St.Gallen ist Erika

St.Gallen mag zwar keine Kunstdebatte haben, dafür mit Erika Sieber eine Aktionskünstlerin und Stadtaktivistin. Erika wer? Gute Frage.
Von  Simone Volande

Wer steckt hinter dieser Identität? Diese Frage hat sich Erika selbst gestellt. Und eine ultimative Vielheit an Antworten gefunden. Wer ist Erika Sieber, habe auch ich gefragt, und als Antwort Buchstabensuppe gekriegt (Titelbild), inklusive Gemüsebouillon der Marke Knorr. Dazwischen aufschlussreiche Notizen wie Blinzelsolo, Calluna vulgaris, Maierisli und lalala, Leute an Schuhe fassen, erstarren und Rhythmuswechsel.

erika_2Keine hochgestochene Pressemitteilung mit Worten wie «Konzept», «Diskurs» oder «Telos», sondern – Buchstabensuppe und eine verrissene Setlist. Ein äusserst provokativer Umgang mit Öffentlichkeit. Wer braucht überhaupt Identität? «Letztlich sind Identitäten vor allem auf der Grundlage von Differenz konstruiert und nicht jenseits von ihr» schrieb der unlängst verstorbene britische Soziologe Stuart Hall 1996. Differenz ist jeweils das Ergebnis einer Subtraktion. Anstatt sich an einem a priori abzuziehen, geht Erika ab durch die Mitte, in punkscher Just-do-it!-Manier, Aktion statt Reflexion.

Ein Heide(n)kraut anstelle des heiligen Mannes

Der Verweis auf die spezifische Erika-Art «Calluna Vulgaris», zu deutsch «Besenheide» lässt dann doch ein paar Rückschlüsse auf das wilde Schaffen der Stadtaktivistin zu. Calluna, von griechisch kallyno, bedeutet soviel wie «ich reinige, ich fege». So ist der Aktivismus der Erika konstruktiv zu verstehen. Erika Sieber tauchte unter anderem bereits beim Protest gegen die Entlassung von Tomas Gerig auf; eine Erika ersetzte auch schon vorübergehend Patron Vadian auf seinem Sockel.

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Protest gegen machoide Führungsfiguren wurde auch gestern im Nextex zelebriert: Mit Zimmermannsnägel konnte man auf einem Schafott Doppeldotter-Eier festnageln, passend zu Ostern ein bescheidenes Zitat an den russischen Aktionskünstler Pjotr Pawlenski, der seine Hoden auf dem roten Platz in Moskau festnagelte, um gegen die politische Passivität seiner Landsleute zu protestieren.

Wirkungskräftige Aktion

Ein Besucher des Kunsttreffpunkts Nextex fühlte sich dabei tief in seiner Männlichkeit verletzt, und wollte nicht verstehen, wie man so etwas gut finden kann. Das sei einfach dumm. Gerade damit bewies er aber die Wirkungskraft der Aktion: Der Männlichkeitswahn von Herrscherfiguren sollte gerade in Ländern thematisiert werden, wo Homosexuelle gesetzlich diskriminiert werden, wie in Russland, oder in Ländern, wo es paranoide Anti-Feministen gibt, die von einer Überfeminisierung der Gesellschaft sprechen, wie in der Schweiz.

Traditionelle Vaterfiguren mit geschlechtsfreiem, blumigem Gestrüpp zu ersetzen ist dabei sicher ein humorvoller Beitrag zu solchen Diskursen, Eier mit 100er-Nägel zu erledigen dagegen ein eher radikales Sinnbild für deren Absurdität. St.Gallens Version von Vojna und Pussy Riot bleibt damit ein facettenreiches Rätsel. Man darf gespannt sein, wo, und vor allem wie Erika Sieber das nächste Mal aus der Klandestinität auftaucht. Von ihr hören wird man bestimmt.