St.Galler Festspiele: späte Absage

Die St.Galler Festspiele 2020 finden nicht statt – nach langem Zögern hat das Theater St.Gallen jetzt diesen Entscheid gefällt. Direktor Werner Signer sagt: «Es wäre blauäugig gewesen, noch weiterzuplanen.»
Von  Peter Surber
Der Klosterplatz bei der letzten Verdi-Oper, "Il Trovatore" 2019. (Bilder: Theater St.Gallen)

Am 29. April, als rundherum ein Festival nach dem andern abgesagt wurde, waren die St.Galler Festspiele noch eine der wenigen auffälligen Ausnahmen. Man gab die Hoffnung nicht auf, den Anlass in angepasster Form (im Theater statt auf dem Klosterplatz) doch noch durchführen zu können. Jetzt ist auch diese Hoffnung geplatzt, gestern abend hat die Geschäftsleitung von Konzert und Theater St.Gallen definitiv entschieden.

Der Fahrplan in Richtung Normalität erlaube es nicht, von einem geregelten Probenbetrieb innerhalb der dafür notwendigen Frist ausgehen zu können. Ebenso bleibe die Planungsunsicherheit bezüglich Veranstaltungen mit unter 1000 Besucherinnen und Besuchern bestehen, und die Frage der Öffnung der Grenzen sei weiterhin offen, heisst es im Communiqué des Theaters – abgeschickt am Dienstagmorgen noch vor der nachmittäglichen Bekanntgabe der Grenzöffnungen per 15. Juni.

Absage in Etappen

«Damit hat sich die letzte Hoffnung zerschlagen, dieser Ausnahmesaison doch noch zu einem künstlerisch würdigen Abschluss verhelfen zu können. Das tut uns leid für unser treues Publikum, für unsere Partner und für die Künstlerinnen und Künstler», wird Werner Signer, der Geschäftsführende Direktor zitiert.

Der erste Absageschritt war noch im März erfolgt: Damals gab das Theater bekannt, die Festspieloper, Verdis bisher nie in St.Gallen aufgeführten Stiffelio, vom Klosterplatz ins Theater zu verlegen.

Warum wartete man mit dem definitiven Entscheid jetzt so lang – aber doch nicht bis zum 27. Mai, das Datum, für welches der Bundesrat die weiteren Lockerungsschritte angekündigt hatte? Auf Nachfrage sagt Signer, er habe auf die Bundesratssitzung vom vergangenen Freitag gehofft, doch vergeblich: «Es gab keine Antwort auf die Situation im Kulturbereich.» Noch länger zu warten, wäre hingegen unmöglich gewesen, da für die Oper und das in der Kathedrale geplante Tanzstück Gegen den Strom im Minimum sieben Wochen Probezeit notwendig wären.

Szene aus Puccinis „Edgar“ 2018. (Bild: Theater St.Gallen)

Starten sollten die Festspiele am 26. Juni – in dieser kurzen Zeit die Tickets an das ebenso verunsicherte Publikum zu bringen, wäre ebenfalls nicht einfach gewesen.

Zweierlei Mass für Fliegerei und für Theater?

Die Absage sei «alles andere als leichtfertig» erfolgt. Wenn gegenwärtig der Flugbetrieb wieder aufgenommen werden könne, mit mindestens so engen Platzverhältnissen in einem Flugzeug wie in einem Theater, so wäre es «nicht so abwegig» gewesen, auch Lösungen für kulturelle Veranstaltungen zu finden, kritisiert Signer. Es sei schmerzlich, dass der Gesundheitsminister, der auch für die Kultur zuständig ist, Kulturveranstaltern keine Perspektive aufzeige.

Das St.Galler Festspielprogramm 2021 steht bereits, wird aber erst im Juni publiziert – das Theater prüft, ob einzelne jetzt ausgefallene Programmteile 2022 realisiert werden könnten. Lösungen sucht das Theater laut Signer auch für die beteiligten Künstlerinnen und Künstler; wenn es keine Ersatzengagements gebe, stehe ihnen 80 Prozent der Löhne via Kurzarbeitsentschädigung zu. «Das Problem darf nicht bei den Künstlern liegenbleiben», sagt Signer.

Offen sei, was mit den Sponsorengeldern passiert. Signer hofft auf eine Umlagerung auf das kommende Jahr, die Gespräche darüber ständen noch bevor.

«Analoger» Abschied im kleinen Stil

Ganz ohne Theater soll die «Ausnahmespielzeit» 2019/20 dennoch nicht zu Ende gehen. Unter dem Vorbehalt, was der Bundesrat Ende Mai entscheidet und wie sich die Pandemie-Situation entwickelt, plant das Theater ein kleineres coronataugliches Finale, mit dem das Theatergebäude vor der Renovation verabschiedet werden kann. «Wir produzieren zwar aktuell unsere Online-Formate. Aber wir wollen wenn immer möglich noch im Juni wieder analog spielen und zum Ursprung des Theaters zurückkehren», sagt Signer.

Das Theater Konstanz will, anders als St.Gallen, im Sommer spielen: auf dem Münsterplatz, hier die Infos. Ob das Hygienekonzept aber taugt, ist umstritten, Hintergründe dazu im Bericht von thurgaukultur.ch.

Wenigstens einen praktischen Vorteil, wenn man dies so nennen wolle, habe die Absage: Die technischen Abteilungen könnten in aller Ruhe vom alten Haus in ihre neuen provisorischen Räume umziehen. Und so weh das Nein zu den Festspielen tue: «Es ermöglicht uns, die Gedanken wieder nach vorne zu richten. Wir sind auf dem Tiefpunkt angelangt – jetzt kann es nur noch aufwärts gehen.»

Die Baustelle des Theaterprovisoriums vor der St.Galler Tonhalle. (Bild: Su.)