Da waren wiederum Fankreise, die vermutlich Herrn Hurni einmal live sehen wollten; da war eine Delegation der SVP, die die Kollekte für den Abend nur deshalb nicht geschlossen bediente, weil weder Karten- noch Twintbezahlung angeboten wurde; da war die Stadtverwaltung; da war die Lokalpresse; und natürlich war da auch das Grabenhalle-Stammpublikum. Und weil die Halle voll war, warteten vor der Türe die Ping-Pöngler:innen brav, bis auch sie Einlass fanden.
Das Moderator:innen-Duo Kubik-Fässler hat sich erneut hervorragend ergänzt und den Grat zwischen Unterhaltung und politischer Debatte elegant gemeistert. Dass Rapture Boy am Schluss noch (halb-)spontan gefreestylt hat, setzte dem schönen Abend die Krone auf.