Sound Crash – Im Herzen der Klänge

Auf Einladung von newart music/contrapunkt verwandelte das junge belgische Ensemble Fractales den Kultbau St. Gallen in ein Klanglabor. Vierzig Ohren öffneten sich für Spektralmusik und die neuen Radikalen der satten Töne. Daniel Fuchs hat mitgehört.
Von  Gastbeitrag

Eigentlich begann alles mit Claude Debussy. Sein Komponieren war ganz auf die «Clarté» ausgerichtet. Olivier Messiaen beschäftigte sich später mit der konsequenten Anwendung von Tonhöhen. Gerard Grisey und die Gruppe Itinéraire begründeten 1973 die Spektralmusik. Soviel vom Kanon. Es verwundert also nicht, dass das Komponieren unter Einbezug der Farbigkeit der Spektren vor allem im frankophonen Raum Schule machte. Zum Schluss ihrer Saison boten die Veranstalter von newart music/contrapunkt eine Expedition ins klangliche Nachbar- und Neuland.

Harte Kost

Mit dem Konzept der Sättigung arbeitet Rokh III (2012) von Raphaël Cendo. Dem Komponisten ist es wichtig, über die absolute Kontrolle der Noten zu gehen. In die instrumentalen Frequenzräume werden mit extremen Gesten komplexe Sounds projiziert. Gian Ponte am Konzertflügel, Renata Kambarova, Flöte, Marion Borgel, Violine und Diego Coutinho, Violoncello, spielen sich mit  äusserster Präzision durch die schnellen Änderungen der Spielmodi, der Grenze zum Kontrollverlust entlang.

Un Ciel fait d’herbe des Franzosen Claude Leloux zeigt, dass seine Suche im Osten auf fruchtbaren Boden fiel. Spürbar sind Erkenntnisse aus asiatischen Tonsystemen in sein kompositorischen Schaffen eingeflossen. Das der Komposition zu Grunde liegende Gedicht von Marc Imberechts wird vom Pianisten in den Resonanzraum des Flügels hineingeflüstert. Ein «moment musical» in einem Stück mit sprachlichem Charakter.

re/wind/re/write (2014) des brasilianisch-schwedischen Komponisten Ricardo Eizirk ist ein Duo für Klavier und Violoncello, zwei Performer inklusive. Mit perkussiven Fundstücken wird der klangliche Strom durch mechanisch präzise gesetzte Interaktionen angereichert. Das ist stupend im Setting und besitzt durchaus auch eine humoristische Note.

Natürliche und künstliche Muster

Ftérà (2014) bedeutet im Griechischen Flügel, Gefieder. In dem Trio für Bassklarinette, Viola und Klavier von Yann Robin spielt das thematisch eine zentrale Rolle. Schläge, Luft, Rascheln, Blasen: Benjamin Maneyrol, Bassklarinette, kann seine gesamte interpretatorische und atemtechnische Kunst entfalten. Gepulste Gestik, gehämmerte, körnige Klänge – bis diese selbst Ton freigeben.

Sinnigerweise klang das Programm mit einer Komposition von Altmeister Gerard Grisey aus. Erstaunlich, wie ungealtert Talea von 1987 daher kommt. Auf der Basis von repetierten rhythmischen Mustern, mit fixer Notation, bewegt sich das Werk konsequent der Befreiung von Ton und Klang entgegen. Das Ensemble Fractales ist in dieser Mission unterwegs, leidenschaftlich, mit dem Können der Erfahrung; im Repertoire viel im Wortsinn Unerhörtes für offene Ohren.

Newart music/contrapunkt sei zum Saisonabschluss für diese Hör-Perspektive und die Pionierarbeit gedankt. In unseren schweizerisch-deutschen Tonhallen und Sälen hörten wir gerne mehr Musik unserer Zeit, auch frankophone. Endlich einmal ein Stück von Grisey für grosses Orchester…pourquoi pas? C’est le son, qui fait la musique.