St.Gallen: Pionierin der Betongeschichte

Dass am Ende des 19. Jahrhunderts die blühenden Stickerei- und Textilfirmen auch viel Geld für repräsentative Bauten aufwarfen, lässt sich bis heute in der Stadt erleben. Einiges zu dieser Geschichte wissen die architektur- und bauinteressierten Stadtbewohnerinnen und -bewohner. Etwa dass strenge planerische Vorgaben das Museums- oder das Simon-Quartier zwischen Bahnhof- und Poststrasse hervorgebracht haben – letzteres benannt nach Architekt Bernhard Simon. Zum verbreiteten Bauwissen zählen auch Namen wie jene von Ingenieur Robert Maillart oder jene der damals grossen Architekturbüros. Doch Peter Röllin, Kunst- und Architekturhistoriker und Stadtsankgaller in Rapperswil-Jona, rollt die Geschichte vor allem an konkreten Objekten auf.
Vorangestellt ist eine Fotoserie von Katalin Deér. Sie zeigt einige von St.Gallens markantesten Betonbauten. Im Text erfahren wir dann die Entwicklungsgeschichte des Betons und lesen, dass schon 1869 in der Stadt die ersten Zementrohre verlegt wurden. Eisenbeton wurde ab 1895 in St.Gallen von den Behörden als Konstruktionsart bewilligt. Die früheste Anwendung dürfte die alte Post Linsebühl (1897) gewesen sein, hat Röllin recherchiert.
Ganz in der Nähe sind auch die Linsebühlkirche und das Volksbad in damals modernster Bautechnik entstanden. Ein Detail dazu: Das Volksbad wurde über eine eigene Wasserleitung vom Broderbrunnen her gespiesen. Die Steinachüberdeckung in der Lämmlisbrunnenstrasse, aber auch die Staumauer des Gübsensees sind weitere Betonpionierbauwerke. Und nicht zu vergessen die Filterhalle des Wasserwerks im Rietli in Goldach mit ihren Pilzstützen von Robert Maillart. Vor acht Jahren wurde dieses Baudenkmal zerstört.
Peter Röllin schildert Details zu den Grossbauten Bahnhof und Hauptpost und erwähnt die lang anhaltende Ablehnung des Sichtbetons: Von der Felsenstrasse-Brücke bis zum Wasserturm, alles musste verkleidet werden. Erst ab den 1960er-Jahren durfte sich Sichtbeton zeigen. Damals entstanden die Bruder-Klaus-Kirche in Winkeln mit ihrem «Seelenabschussrampen»-Dach, die Universität und viele weitere Betongebäude, die bis heute zeigen, wie sie konstruiert sind.
St.Gallens Betongeschichte wird im Magazin «Modulor» bis heute nachgeführt. Clementine Hegner-van Rooden und Marko Sauer stellen – sehr technisch gehalten – die drei neusten Beispiele in der Stadt vor: die Fernwärmezentrale in der Waldau, das Namics-Bürogebäude an der Unterstrasse und die jüngste Etappe der Helvetia-Erweiterung auf dem Rosenberg.
Zwei weitere Texte im Magazin hat Marko Sauer, der neue «Modulor»-Chefredaktor, der St.Gallen als früherer Mitarbeiter des städtischen Hochbauamtes bestens kennt, aus der Serie über gutes Bauen aus dem St.Galler Tagblatt übernommen: den einen übers Stadttheater und den anderen über die Achseln-Türme.
Das Heft oder die einzelnen Beiträge gibts gegen Bezahlung auch online: modulor.ch