Zeitgenössische Kunst hat es sich längst zur Aufgabe gemacht, gesellschaftliche Themen zu reflektieren. Die Gesellschaft jedoch zum eigenständigen Reflektieren anzuregen und sie so gewissermassen in den Prozess der Postproduktion eines Kunstwerks einzubeziehen – das schafft sie dann doch nur selten.
Mit dem Auftakt zur neuen Ausstellung in der LOK markiert das Haus – ganz in der Tradition des Testlabors des Kunstmuseums St.Gallen – eine Premiere: Die 1990 in Frankreich geborene und mittlerweile in Deutschland lebende Künstlerin Atiéna R. Klifa stellt erstmals solo in der Schweiz aus. Sie ist jedoch keine Unbekannte mehr, weder in institutionellen Kontexten noch auf dem Kunstmarkt.
2022 zeigte Klifa eine Einzelausstellung im KW Institute for Contemporary Art in Berlin, wo Kuratorin Melanie Bühler erstmals auf ihr Werk aufmerksam wurde – der Ausgangspunkt für ihre Zusammenarbeit für «Wonder Lust». In den folgenden Jahren etablierte sich Klifa mit Einzelausstellungen im Camden Art Centre in London (2023) und im Den Frie in Kopenhagen (2024) weiter in renommierten Institutionen. Die Städelschule-Absolventin, die nach ihrem Abschluss 2022 nach Berlin zog, wurde 2024 mit dem «ars viva»-Preis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet. Bereits 2021 war sie auf der Liste Art Fair der Art Basel vertreten, die sich auf junge Künstler:innen und Neuentdeckungen spezialisiert. Für «Wonder Lust» in der LOK präsentiert sie neue Arbeiten, die eigens für die Räumlichkeiten des Hauses entstanden sind.
Die Wahrnehmung hinterfragen
In «Wonder Lust» – ein bewusst gewähltes Wortspiel mit Wanderlust (Fernweh) – widmet sich Kilfa dem Motiv der Bewegung und spielt dabei mit Erwartungen und deren Enttäuschung. Zentrale Themen sind das Reisen, das Kommen und Gehen, aber auch das Inbesitznehmen des Fremden sowie die Fortdauer imperialistischer Strukturen in unserem Denken.
Im Zentrum der Ausstellung steht die Videoarbeit Landfall (2025). Sie zeigt eine Figur, die den Betrachtenden den Rücken zuwendet und in eine weitläufige, gelblich gefilterte Landschaft blickt. In der Ferne blinkt ein Leuchtturm, jedoch ohne ersichtliches Muster oder dramaturgische Zuspitzung. Das Bild wirkt künstlich entfremdet, fast so, als wäre es von einer KI generiert worden. Dadurch wird nicht nur das Dargestellte hinterfragt, sondern auch die Wahrnehmung der Betrachtenden: Was erwarten wir von einem Film, der keine Geschichte erzählt? Klifa spielt mit dieser Spannung – dem Gefühl des Wartens und der unausgesprochenen Hoffnung auf eine dramaturgische Wendung, die nie eintritt.
In ihrer Eröffnungsrede betonte Melanie Bühler, dass sich die LOK künftig stärker auf die Präsentation einzelner Werke konzentrieren wolle, anstatt wie bisher viele unterschiedliche Positionen in einer Ausstellung zu vereinen. Diese kuratorische Neuausrichtung zeigt sich bereits in «Wonder Lust»: Die Inszenierung verzichtet auf immersive Effekte wie Sitzlandschaften, laute Filmgeräusche oder überdimensionale Leinwände und setzt stattdessen auf eine dichte Dramaturgie, einen stringenten kuratorischen Faden und eine architektonisch sensible Einbettung in den industriellen Kontext des Gebäudes.
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Die Skulptur Wind Machine. (Bild: Lilli Kim Schreiber)
Hinter der Leinwand verstärkt das Videostill Landfall at Sunrise (2025) diese Reflexion. Während die Rückenfigur in der Videoarbeit anonym bleibt, richtet sich in diesem Still der Blick des Mannes direkt auf die Betrachtenden. Es ist eine Art kuratorische Spiegelung: Der introspektive Blick, den das Video evoziert, wird plötzlich auf das Publikum zurückgeworfen. Ein weiteres Element, das die Betrachter:innen in den künstlerischen Prozess einbindet, ist die Skulptur Wind Machine (2025). Durch das Drehen einer Trommel erzeugen sie einen Klang, der sich mit der Tonspur des Videos vermischt. Diese Interaktion macht sie – zumindest für einen Moment – zu einem Teil der Postproduktion.
Der gute Kunstmarkt
Parallel zur Eröffnung von «Wonder Lust» setzt das Kuratorium einen unerwarteten Kontrapunkt: den Pop-up-Store Made in St.Gallen. Wie der Name andeutet, fungiert er als vorgelagerter Verkaufsraum für Werke von St.Galler Künstler:innen. Laut Gianni Jetzer, Direktor des Kunstmuseums St.Gallen, wurde das Projekt erst vier Wochen vor der Vernissage final beschlossen – ohne festgelegte Künstler:innen. Doch angesichts der reichen Kunstszene sei die Auswahl nicht schwergefallen.
Bemerkenswert ist, dass er sich 2019 als Kurator der Art Basel Unlimited noch gegen den Warenfetischismus in der Kunst aussprach – nun aber ein Konzept wählt, das Kunst explizit als Ware inszeniert. Der «gute Kunstmarkt», wie Jetzer den Store augenzwinkernd nennt, bietet Werke von bekannten und weniger bekannten St.Galler Künstler:innen an, darunter Beni Bischof, Claudia Caviezel sowie die Kollektive GAFFA und U5 – mit Preisen zwischen 2 und über 1000 Franken.
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Im Pop-up-Store «Made in St.Gallen», der Teil der Ausstellung ist, gibt es Werke von St.Galler Künster:innen zu kaufen. (Bild: Lilli Kim Schreiber)
Ob die konsequent umgesetzte Warenförmigkeit die dahinterliegende Ausstellung entlarvt oder selbst zur eigentlichen Kunst wird, bleibt eine Frage individueller Resilienz gegenüber der Kommerzialisierung von Kunst. Ein dauerhaft betriebener Pop-up-Store könnte jedoch eine spannende Alternative für Kunstschaffende aus St.Gallen sein, um ihre Werke zu präsentieren. Während klassische Konzeptstores aus den Innenstädten verschwinden, könnte dieses temporäre Modell neue Wege eröffnen – und darüber hinaus zwei zentrale Begriffe der Kunstwissenschaft verbinden: Kollektivität und Konsum.
Atiéna R. Klifa – Wonder Lust: bis 6. Juli, Kunstraum Lokremise St.Gallen.
Führung mit Kuratorin Melanie Bühler: 17. Februar, 19 Uhr; weitere öffentliche Führungen: 23. März und 18. Mai, jeweils 11 Uhr, sowie 6. Juli, 14 Uhr.