Spiegelnde Wunderkugeln

Mäddel Fuchs hat über Jahre Tautropfen fotografiert. Die Sammlung erscheint jetzt als Buch in prachtvoller Aufmachung. Der in Speicher lebende Fotograf erweist sich einmal mehr als Meister der Bildmeditation.

Manch­mal glänzt ein ein­zel­ner, gross wie ei­ne Christ­baum­ku­gel, manch­mal rei­hen sich dut­zen­de an­ein­an­der, Per­len­ket­ten an den Fä­den ei­nes Spin­nen­net­zes. Manch­mal ein ge­knick­ter Halm, im Win­kel hat sich ein Hauch von Tau ge­sam­melt, hängt und hält. Manch­mal ein Ge­wim­mel von Trop­fen, in de­nen sich das Gras spie­gelt. Ein­mal im Tau­s­pie­gel ei­ne Kuh, ein Bau­ern­haus, auf dem Dach ste­hend.

Im­mer, Bild für Bild, ein Na­tur­wun­der.

Legende

Die be­tö­ren­de Welt der Tau­trop­fen hat es Mäd­del Fuchs an­ge­tan. Über ein Dut­zend Jah­re hin­weg hat er sie mit der Ka­me­ra be­ob­ach­tet, ei­ne Si­sy­phus-Ar­beit, er­zählt der im aus­ser­rho­di­schen Spei­cher le­ben­de Fo­to­graf. Im Früh­ling und im Herbst wa­ren die Chan­cen am bes­ten, im Som­mer wür­de der Tau zu rasch ver­duns­ten. Mög­lichst wind­still muss­te es sein, kalt war es oft, wenn sich der Fo­to­graf auf die Lau­er leg­te, dick ein­ge­packt im nas­sen Gras, das Ob­jek­tiv nur Mil­li­me­ter von den Tau­trop­fen weg. Je­de Be­we­gung, je­der Atem­zug konn­te das Bild zer­stö­ren.

«Ein lan­ger Lern­pro­zess», schreibt Mäd­del Fuchs im Vor­wort zu sei­nem Buch Dew­drops, «mit un­zäh­li­gen Ent­täu­schun­gen. Die Tau­trop­fen ge­wäh­ren dem Fo­to­gra­fen Zu­gang zu ih­rer Welt, aber nur lang­sam.» Mit der Zeit wur­den ihm die Trop­fen zu We­sen, In­di­vi­du­en mit ei­nem «In­nen­le­ben», wie er es nennt.

In die­se hoch­emp­find­li­che Welt taucht man in je­dem der ge­gen zwei­hun­dert im Buch ver­sam­mel­ten Trop­fen-Por­träts tie­fer ein. Die Trop­fen wir­ken auf ei­ne ei­gen­tüm­li­che Art be­lebt, sie sam­meln sich zu hei­te­ren Ge­sell­schaf­ten, spie­geln sich in­ein­an­der, bil­den Gir­lan­den ent­lang von Spin­nen­fä­den oder küh­ne Skulp­tu­ren im Zu­sam­men­spiel mit den Gras­hal­men. An­de­re hän­gen ein­zeln schwer am Halm, könn­ten sich je­den Mo­ment ab­lö­sen.

Das tun sie aber nicht: «Der glit­zern­de Trop­fen / wird nicht vom Busch­klee fal­len / so fein er auch schwankt», schreibt Hai­ku-Meis­ter Bas­hô sinn­ge­mäss in ei­nem der elf Ge­dich­te, die die Fo­tos durchs Buch be­glei­ten. Der fra­gi­le Trop­fen als Sinn­bild von Ver­gäng­lich­keit und Be­stän­dig­keit zu­gleich hat die ja­pa­ni­schen Dich­ter im­mer wie­der be­schäf­tigt – so auch Ko­ba­ya­shi Is­sa, ei­nen an­de­ren Gross­meis­ter des Kurz­ge­dichts, der uns «Gras­hüp­fer» au­gen­zwin­kernd auf­for­dert, die Tau-Per­len sei­en nicht da­zu da, nie­der­ge­tram­pelt zu wer­den.

Dass sei­ne Bil­der ja­pa­nisch an­mu­ten, ist Mäd­del Fuchs, wie er schreibt, früh schon auf­ge­fal­len. Spä­tes­tens bei ei­nem Be­such im Zen­klos­ter von Ka­na­za­wa stand der Wil­le fest, sei­ne Bil­der «auf ja­pa­ni­sche Art» zu pu­bli­zie­ren. Dass das Buch dann zwei­spra­chig, eng­lisch und ja­pa­nisch, und in kost­bars­ter Auf­ma­chung rea­li­siert wer­den konn­te, da­zu tru­gen ei­ne pri­va­te Stif­te­rin und der Zür­cher Ver­le­ger Se­bas­ti­an Cremers bei, der es in sei­ne «Ever­y­edi­ti­on» auf­ge­nom­men und erst­klas­sig be­treut hat.

Mäddel Fuchs

Mäd­del Fuchs: Dew­drops

178 Schwarz­weiss-Fo­to­gra­fien, Tex­te ja­pa­nisch/eng­lisch, ever­y­edi­ti­on Zü­rich 2024, Fr. 65.-

ever­y­edi­ti­on.ch

Die Dew­drops von Mäd­del Fuchs sind, wie schon sei­ne win­ter­li­chen Zaun­bil­der im Buch Hag um Hag (2010), ei­ne Ein­la­dung zur Ent­schleu­ni­gung. Beim sorg­sa­men Blät­tern im ru­hi­gen Rhyth­mus der Schwarz­weiss-Fo­to­gra­fien rü­cken nach und nach All­tags­wir­ren und Auf­re­gun­gen in den Hin­ter­grund. Die Bil­der ent­fal­ten ih­re ei­ge­ne, stil­le Er­eig­nis­haf­tig­keit. Und sie er­zäh­len von den Wun­dern, die die Na­tur für je­ne be­reit­hält, die sich ihr so hin­ge­bungs­voll zu­wen­den wie Fo­to­graf Mäd­del Fuchs.