, 23. Mai 2023
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St.Galler Stadtkasse in Nöten: Stadtregierung fordert fairen Finanzausgleich

2024 steht die nächste Überprüfung des Finanzausgleichs im Kanton St.Gallen an. Dafür hat der St.Galler Stadtrat klare Forderungen. Ohne höhere Unterstützungsbeiträge droht die Kantonshauptstadt finanziell abgehängt zu werden. von Reto Voneschen

Die Stadt St.Gallen will künftig eine faire Abgeltung ihrer Zentrumslasten (Bild: PD)

Die fünf Mitglieder der St.Galler Stadtregierung treten selten alle gemeinsam vor die Medien. Am Dienstag haben sie es getan. Dies aus einem gewichtigen Anlass: Der Stadtrat wendet sich mit einem Hilferuf an Regierung und Parlament des Kantons St.Gallen. Die Lage der Stadtkasse ist ernst: Die Stadt St.Gallen erhält zwar jährlich aus kantonalen Ausgleichstöpfen gut 34 Millionen Franken für Zusatzlasten. Sie trägt daneben aber jährlich gut 36 Millionen an ungedeckten Zusatzlasten selber. Und das ist nach Meinung der Stadtregierung definitiv zu viel des Guten.

Abgeltungen: Tatsächliche Verhältnisse berücksichtigen

Diesen Spätherbst will der Kanton den Wirksamkeitsbericht 2024 zum Finanzausgleich in die Vernehmlassung geben. Das Papier ist der richtige Zeitpunkt für die Kantonshauptstadt, zusätzliche Finanzwünsche anzumelden. Genau das hat der Stadtrat am Dienstag getan: Unterlegt mit Studien und umfangreichem Zahlenmaterial fordert er einen faireren Finanzausgleich.

Die Steuerzahler:innen der Stadt dürften erwarten, dass die Ausgleichszahlungen des Kantons die tatsächliche Belastung der Stadtkasse durch Zentrums- und Sonderlasten berücksichtigten, hiess es. Die Stadtregierung wünscht sich dafür Anpassungen am kantonalen Finanzausgleichsgesetz. Dabei sind gemäss Stadtpräsidentin Maria Pappa verschiedene Lösungsansätze denkbar. Gespräche mit dem Kanton darüber werden bereits geführt.

Kein höherer Ausgleich trotz neuer Aufgaben

Heute erhält die Stadt aus dem innerkantonalen Finanzausgleich für ihre Zentrumslasten 16,2 sowie aus dem kantonalen Topf zur Abgeltung sozialer Sonderlasten nochmals 17,9 Millionen Franken. Insgesamt sind das gut 34 Millionen Franken – oder knapp die Hälfte dessen, was St.Gallen nach Auffassung des Stadtrats eigentlich zusteht. Die heute nicht abgegoltenen 36 Millionen resultieren aus 12,2 Millionen an Zentrumslasten, 13,8 Millionen aus soziodemografischen Sonderlasten und rund 10 Millionen aus Benachteiligungen im Verteilschlüssel für die ÖV-Kosten (siehe Infotext am Ende des Artikels).

Zu diesen ungedeckten Zentrumslasten kommt für die Stadtkasse, dass der Kanton zwischen 2010 und 2022 diverse Aufgaben an seine Gemeinden überwälzt hat. Daraus resultieren in der Stadt inzwischen Jahr für Jahr überdurchschnittliche Zusatzkosten von 24,7 Millionen Franken. Als mit Abstand grösstes Zentrum im Kanton traf diese Aufgabenverschiebung St.Gallen gerade im sozialen Bereich härter als kleinere politische Gemeinden: So schlägt allein die Umsetzung der Pflegefinanzierung mit jährlich zusätzlichen 13,5 Millionen zu Buche.

Strukturelles Defizit trotz Sparübungen

Die St.Galler Stadtkasse kämpft heute gemäss Stadtpräsidentin Pappa mit einem strukturellen Defizit von rund 30 Millionen Franken pro Jahr. Dies trotz verschiedenen Sparübungen seit 2012. Mit «Fit13plus» beispielsweise wurden ab 2013 rund 16 Millionen Franken eingespart. Das laufende Programm «Fokus25» erbrachte bis Ende 2022 6,2 Millionen Einsparungen und soll ab 2025 nochmals etwa 8,3 Millionen Franken einsparen helfen. Aus eigener Kraft, so ist der Stadtrat überzeugt, kann die Kantonshauptstadt ihre finanziellen Probleme nicht mehr bewältigen. Langfristig gerät so auch ihre Rolle als Motor für die weitere Region und den ganzen Kanton in Gefahr.

Stadtpräsidentin Maria Pappa
(Bild: PD)

Maria Pappa bemühte an der Medienkonferenz das Beispiel eines Laufwettkampfs. Jede der 75 politischen Gemeinden des Kantons starte mit eigenen Voraussetzungen. Für die Stadt biete die Einnahmenseite gute Chancen auf einen vorderen Platz in der Schlussrangliste. Die Aufwandseite hingegen sei wegen des nicht voll funktionierenden Ausgleichs wie ein schwerer Rucksack, der seit Jahren verhindere, dass die Kantonshauptstadt vom Fleck komme. Für einen fairen Wettbewerb brauche es eine faire Abgeltung der Zentrumslasten sowie einen fairen Verteilschlüssel für ÖV-Kosten.

Startschuss zu einer längeren Debatte

Zuerst einmal müssen es die Wünsche der Stadt jetzt in den Wirksamkeitsbericht zum kantonalen Finanzausgleich schaffen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sich der Kantonsrat damit auseinandersetzen muss. Die politischen Hürden für die Wünsche der Stadt dürften im Kantonsparlament dann allerdings erheblich höher sein als bei Regierung und Verwaltung. Höhere Abgeltungen für St.Gallen (und kleinere regionale Zentren) dürften der Steuersenkungsstrategie des bürgerlich geprägten Kantonsrats widersprechen. Die Anliegen der Kantonshauptstadt geniessen zudem bei bürgerlichen Kantonsrät:innen vom Land erheblich weniger Sympathien als auch schon.

Ob und wie im Kantonsrat Überzeugungsarbeit für die städtischen Anliegen geleistet werden soll, blieb an der Medienkonferenz des Stadtrats offen. Dass solche von Nöten sein wird, war am Dienstag unbestritten. Das Thema der Abgeltungen ist komplex, der Zahlenberg dazu ist umfangreich und als «Kopfrechnen für Fortgeschrittene» sicher auch erklärungsbedürftig. Man wisse um die Bedeutung des Kantonsrats, versicherte denn auch Maria Pappa. Und die Kantonsrät:innen aus der Stadt sollen die Unterlagen zu den Zentrumslasten immerhin automatisch zugestellt erhalten.

Zu hoffen ist, dass die finanziellen Wünsche der Hauptstadt im Kanton eine politische Debatte auslösen werden. Ein wichtiger Faktor fürs Schlussresultat dürfte dabei sein, wie sich die Lobby der Gemeindepräsident:innen positioniert. Zentral wird aber auch sein, ob sich genügend Meinungsführer:innen in den bürgerlichen Kantonsratsfraktionen vom Hilferuf und den Argumenten aus der Stadt überzeugen lassen. Den Start in die Debatte bestreiten unter anderem die Stadtpräsidentin und Donat Kuratli, Stadtparlamentarier, Kantonsrat und Präsident der SVP der Stadt St.Gallen, schon am Mittwochabend in der Sendung «Zur Sache» des Ostschweizer Regionalfernsehens TVO.

 

Zentrumslasten, Sozialkosten und der ÖV-Verteilschlüssel

Die Zusatzlasten der Stadt St.Gallen setzen sich aus drei Komponenten zusammen. Zum einen trägt die Stadt sogenannte Zentrumslasten. Das sind Leistungen etwa im Kultur- und Freizeitangebot, im öV oder bei Sicherheitsaufgaben, von denen die Bevölkerung ausserhalb der Stadt profitiert, ohne dafür eine Abgeltung zu entrichten. 2021 erbrachte St.Gallen gemäss Studie Zentrumslasten von rund 43,8 Millionen Franken. Davon abgezogen werden Standortvorteile und Nutzen, die die Stadt aus diesen Leistungen selber hat. Die Netto-Zentrumslasten lagen 2021 damit bei 28,4 Millionen Franken. Davon abgegolten wurden 16,2, nicht abgegolten wurden folglich 12,2 Millionen. Die aktuelle Studie zu den St.Galler Zentrumslasten ist im Internetauftritt der Stadt einsehbar.

Zweites Element der Zusatzlasten sind sogenannte soziodemografische Sonderlasten. Sie fallen an, weil in grossen und grösseren Städten die Sozialkosten im Vergleich zu kleineren Gemeinden überproportional hoch sind. Die hohe Belastung der St.Galler Stadtkasse durch diese Kosten rührt vom hohen Selbstbehalt von 40 Prozent, der nach Meinung des Stadtrats ungenügenden Berücksichtigung gesellschaftlicher Strukturen sowie der absoluten Höhe der Sozialkosten her. Die soziodemografischen Sonderlasten lagen 2021 in der Stadt St.Gallen bei 31,7 Millionen Franken. Davon wurden 17,9 Millionen durch den Kanton abgegolten. 13,8 Millionen musste die Stadt selber tragen.

Das dritte Element der Zusatzlasten ist ein Verteilschlüssel für die ÖV-Kosten, der gemäss Stadtrat die Stadt St.Gallen benachteiligt. Daraus resultiert eine übermässige Pro-Kopf-Belastung. Während Wil pro Kopf für den öV 163, Rapperswil-Jona 148 und Gossau 112 Franken ausgibt, liegt die Belastung der Kantonshauptstadt pro Kopf der Bevölkerung bei 270 Franken. Das bedeutet eine jährliche Mehrbelastung für die Stadtkasse von rund 10 Millionen Franken (wobei ein kleiner Teil davon gemäss Stadtrat Markus Buschor durchs bessere Angebot gerechtfertigt ist). Die überproportionale Stadtsanktgaller Belastung resultiert aus Gewichtungen von Abfahrten und Bevölkerungszahl sowie dem vergleichsweise hohen Verteilschlüssel 50:50 zwischen Kanton und Gemeinden. (vre)

1 Kommentar zu St.Galler Stadtkasse in Nöten: Stadtregierung fordert fairen Finanzausgleich

  • mat sagt:

    Fair wäre auch, wenn sich die im grünen wohnenden und doch so toll, so nah an der Stadt wohnenden Menschen und deren Gemeinden im Nachbarkanton AR, also Teufen, Speicher usw. beteiligen würden.

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