Rote Welle? Ja klar!
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Von Zeit zu Zeit gelangt es in die Öffentlichkeit und sorgt für Wirbel: Menstruationsblut. Beispielsweise durch die Aktion von Aktivistinnen in Zürich, die einen Brunnen rot färbten, um auf die hohen Kosten von Hygieneprodukten aufmerksam zu machen oder den aktuellen Beitrag der Fotografin Jade Bell zum Thema Bodyshaming.
Und hier ist er auch schon, der Begriff, unter dem das monatliche Bluten sonst verhandelt wird: Bodyshaming. Tja, wir leben im 21. Jahrhundert, jede von uns tut es von Zeit zu Zeit und doch ist es noch immer peinlich: der Besuch von Tante Rosa, die Erdbeerwoche oder auf der roten Welle zu reiten. Und diese Scham führt nicht nur dazu, dass wir Frauen penibel darauf achten, nicht als menstruierend wahrgenommen zu werden, sondern noch viel Schlimmer – das gesellschaftliche Tabu führt dazu, dass kaum eine(r) weiss, was es eigentlich mit diesem Phänomen auf sich hat.
Mythos Menstruation
Die Menstruation ist – welch Wunder – so alt wie die Menschheit selbst und hat im Laufe der Geschichte zu wilden Missverständnissen geführt. Ein wirklich lohnenswerter Artikel zur Kulturgeschichte der Menstruation zeigt, dass es aufgrund dieser biologischen Notwendigkeit zu allerhand absurden Theorien kam.
In der Antike beispielsweise war man (in diesem Fall Pythagoras) der Ansicht, dass die jeden Monat (lat. «mensis») auftretende Blutung der Reinigung gilt, um den Frauenkörper von zu viel Blut und Nährstoffen zu befreien. Hippokrates sah die Frau als ein weniger verdichtetes Wesen als den Mann an, und so mussten die überschüssigen Lebenssäfte logischerweise regelmässig abfliessen.
Der sonst so schlaue Aristoteles verfolgte ebenfalls die Theorie, dass überschüssiges Blut im Menschen abgesondert werden müsse. Da er den Mann als wärmer ansah als die Frau, schrieb er diesem die Eigenschaft zu, sein Blut zu kochen und in komprimierter und klarer Form abzuspritzen, während aus der Frau, dem niederen Wesen, der trübe Saft unkontrolliert herausläuft. Immerhin erkannte Aristoteles den Zusammenhang zwischen weiblichem Monatsblut und der Geburt, womit er den Frauen eine Verwandtschaft zu ihren Kindern zugestand, was ansonsten als reine Vatersache gesehen wurde. Meine Herren!
Grundsätzlich herrschte bis lang übers Mittelalter hinaus der Volksglaube, dass die Blutung giftig, unrein sowie unnütz sei, und die angebliche Minderwertigkeit der Frau an sich wurde unter anderem damit begründet. Gleichzeitig wurden dem Blut aber auch immer magische Kräfte zugesprochen und es war die Zutat vieler Zaubermittelchen und magischer Rituale.
Um mit diesem Humbug aufzuräumen, musste erst eine weise Frau kommen: Hildegard von Bingen erkannte den Zusammenhang von Menstruation und Fruchtbarkeit, wenn auch immer noch im Kontext von Sünde. Auch in der Aufklärung mühten sich einige grosse Denker weiter an der Natürlichkeit der Frauenkörper ab. Rousseau betrachtete die Blutung als Folge von Überfressenheit, Unbeweglichkeit und mangelndem Sex.
Man muss sich also nicht fragen, wo das heutige Anspruchsdenken an die Weiblichkeit seinen Ursprung hat… Im 19. und 20. Jahrhundert wurde so nach und nach der Zusammenhang mit der Fortpflanzung erkannt, allerdings mit dem Irrglauben, dass der Eisprung während der Menstruation stattfinde, ähnlich wie bei der Brunft vieler Säugetiere. Manche Ärzte sahen auch eine unerfüllte Schwangerschaft in der Blutung, und da die Mutterschaft als Daseinszweck der Frau galt, hielten sie es für erstrebenswert, dass diese zwischen erster und letzter Blutung ständig schwanger sein solle, um das Auftreten der Menstruation im gesamten Frauenleben zu verhindern.
Erst 1958 wurde dann bewiesen, dass das Blut nicht giftig ist, etwa zeitgleich kam der erste Tampon auf den Markt. Noch immer ist die Thematik aber mit Scham besetzt und wird nicht nur in der Werbung für Hygieneartikel verfälscht dargestellt. Dort tropft eine blaue Flüssigkeit auf den Tampon, während die Frau in einer weissen Hose joggen geht. Realität? Hallo?
Ebbe und Blut: Alles über die Gezeiten des weiblichen Zyklus
Luisa Stömer und Eva Wünsch sind zwei Grafikerinnen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, mit einem Buch ehrliche Aufklärungsarbeit zu leisten. In einem Zeitalter der in die «Daumenhaut verpflanzten Mikrochips, mag das auf den ersten Blick überflüssig wirken», schreiben sie im Vorwort zu Ebbe und Blut, aber auch wenn «Achtklässler mit Fahrradhelmen Pornos auf ihren Kindertelefonen anschauen können» und man sich eine Vagina mittels Webcam von innen anschauen kann, hat niemand wirklich eine Ahnung, wenn es um die essentiellen Fragen rund um den Uterus geht, aus dem wir schliesslich alle kommen.
Die Mitte des weiblichen Körpers – der Ursprung allen Lebens. «Trotz Google, gutefrage.net und Mädchenabenden ist grundlegendes Wissen an uns vorbeigegangen», schreiben sie weiter. Doch damit ist jetzt Schluss: In 14 Kapiteln plus kleiner Enzyklopädie und Quellenverzeichnis erklären die Autorinnen alles rund um den Zyklus. Zwischendrin schöne Zitate, zum Beispiel: «Von all den unglaublichen Heldentaten des weiblichen Organismus spüren wir herzlich wenig. Völlig unbeeindruckt braten wir Pfannkuchen, schrauben Regale an die Wände oder schlafen, während der Ursprung eines neuen Lebens im Bauch herum schwimmt…
Aufgemacht ist das Buch ein bisschen wie ein Poesiealbum: quadratisch mit viel Zartrosa und wundervollen Grafiken. Diese sind zumeist Collagen aus Retro-Fotografien, mit Blumen und Pflanzenornamenten, viel Schwarzweiss, schlicht und doch verspielt. Sehr passend zum sprachlichen Stil des Ratgebers, der sich klar an ein junges Zielpublikum wendet und in einem frechen und witzigen Ton sehr ansprechend einen Überblick über biologische Fakten, hygienische Massnahmen (vom Tampon bis zum Mooncup oder der freien Mens), Verhütungsmethoden und natürlichen Kräutern zur Linderung des Leidens schafft.
Dabei zeigt sich der Band in einer Vollständigkeit, wie es sich für ein gutes Aufklärungsbuch gehört, und birgt darüber hinaus ab und an kleine Details, die überraschen. Vorwiegend im Kapitel «Bloody Details» wo es um Marihuanazäpfchen, Astronautinnen und die Comenstruation von Freundinnen geht.
Ein Buch also für alle, die sich ein wenig Zeit nehmen wollen, um diese der Betrachtung des eigenen Uterus zu widmen. Dafür sollte schon ab und zu mal ein Moment drin sein, immerhin verbringen wir durchschnittlich 2300 Tage blutend in unserem Frauenleben. Und auch die Herren der Schöpfung sollten einen Blick in das Werk werfen, wenn sie sich nicht ganz zum Aristoteles machen wollen!