Stadt der (Kunst-)Bücher

Am Freitag und Samstag wird das St.Galler Kunstmuseum zum Kunstbuchmarkt: Good Life Books findet zum zweiten Mal statt. Mit dabei sind die Saiten-Grafiker und Büchermacher Larissa Kasper und Rosario Florio. Hier ihre Flaschenpost aus New York City, von der dortigen Art Book Fair.
Von  Gastbeitrag
St. Gallen, Schweiz, 1. Dezember 2017 - Nachtschicht und Buchmesse im Kunstmuseum St. Gallen.

Lange mussten wir suchen nach dem Schlüssel zu unserer Wohnung. Er liege in einer Schlüsselbox am schwarzen Eisenzaun vor dem Gebäude, hiess es auf Airbnb. Das Problem: Es gab gut zwei Dutzend dieser Boxen, alle verteilt auf die drei schwarzen Zäune vor dem langen Häuserblock. Falls die Zahlenkombination 8877 nicht funktioniere, sollen wir es mit 2190 versuchen, hiess es. Wie probierten es gefühlte fünfzig Mal vergeblich. Schlussendlich entsprach der Beschreibung am «Notfall»-Telefon der Agentur ein einziges Schloss, das beim ersten Versuch klemmte. Mit etwas Gewalt liess sich der rostige Deckel öffnen. Ein wenig rostig war somit auch der Start in unseren dreiwöchigen Aufenthalt in New York.

Reisegrund war die New York Art Book Fair. Bücher können vergilben, aber wenigstens nicht rostig werden. Dass wir in diesen Tagen auch ausserhalb der Messe ständig Büchern begegnet sind, liegt nicht nur daran, dass wir als Saiten-Grafiker, Buchgestalter und Verleger unsere Nasenspitzen nach gedruckter Farbe richten, sondern auch, weil es der Zufall so wollte.

Books for sale

Zusammen mit edition fink aus Zürich, Boabooks aus Genf und tria publishing aus Zürich/Peking nehmen wir mit unserem Verlag Jungle Books jedes Jahr an Kunstbuchmessen rund um die Welt teil. Unter dem Projekttitel «Fair Enough» waren das 2017 Berlin, Leipzig, London, New York, Paris, Peking, St.Gallen und andere. Die Zusammenarbeit macht das möglich, physisch wie finanziell. Jeweils Anfang Jahr wird entschieden, wer wohin reist und die anderen Verlage repräsentiert. Für uns ging es dieses Jahr nach New York, an die derzeit grösste Kunstbuchmesse. Das bedeutet auch, so viele Bücher wie möglich mitzunehmen. In Zahlen: 80 kg Papier in drei grossen, blauen Dispoboxen. Dank FedEx muss man nicht mit einem Lastesel zum Flughafen. Die blauen Wunderboxen stehen bei unserer Ankunft bereits im richtigen Raum, am richtigen Platz im MoMa PS1 in Queens.

Good Life Books: 9. /10. November, Kunstmuseum St.Gallen

Die zweite St.Galler Kunstbuch-Messe Good Life Books versammelt rund 20 Verlage, darunter die Einheimischen Jungle Books, Vexer und VGS. Am Freitag zeigt Michaela Müller ihren Animationsfilm Airport (20 Uhr) und sprechen Lorenzo Benedetti und Gregorio Magnani über «Publizieren als künstlerische Praxis» (21 Uhr). Am Samstag sprechen Roland Früh, Stefan Inauen und Jungle Books über das Büchermachen (15 Uhr). Um 16 Uhr wird Band 4 der Werkausgabe von Roman Signer präsentiert, um 19 spielt das Ensemble Phoenix Patterns von Norbert Möslang.

kunstmuseumsg.ch

Unser Buchladen für die vier Tage sind zwei grosse Tische, auf denen wir die Bücher der vier Verlage nach verkaufspsychologischen Kriterien arrangieren. Das meinen wir zumindest, denn nach kurzer Zeit ist klar, dass jeder Besucher nach etwas ganz anderem sucht. Den uns zugeteilten Platz finden wir sehr vorteilhaft, bis auf die fehlende Klimaanlage, die sonst in jeder Imbissbude in New York steht. Bei Aussentemperaturen von 27 Grad und über 10’000 Besuchern täglich entspricht unser Körpergeruch nach ein paar Stunden dem der Subway, und zu Rush-Hour-Zeiten wird die Luft so dick wie 50 Meter unter Grund. Zu zweit hat man nur selten Gelegenheit, den Verkaufsstand zu verlassen. Trotz alledem ist die Buchmesse eine grossartige Veranstaltung, die Spass macht. Man lernt Leute kennen, tauscht sich aus, verkauft viele Bücher und schläft nach so einem Tag sehr gut ein. Die Bilanz der vier Tage: drei blaue Boxen, 15 kg Bücher, zahlreiche schöne Bekanntschaften.

Books to start a career

Noch an der Buchmesse kamen Ryan Waller und Gary Fogelson vom New Yorker Grafikstudio Other Means an unseren Tisch, um hallo zu sagen und zu fragen, ob wir nicht bei ihnen im Studio einen Talk halten wollen. Vor einigen Jahren hatten sie eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel «Easy Lessoning» zusammen mit Corina Neuenschwander (Studio NOI, Zürich) und Roland Früh (Bibliothekar der Kunstbibliothek Sitterwerk) lanciert. Dabei geht es um entspannte Talks in einer entspannten Runde mit entspannendem Bier. Klingt spannend, dachten wir. Sind dabei, sagten wir.

An diesem Montagabend ist das Studio von vorne bis hinten mit Leuten vollgepackt. Alle glücklich mit einem Bier in der Hand. Wir mit unserem zweiten, um die Anspannung ein wenig wegzutrinken. Unser Vortrag verläuft gut, die Fragen danach sind besser, und am besten gefällt uns, als wir beim dritten Bier dem zweiten Gast zuhören dürfen. Julian Bittiner ist ein emigrierter Genfer mit englischen Wurzeln, der jahrelang in Los Angeles wohnte, bevor er vor 15 Jahren nach New York zog. Er unterrichtet in Yale und einer seiner theoretischen Schwerpunkte sind Künstlerbücher. Damit hat er uns natürlich. Eines der vorgestellten Bücher ist: Franz Erhard Walther, OBJEKTE, benutzen, erschienen 1968 im Verlag Gebrüder König (Köln/NYC). Das Besondere an der Begegnung mit diesem Buch: Es ist das Gründungsjahr des Verlags und die erste Publikation der später bekannteren Verlagsbuchhandlung Walther König. Der Start ins Verlagswesen gelang mit einem experimentellen Nischenprodukt, dem Künstlerbuch, wunderbar gesetzt und für eine wohl kleinere Leserschaft gedacht, bevor die populäreren Künstler dazukamen und der Verlag ein breiteres Publikum erreichen sollte. Für uns als Kleinverlag mit bisher acht Publikationen ist es schön zu sehen, wie andere ähnlich angefangen haben. Hoch lebe der Idealismus!

Books to walk with

Natürlich hält man sich in New York mindestens einmal in der Nähe der 5th Avenue auf. Nicht wegen dem Trump Tower, aber in der Nähe des Bryant Park, inmitten von Manhattan, befindet sich die New York Public Library, und von dort kann man zur Grand Central Station gehen, falls man dem Gewimmel der Stadt mit einer Zugfahrt ins Grüne entkommen möchte. Viele Wege führen von der Library zur Station, aber einer geht durch die 41st Street. Wie es der Zufall wollte, denn vorher wussten wir davon nichts, nennt sich diese Strasse auch «Library Walk». 1990 von der Library und der Grand Central Partnership entwickelt, gleicht er dem «Walk of Fame» in Los Angeles. Nur spielen dabei jene Leute eine Rolle, die Wichtiges in geschriebener Form hinterlassen haben. In Bronze in den Boden versenkt, teils mit Kaugummis verziert, glänzen ihre geistvollen Zitate zwar nicht mehr formal, aber inhaltlich. Da stolpert man nun über Emily Dickinson, Ernest Hemingway, Albert Camus wie auch Georges Braque und Pablo Picasso. Bei Thomas Jeffersons Satz «Where the press is free, and every man able to read, all is safe» denken wir natürlich gleich an Saiten – und daran, dass wir noch eine Flaschenpost schreiben wollten.

Books to watch

An einem verregneten Nachmittag besuchen wir die Schweizer Künstlerin Christine Zufferey in ihrem Atelier im Norden von Queens. Wir haben uns an der Buchmesse kennengelernt und durften ihren Handfächer ausleihen, um die verbleibenden Tage im PS1 zu überstehen. Auch sie arbeitet gerade an ihrem ersten Buch, dass sie uns beim Atelier-Besuch zeigt. Von dort aus führt uns eine Brücke auf Roosevelt Island. Hauptsächlich in den 70er-Jahren entwickelt und erbaut, ist es ein Stadtteil, den viele New Yorker noch gar nie besucht haben. Um die Insel wieder zu verlassen, nimmt man eine Gondel Richtung Manhattan. Es ist Abend und neblig, und man schwebt zwischen Wolkenkratzern hindurch.

Ein paar Subway-Stationen weiter treffen wir uns mit Ian auf einen Drink im Metrograph. Das Metrograph ist ein kleines, feines Programmkino in Chinatown, vergleichbar dem Kinok in St.Gallen. Ian sass beim Easy-Lessoning-Abend in der zweiten Reihe. Die Gesprächsthemen drehen sich also um Bücher und Filme. Für den Film, der gerade läuft, sind wir leider zu spät: Suspiria von Dario Argento aus dem Jahr 1977, den Ian wämstens empfiehlt. Mitten im Gespräch zückt er ein Buch aus seinem Rucksack und fragt, ob wir es schon mal gelesen hätten: The Woman in the Dunes von Kobo Abé, geschrieben 1964. Die Verfilmung soll am nächsten Tag im Metrograph laufen. Das hört sich wie ein Masterplan an: vom Spider-Man-Gefühl in der Gondel in die japanischen Dünen und darauf zum UV-Candle-Light-Dinner in Chinatown.

Books to leave home with

Während diesen drei Wochen leben wir in zwei unterschiedlichen Wohnungen, die erste im lauten Bushwick und die zweite in den ruhigen Prospect Heights, beide im Stadtteil Brooklyn. Während die erste Wohnung dem Konzept zu folgen scheint: «Miete mich, denn hier wohnt eigentlich nie jemand», fühlt sich die zweite sehr viel persönlicher an. Dies nicht nur wegen der Einrichtung und der Jazz-Platten, sondern auch wegen der vielen Bücher. Es ist erstaunlich, wie viel man über eine Person zu wissen meint, wenn man eine private Bibliothek betrachtet. Ohne allzu neugierig sein zu wollen, kann man auf deren Interessen schliessen. Neben Bestsellern wie Catch-22 und dicken Gedichtbänden von Edgar Allan Poe gibt es eine ganze Abteilung zu Musiktheorie, Jazz, Filmgeschichte und Hüten.

Bei einem grafisch sehr eigenwilligen Buch bleibt unser Auge länger stehen: Be Here Now, 1977 geschrieben von Ram Dass. Typografisch äusserst virtuos gesetzt, geht es darin vor allem um Spiritualität, Yoga und Meditation. Ein letztes Kapitel gibt zudem Buchempfehlungen für ein besseres Leben, eingeteilt in die Kategorien «Books to hang out with», «Books to visit with now & then» und «Books it’s useful to have met». Aus einer Notiz im Buch geht hervor, dass es ein Geschenk der Mutter war. «8/15/00 – on the day you left home», sind die letzten Zeilen der Widmung. Zeit, auszuziehen und heimzukehren.

Dieser Beitrag erschien im Novemberheft von Saiten. Larissa Kasper, 1986, und Rosario Florio, 1980, sind Saiten-Grafiker.