Spiel mit Erwartungen und Enttäuschungen

Blick in die Ausstellung Wonder Lust von Atiéna R. Kilfa. (Bild: Sebastian Stadler) 

In der Lokremise St.Gallen ist die erste Schweizer Einzelausstellung von Atiéna R. Klifa zu sehen. Die kompositorische Schau «Wonder Lust» besticht durch dramaturgische Stringenz und inszenatorische Schlichtheit – und setzt damit einen Kontrast zum Zeitgeist.

Zeit­ge­nös­si­sche Kunst hat es sich längst zur Auf­ga­be ge­macht, ge­sell­schaft­li­che The­men zu re­flek­tie­ren. Die Ge­sell­schaft je­doch zum ei­gen­stän­di­gen Re­flek­tie­ren an­zu­re­gen und sie so ge­wis­ser­mas­sen in den Pro­zess der Post­pro­duk­ti­on ei­nes Kunst­werks ein­zu­be­zie­hen – das schafft sie dann doch nur sel­ten.

Mit dem Auf­takt zur neu­en Aus­stel­lung in der LOK mar­kiert das Haus – ganz in der Tra­di­ti­on des Test­la­bors des Kunst­mu­se­ums St.Gal­len – ei­ne Pre­mie­re: Die 1990 in Frank­reich ge­bo­re­ne und mitt­ler­wei­le in Deutsch­land le­ben­de Künst­le­rin Atié­na R. Kli­fa stellt erst­mals so­lo in der Schweiz aus. Sie ist je­doch kei­ne Un­be­kann­te mehr, we­der in in­sti­tu­tio­nel­len Kon­tex­ten noch auf dem Kunst­markt.

2022 zeig­te Kli­fa ei­ne Ein­zel­aus­stel­lung im KW In­sti­tu­te for Con­tem­po­ra­ry Art in Ber­lin, wo Ku­ra­to­rin Me­la­nie Büh­ler erst­mals auf ihr Werk auf­merk­sam wur­de – der Aus­gangs­punkt für ih­re Zu­sam­men­ar­beit für «Won­der Lust». In den fol­gen­den Jah­ren eta­blier­te sich Kli­fa mit Ein­zel­aus­stel­lun­gen im Cam­den Art Cent­re in Lon­don (2023) und im Den Frie in Ko­pen­ha­gen (2024) wei­ter in re­nom­mier­ten In­sti­tu­tio­nen. Die Stä­del­schu­le-Ab­sol­ven­tin, die nach ih­rem Ab­schluss 2022 nach Ber­lin zog, wur­de 2024 mit dem «ars vi­va»-Preis des Kul­tur­krei­ses der deut­schen Wirt­schaft aus­ge­zeich­net. Be­reits 2021 war sie auf der Lis­te Art Fair der Art Ba­sel ver­tre­ten, die sich auf jun­ge Künst­ler:in­nen und Neu­ent­de­ckun­gen spe­zia­li­siert. Für «Won­der Lust» in der LOK prä­sen­tiert sie neue Ar­bei­ten, die ei­gens für die Räum­lich­kei­ten des Hau­ses ent­stan­den sind.

Die Wahr­neh­mung hin­ter­fra­gen

In «Won­der Lust» – ein be­wusst ge­wähl­tes Wort­spiel mit Wan­der­lust (Fern­weh) – wid­met sich Kil­fa dem Mo­tiv der Be­we­gung und spielt da­bei mit Er­war­tun­gen und de­ren Ent­täu­schung. Zen­tra­le The­men sind das Rei­sen, das Kom­men und Ge­hen, aber auch das In­be­sitz­neh­men des Frem­den so­wie die Fort­dau­er im­pe­ria­lis­ti­scher Struk­tu­ren in un­se­rem Den­ken. 

Im Zen­trum der Aus­stel­lung steht die Vi­deo­ar­beit Land­fall (2025). Sie zeigt ei­ne Fi­gur, die den Be­trach­ten­den den Rü­cken zu­wen­det und in ei­ne weit­läu­fi­ge, gelb­lich ge­fil­ter­te Land­schaft blickt. In der Fer­ne blinkt ein Leucht­turm, je­doch oh­ne er­sicht­li­ches Mus­ter oder dra­ma­tur­gi­sche Zu­spit­zung. Das Bild wirkt künst­lich ent­frem­det, fast so, als wä­re es von ei­ner KI ge­ne­riert wor­den. Da­durch wird nicht nur das Dar­ge­stell­te hin­ter­fragt, son­dern auch die Wahr­neh­mung der Be­trach­ten­den: Was er­war­ten wir von ei­nem Film, der kei­ne Ge­schich­te er­zählt? Kli­fa spielt mit die­ser Span­nung – dem Ge­fühl des War­tens und der un­aus­ge­spro­che­nen Hoff­nung auf ei­ne dra­ma­tur­gi­sche Wen­dung, die nie ein­tritt.

In ih­rer Er­öff­nungs­re­de be­ton­te Me­la­nie Büh­ler, dass sich die LOK künf­tig stär­ker auf die Prä­sen­ta­ti­on ein­zel­ner Wer­ke kon­zen­trie­ren wol­le, an­statt wie bis­her vie­le un­ter­schied­li­che Po­si­tio­nen in ei­ner Aus­stel­lung zu ver­ei­nen. Die­se ku­ra­to­ri­sche Neu­aus­rich­tung zeigt sich be­reits in «Won­der Lust»: Die In­sze­nie­rung ver­zich­tet auf im­mersi­ve Ef­fek­te wie Sitz­land­schaf­ten, lau­te Film­ge­räu­sche oder über­di­men­sio­na­le Lein­wän­de und setzt statt­des­sen auf ei­ne dich­te Dra­ma­tur­gie, ei­nen strin­gen­ten ku­ra­to­ri­schen Fa­den und ei­ne ar­chi­tek­to­nisch sen­si­ble Ein­bet­tung in den in­dus­tri­el­len Kon­text des Ge­bäu­des.

Die Skulptur Wind Machine. (Bild: Lilli Kim Schreiber) 

Hin­ter der Lein­wand ver­stärkt das Vi­deo­still Land­fall at Sun­ri­se (2025) die­se Re­fle­xi­on. Wäh­rend die Rü­cken­fi­gur in der Vi­deo­ar­beit an­onym bleibt, rich­tet sich in die­sem Still der Blick des Man­nes di­rekt auf die Be­trach­ten­den. Es ist ei­ne Art ku­ra­to­ri­sche Spie­ge­lung: Der in­tro­spek­ti­ve Blick, den das Vi­deo evo­ziert, wird plötz­lich auf das Pu­bli­kum zu­rück­ge­wor­fen. Ein wei­te­res Ele­ment, das die Be­trach­ter:in­nen in den künst­le­ri­schen Pro­zess ein­bin­det, ist die Skulp­tur Wind Ma­chi­ne (2025). Durch das Dre­hen ei­ner Trom­mel er­zeu­gen sie ei­nen Klang, der sich mit der Ton­spur des Vi­de­os ver­mischt. Die­se In­ter­ak­ti­on macht sie – zu­min­dest für ei­nen Mo­ment – zu ei­nem Teil der Post­pro­duk­ti­on.

Der gu­te Kunst­markt 

Par­al­lel zur Er­öff­nung von «Won­der Lust» setzt das Ku­ra­to­ri­um ei­nen un­er­war­te­ten Kon­tra­punkt: den Pop-up-Store Ma­de in St.Gal­len. Wie der Na­me an­deu­tet, fun­giert er als vor­ge­la­ger­ter Ver­kaufs­raum für Wer­ke von St.Gal­ler Künst­ler:in­nen. Laut Gi­an­ni Jet­zer, Di­rek­tor des Kunst­mu­se­ums St.Gal­len, wur­de das Pro­jekt erst vier Wo­chen vor der Ver­nis­sa­ge fi­nal be­schlos­sen – oh­ne fest­ge­leg­te Künst­ler:in­nen. Doch an­ge­sichts der rei­chen Kunst­sze­ne sei die Aus­wahl nicht schwer­ge­fal­len.

Be­mer­kens­wert ist, dass er sich 2019 als Ku­ra­tor der Art Ba­sel Un­li­mi­t­ed noch ge­gen den Wa­ren­fe­ti­schis­mus in der Kunst aus­sprach – nun aber ein Kon­zept wählt, das Kunst ex­pli­zit als Wa­re in­sze­niert. Der «gu­te Kunst­markt», wie Jet­zer den Store au­gen­zwin­kernd nennt, bie­tet Wer­ke von be­kann­ten und we­ni­ger be­kann­ten St.Gal­ler Künst­ler:in­nen an, dar­un­ter Be­ni Bi­schof, Clau­dia Ca­vie­zel so­wie die Kol­lek­ti­ve GAF­FA und U5 – mit Prei­sen zwi­schen 2 und über 1000 Fran­ken.

Im Pop-up-Store «Made in St.Gallen», der Teil der Ausstellung ist, gibt es Werke von St.Galler Künster:innen zu kaufen. (Bild: Lilli Kim Schreiber)

Ob die kon­se­quent um­ge­setz­te Wa­ren­för­mig­keit die da­hin­ter­lie­gen­de Aus­stel­lung ent­larvt oder selbst zur ei­gent­li­chen Kunst wird, bleibt ei­ne Fra­ge in­di­vi­du­el­ler Re­si­li­enz ge­gen­über der Kom­mer­zia­li­sie­rung von Kunst. Ein dau­er­haft be­trie­be­ner Pop-up-Store könn­te je­doch ei­ne span­nen­de Al­ter­na­ti­ve für Kunst­schaf­fen­de aus St.Gal­len sein, um ih­re Wer­ke zu prä­sen­tie­ren. Wäh­rend klas­si­sche Kon­zepts­to­res aus den In­nen­städ­ten ver­schwin­den, könn­te die­ses tem­po­rä­re Mo­dell neue We­ge er­öff­nen – und dar­über hin­aus zwei zen­tra­le Be­grif­fe der Kunst­wis­sen­schaft ver­bin­den: Kol­lek­ti­vi­tät und Kon­sum.

Atié­na R. Kli­fa – Won­der Lust: bis 6. Ju­li,  Kunst­raum Lok­re­mi­se St.Gal­len. 

Füh­rung mit Ku­ra­to­rin Me­la­nie Büh­ler: 17. Fe­bru­ar, 19 Uhr; wei­te­re öf­fent­li­che Füh­run­gen: 23. März und 18. Mai, je­weils 11 Uhr, so­wie 6. Ju­li, 14 Uhr.

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