Spitalhochhaus: Kein Schutz

Das Kantonsspital St.Gallen ist seit Jahren eine grosse Baustelle. Den aktuellen Planungen steht das Hochhaus im Weg. Dieser typische 70er-Jahre-Bau hätte zwar den Status eines Baudenkmals verdient – doch der Stadtrat will sich nicht mit der Spitalplanung anlegen.
Von  René Hornung
Brutalistisch: Der untere Eingang des Hauses 04. (Bild: rh)

Die Diskussion um den aus betrieblicher Sicht unpraktischen, 20 Stockwerke hohen St.Galler Spitalturm läuft schon seit Jahren. Der fast quadratische Grundriss des «Hauses 04» gilt als ineffizient, die Mehrbett-Zimmer entsprechen nicht mehr dem aktuellen Standard. Die Patient:innenbetreuung ist aufwändiger als in den Neubauten. Das Spital möchte den Turm deshalb am liebsten abbrechen.

Gute Architektur oder hässlicher Klotz?

Doch schon seit über drei Jahren liegt ein Gutachten des Zürcher Kunst- und Architekturhistorikers Michael Hanak vor, der im Auftrag der stadtsanktgaller Denkmalpflege die Schutzwürdigkeit des Baus abklärte. Hanak kommt zu einer klaren Bewertung: «Beim Turmhochhaus des Kantonsspitals St.Gallen handelt es sich um ein Schutzobjekt im Sinn des Planungs- und Baugesetzes des Kantons St.Gallen. Als Baudenkmäler gelten ‹herausragende bauliche Objekte und Ensembles von besonderem kulturellem Zeugniswert, wie Ortsbilder, Baugruppen, Bauten und Bauteile, Anlagen sowie deren Umgebung, feste Ausstattungen und Zugehör›.»

(Bild: Stadtarchiv, Foto Gross, April 1975)

Gutachter Hanak begründet seine Bewertung mit der sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen, der städtebaulichen, architektonischen und architekturgeschichtlichen Bedeutung des Baus. Das Hochhaus sei damals das grösste Bauvorhaben des Spitals gewesen und damit ein Zeichen «für die epochale Erneuerung der Infrastruktur und der medizinischen Entwicklung». Es sei eine Landmarke im Stadtbild und von hoher baukünstlerischer Qualität mit differenzierter Volumetrie und Farbigkeit – «ein für seine Zeit typischer Spitalbau der Nachkriegsmoderne.»

Der dunkle Turm des Kantonsspitals ist als zeittypischer Vertreter der 1970er-Architektur nicht unumstritten. Auch wenn der Experte ihn als schutzwürdig bezeichnet, gefällt er in Architektenkreisen vielen Fachleuten nicht. Die Planungen gehen bis 1964 zurück. Der damalige Stadtbaumeister Paul Biegger – von ihm stammt der Entwurf für die Rondelle auf dem St. Galler Marktplatz – hatte anfänglich Bedenken gegen einen so hohen Turm. Doch 1970 hiessen die Stimmberechtigen im Kanton 33,5 Millionen Franken für den Bau gut. Die Stadt steuerte zusätzliche 7,5 Millionen bei. Noch während des Baus gab es Planäderungen, weil andere Kliniken als ursprünglich vorgesehen im Hochhaus eingerichtet wurden. Im November 1975 wurde das Haus offiziell in Betrieb genommen und seit 1982 wurden mindestens achtmal verschiedene Geschosse umgebaut und Fenster erneuert.

Geplant wurde das Hochhaus von den Architekturbüros Baerlocher & Unger, Müller & Facincani, St.Gallen. Für die äussere Gestaltung wurde Architekt Walter M. Förderer beigezogen. Er schlug Änderungen an der zugespitzten Südostecke und an der Nordostecke vor und erreichte so eine plastischere Wirkung des Baukörpers. Förderer hatte mit den Architektenkollegen Rolf Georg Otto und Hans Zwimpfer auch die Universität auf dem Rosenberg, sowie das Schulhaus Boppartshof und unter anderem auch die Kirche Lichtensteig geplant.

Der Experte hebt die optische Aufgliederung des Turms hervor. Die mehrheitlich braunen, mit Blech verkleideten Fassaden sind mit weissen Betonplatten vertikal gegliedert. Sie enden unter den zwei obersten Geschossen, was den Turm zusätzlich akzentuiert, ihn aber im Stadtbild fast verschwinden lässt. Der Sockel, den man aus der Nähe wahrnimmt, ist dagegen hell. Im Innern sind die Stockwerke nach dem Windradschema organisiert. Wo sie umgebaut wurden, sind die Oberflächen in der ursprünglichen Art erneuert worden. Besonders erwähnt wird auch das Wandbild von Walter Burger am vertieft liegenden Eingang auf der Nordseite.

Aufgrund dieses Expertenberichts wollte das Kantonsspital wissen, ob die Stadt das Hochhaus auch wirklich unter Denkmalschutz stellen würde und verlangte in einem «Provokationsverfahren» einen Entscheid. Das Resultat ist seit ein paar Tagen bekannt: Der Stadtrat schützt das Hochhaus nicht. Im Vorfeld hatte sich auch keine Partei für den Schutz eingesetzt – auch der Heimatschutz nicht. Dem Spital – so kann die Situation interpretiert werden – will niemand Steine in den Weg legen.

Abbruch vernichtet graue Energie

Die St.Galler Diskussion um ältere Spitalgebäude ist kein Einzelfall. Dabei geht es allerdings selten um denkmalpflegerische, sondern – viel stärker – um Nachhaltigkeitsaspekte. Der Abbruch eines erst 50 Jahre alten Gebäudes vernichtet nämlich grosse Mengen grauer Energie. In Bau- und Architekturkreisen ist deshalb inzwischen klar, dass die Weiternutzung von Bausubstanz ein wichtiger Beitrag zur Erreichung der Klimaziele ist.

Eric Honegger, Mitgründer des Baubüros in situ, hält im Zusammenhang mit der Umnutzung der SBB-Werkstätten in Zürich in der Zeitschrift «Hochparterre» fest: «Am besten ist es, im Bestand zu bauen, das zweitbeste ist Umnutzen, Anpassen.» Das Baubüro in situ hat sich im Auftrag der Ortsbürgergemeinde St.Gallen auch mit der künftigen Nutzung des Kinderspitals befasst und schlägt dort mindestens den Umbau des Bettenhauses zu Wohnungen vor.

Umnutzungsdiskussionen laufen schweizweit für mehrere Spitalbauten: In Basel wurde das ehemalige Felix-Platter-Spital bereits zu Wohnungen umgebaut. In Zürich gibt es Widerstand gegen den Abbruch von drei Personalhäusern des Triemli-Spitals und des Kinderspitals. In Baden und Altdorf opponieren lokale Gruppen gegen den Abbruch nicht mehr genutzter Spitalgebäude – um nur wenige Beispiele zu nennen.

In St.Gallen wurde zwar ebenfalls über den Umbau des Hochhauses zu Büros, allenfalls auch zu einem Hotel, diskutiert, doch eine vertiefte Prüfung neuer Nutzungen fand bisher nicht statt. Dazu bleibt allerdings genügend Zeit, denn das Kantonsspital selbst sagt, dass das Haus 04 die nächsten zehn Jahre noch gebraucht wird. Wie dann die Spitallandschaft aussehen wird und ob angesichts von Überkapazitäten und steigenden Spitaldefiziten die aktuelle Bautätigkeit weitergehen kann, ist völlig offen. Gut möglich, dass das Spitalhochhaus auch ohne Denkmalschutz noch sehr lange stehen bleiben wird.