Sie wollen lockern? Nein, sie wollen sparen

Corona bringt zum Vorschein, was zuvor schon latent da war - je länger, je klarer. Im Fall der Wutbürger, Rechtsparteien und ihren Medienkanälen heisst die Parole: Mehr Egoismus, weniger Staat. Mehr Respektlosigkeit, weniger Solidarität. Ein Kommentar.
Von  Peter Surber

Es waren geradezu klassenkämpferische Töne, die Markus Somm, früherer Baz-Chefredaktor und Neo-Herausgeber des «Nebelspalters», in einer «Standpunkte»-Debatte der «Sonntags-Zeitung» im Januar von sich gab: Man hätte in der Frühphase der Pandemie die Spitäler hochfahren und das Pflegepersonal besser bezahlen müssen. Die Schweiz sei reich genug dafür. Es blieben dann aber die einzigen Töne in dieser Richtung – im übrigen wetterte Somm scharf und widerspruchs-resistent gegen den Bundesrat und den Lockdown.

Interessant auch Somms Erklärung, warum Verschwörungserzählungen so attraktiv geworden seien: Das liege daran, dass der Meinungspluralismus unterdrückt werde. Besonders unterdrückt wirkte er selber allerdings nicht. Konnte auch seine Meinung frei äussern und fiel den andern gern ins Wort.

«Überrissene Attacken»

Dabei ist Somm im Lärm der Rechtspublizistik noch eine der besonneren Stimmen. In der «Weltwoche» geifert Noch-SVP-Nationalrat Roger Köppel gegen den «vollgedröhnten» und «verseuchten» Bundesrat. Und auf der Plattform ostschweiz.ch marschiert eine ganze Truppe von Schreibern gegen die Coronamassnahmen auf. Letzten Freitag war es als Gastautor der selbsternannte Tierschützer Erwin Kessler.

Kessler täubelete mit Kriegsrhetorik («Dritter Weltkrieg») gegen den «neuen totalitär-diktatorischen Regierungsstil» der «kriminellen» Regierung oben in Bern, welcher die Demokratie abgelöst habe. Das war sogar dem «Ostschweiz»-Kolumnisten Gottlieb F. Höpli zuviel: In einem Mail an Redaktor Stefan Millius, das in Kopie auch an zahlreiche Medienschaffende ging, beendete Höpli per sofort seine Mitarbeit bei der «Ostschweiz», mit der Begründung: «Da geht es nicht mehr um Meinung, sondern um tatsachenwidrige Behauptungen und total überrissene Attacken von Seiten eines zwielichtigen Zeitgenossen.» In dem Umfeld wolle er nicht weiter publizieren.

Solche Hass-Attacken mehrten und mehren sich in dem Mass, wie die SVP in den letzten Wochen ihren letzten Anstand und politischen Verstand verloren hat und sich zum Sprachrohr eines lärmigen Anti-Massnahmen-Populismus macht. Der St.Galler Nationalrat Mike Egger mit seiner Forderung nach einem «Impeachment»-Verfahren, der Schwyzer Nationalrat Andreas Glarner als Administrator einer Facebook-Seite, die offen Morddrohungen gegen Bundesräte verbreitet, oder SVP-Milliardärin Martullo-Blocher mit ihren Angriffen gegen Bundespräsident und Finanzminister aus der eigenen Partei: Das sind Tiefpunkte einer politischen Un-Kultur.

Die Entmachtungs-Strategen

Die grassierende staatspolitische Verwirrung hat jetzt auch die nationalrätliche Wirtschaftskommission angesteckt: Die Mehrheit der Kommission aus SVP, FDP und CVP fordert in der laufenden Frühjahrssession des Parlaments in Bern das ultimative Ende des Lockdowns samt ins Gesetz gehämmertem Datum (22. März): Dann sollen Restaurants, Fitnesscenter, Freizeit- und Kultureinrichtungen wieder aufgehen. Sie will ausserdem der Covid-Taskforce einen Maulkorb anlegen (soviel zum Meinungspluralismus).

Der Bundesrat müsse in Sachen Corona entmachtet werden, heisst die Devise, die bis weit in die bürgerliche «Mitte» hinein mitgetragen wird. Das klingt demokratiepolitisch besorgt – absurderweise aus den Reihen eines Parlaments, das das Heft selber in der Hand hat, indem es gerade über ein Covid-Gesetz entscheidet. Und das ein Coronajahr lang Massnahmen und Kredite breit diskutiert, in Frage gestellt, angepasst, aber grundsätzlich mitgetragen hat, notabene im Einklang mit der Volksmehrheit.

Hinter der angeblichen Sorge um die Demokratie im Land verbirgt sich denn auch ein ganz anderes Projekt: Staats- und Sozialabbau. Den rechten Scharfmachern ist der Staat erklärtermassen ein Dorn im Auge. Und erst recht dann, wenn er sich als unverzichtbar erweist. Wenn er in die Kasse greift, um in der Krise zu retten, was zu retten ist. Wenn er Fallschirme aufspannt und Massnahmen-Netze knüpft, um zu verhindern, dass allzu viele Menschen im Land unter die Pandemie-Räder kommen.

Für die Freiheit? Nein, gegen den Staat

Eine rasche Öffnung aller Restaurants, Kultur-, Unterhaltungs-, Sport- und Freizeiteinrichtungen, wie sie die Kommission gegen den Widerstand von links fordert, würde nämlich vor allem eins bringen: Das faktische «Berufsverbot» wäre vom Tisch, es entfiele die Verpflichtung für Härtefallmassnahmen oder Ausfallentschädigungen.

Der Staat wäre fein raus – auch wenn er dies gar nicht will. Dass die hauptbetroffenen Branchen, die Gastronomie und die Kultur, selber mehrheitlich ebenfalls gegen eine Hauruck-Öffnung sind, interessiert offenbar nicht.

Die Folge: Die Gastrounternehmerin, der Musiker, das Kleintheater, der Clubinhaber, der Barbetreiber, das Open-Air-Festival und die Marktfahrerin müssten allein schauen, wie sie über die Runden kommen. Und dies mit einem Bruchteil der normalen Umsätze, mit Platzzahl-Beschränkungen, mit Zusatzpersonal, mit Schutzkonzepten und belastet von einem Loch in der Kasse vom letzten Jahr. Leicht vorherzusehen, dass die Zahl der Konkurse und Arbeitslosen in die Höhe schnellen würde. Leicht möglich, dass die angebliche Freiheit für Unzählige in einer Zwangslage endet.

Eine solche Politik ist nicht nur staats-, sondern auch wirtschafts- und lebensfeindlich. Aber mit ihr wird gerade hantiert in Bern, von Leuten, die sich Volks- und Wirtschaftsvertreter nennen. Man kann sie nicht ändern, denn das Virus bringt nur zutage, was als Haltung, als Charakter, als DNA schon da war. Man kann sie aber abwählen, sogar ohne Impeachment.