«Sie werden über uns urteilen» – Gute Sätze 2019
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Die Klimadebatte war das Thema, das dem Jahr 2019 zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung den Stempel aufgedrückt – und andere in den Hintergrund gedrängt hat. Dazu gehört die sogenannte Flüchtlingskrise, dazu gehört aber auch die Gleichstellungsdiskussion, die trotz Frauenstreik bereits wieder aus den Schlagzeilen verschwunden ist. Regional standen Gesundheitspolitik und Kulturdebatten weit im Vordergrund – und der Höhenflug des FC St.Gallen.
Nachstehend die Themen des Jahres im Spiegel der Saiten-Texte.
Hoffnung auf die grüne Wende – Klimakrise und Klimastreiks
Durch die Bewegung habe ich nun auch wieder Hoffnung. Hoffnung, dass wir es gemeinsam schaffen können, den Klimawandel zu stoppen. Hoffnung auf die grüne Wende, Hoffnung darauf, dass die Zeit gerade noch reicht. Diese Hoffnung hilft mir, die bedrückende Angst ab und an ein wenig zu vergessen.
Anna Miotto vom Kollektik Klimastreik Ostschweiz im Märzheft, online 4. März
Die Wirtschaft muss schrumpfen, sonst werden die Ressourcen der Welt restlos aufgefressen. Wie kann sie das, ohne dass sie kollabiert? Wie gelingt der Übergang zu Produktionsweisen und Sozialwerken, die nicht auf Wachstum angewiesen sind? Das sind die wichtigsten Fragen überhaupt für die Wirtschaftswissenschaften. Alle Wirtschaftsfakultäten sollen sich darauf konzentrieren. Auch an der HSG.
Bettina Dyttrich in ihrem 10-Punkte-Plan gegen die Klimakrise im Märzheft, online 13. März
Vor einer Weile wurde ich Vegetarier. Es ist nicht die Welt, aber es ist ein Anfang, um meinen eigenen CO2-Ausstoss zu senken, und es lässt sich leicht umsetzen. Jeder und jede kann auf Fleisch verzichten.
Gian Lüchinger vom Kollektiv Klimastreik Ostschweiz im Märzheft, online 19. März
Ich fühle mich ohnmächtig. Ohnmächtig, wenn ich im Stadtparlament sitze, wo die bürgerlichen alten Herren ‹wohlwollend› meinen Einsatz fürs Klima loben. Herablassend witzeln sie, ob ich auch in die Ferien fliege – und stimmen nachher ohne einen Moment des Zweifels gegen die Ausrufung des Klimanotstands.
Juso-Stadtparlamentarierin Andrea Scheck an der xten Klimademo in St.Gallen, online 18. Oktober
Seit die Klimabewegung in der Schweiz existiert, gab es immerhin einen Fortschritt: Die Klimakrise wird als solche erkannt. Von den meisten zumindest. Jetzt braucht es aber endlich wirkungsvolle Massnahmen. Mit den durchgeführten Aktionen wollen wir zeigen, dass wir es sehr ernst meinen. Wir werden nicht mehr nur streiken, sondern auch andere ausserparlamentarische Wege einschlagen.
Miriam Rizvi vom Kollektiv Klimastreik Ostschweiz vor der nationalen Klimademo vom 28. September, online 1. Oktober
Man kann darüber lächeln, lächeln ist immer gut, aber ich habe den grössten Respekt vor den jungen Leuten, die uns auf das Problem der Klimakatastrophe aufmerksam machen und dieses Problem nicht einfach hinnehmen wollen. Sie sind die Zukunft, und ich bin die Geschichte. Sie sind die Zukunft, und die heutige Bundesversammlung ist die Vergangenheit. Sie werden über uns urteilen und darüber, was wir gemacht haben, als wir sahen, dass die Erde in weiten Teilen unbewohnbar zu werden drohte.
Historiker Stefan Keller an der Medienkonferenz für eine grüne Bundesrätin, online 9. Dezember
Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit – Kultur und Kulturpolitik
Das Literaturhaus soll ein Gravitationszentrum des Worts sein, ein Ort, der zusammenbringt, was mit Lesen, Schreiben und mit Texten in einem weiteren Sinn zu tun hat.
Eva Bachmann über das Projekt eines St.Galler Literaturhauses im Aprilheft, online 7. April
Wenn man ihn brauchte, war er da
(Man brauchte ihn sehr häufig)
Er war sehr nützlich, immer nah
Der Kampf war ihm geläufig.
Hans Fässler in seinen «Elf Versuchen, den richtigen Ton zu finden» zur Pensionierung des St.Galler Comedia-Buchhändlers Pius Frey, online 15. Mai
Ich lebe mit einer offenen Rechnung – nicht nur mit dem Herrgott. Ich möchte nicht als Opfer dargestellt werden, aber ich will, dass man das Unrecht, das mir widerfahren ist, als solches anerkennt.
Uschi Waser, Opfer der administrativen Versorgung, zum Stück «Verminte Seelen» in der St.Galler Lokremise, online 20. Mai
Ich habe immer an das Projekt geglaubt und war überzeugt: Die Idee ist zu gut, als dass sie sterben kann. Jetzt weiss ich, dass das stimmt.
Musiker Peter Roth nach dem Ja der Bevölkerung zum Klanghaus Toggenburg, online 30. Juni 2019
Zwischennutzungen sind Möglichkeitsräume und geben Impulse für Projekte, die sonst nie stattfinden würden. Sie verstärken die Eigeninitiative. Das entspricht auch einem zeitgemässen Kulturbegriff, der das Gemeinsame vermehrt in den Fokus rückt. Heutzutage ist Kultur kooperationsfähig und pflegt einen konstruktiven Umgang mit Widersprüchen. Damit reagiert sie auch auf ein gesellschaftliches Bedürfnis. Das geniale Einzelkämpfertum ist immer weniger gefragt. Deshalb: Wann immer sich die Möglichkeit für eine Zwischennutzung ergibt – ergreift sie! Unbedingt und grundsätzlich.
Saiten-Co-Verlagsleiter Marc Jenny über die Zwischennutzung im Exrex, online 5. Juli
Faszination Glied® hat eine tendenziell aufputschende Wirkung und dient der Behandlung und Zuflucht vor der geschniegelten Welt und all ihrer durchorganisierten Lebensbereiche. Die Einnahme wird insbesondere empfohlen bei präsenilen Pubertätsstörungen, Stadionflucht, Affekthemmungen und Wortfindungsschwierigkeiten.
Prof. Dr. kult Hertler und Dr. mus voc Riedener auf dem Beipackzettel zum neuen Knöppel-Album im Oktoberheft, online 20. September
Bibliotheken sind ausgezeichnete Gesellschaftsorte mit einer Integrationskraft wie kaum eine andere Institution.
Katrin Meier, Leiterin des St.Galler Amts für Kultur, über die künftige «public library» im Oktoberheft, online 8. Oktober
Es ging ganz offensichtlich um etwas anderes: um ein grundsätzliches Misstrauen, sobald von «Kultur» die Rede ist. Es ist ein Misstrauen, das System hat. Eine Abwehrhaltung, die man einer Handwerker-Offerte, einem juristischen Gutachten oder einem Bauprojekt nie entgegenbringen würde, weil dort ja, zumindest vermeintlich, «messbare» Kriterien existierten. Das Misstrauen besteht aus einer beklemmenden Mischung von sachlicher Unkenntnis, bürgerlicher Geringschätzung und dem Argwohn, Kultur sei das Privatvergnügen der Kulturschaffenden.
Peter Surber über die Debatte zum Kulturkonzept im St.Galler Stadtparlament im Dezemberheft, online 19. November
Drei Jahre Kulturplafond sind genug. Wer an der Kultur spart, spart an der Zukunft.
Parole der IG Kultur Ost vor der Debatte im St.Galler Kantonsrat zur Kulturplafonierung, online 26. November
Der klassische Tänzer von heute muss wissen, was in der Welt geschieht.
Choreograf und Tänzer Martin Schläpfer anlässlich der Verleihung des Grossen Preises der St.Galler Kulturstiftung, online 3. Dezember
Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Damit wir weiterhin schöne Kulturerlebnisse zu familienfreundlichen Preisen anbieten und Theaterschaffende für ihre Arbeit anständig entlöhnen können, benötigen wir die Unterstützung der Stadt St.Gallen. Keine Kunst ohne Arbeit, keine Arbeit ohne Geld.
Inserat des Figurentheaters St.Gallen vor der Debatte um die Subventionserhöhung im Stadtparlament, online 10. Dezember
Die Situation war recht dramatisch. So defizitär hätten wir die Grabenhalle vielleicht noch zwei oder drei Jahre weiterführen können. Wir hatten, wie man so schön sagt: zu viel zum Sterben, aber zu wenig zum Leben. Die Subventionserhöhung hat uns jetzt zum Glück etwas Luft verschafft.
Bastian Lehner vom Grabenhalle-Kollektiv St.Gallen im Redeplatz-Interview im Januarheft, online 20. Dezember 2019
The old normal – Frauenstreik und Gleichstellung
Frauen müssen generell sichtbarer werden. Die Musik ist nur ein Spiegel unserer Gesellschaft. Das Problem ist vielschichtig. Es beginnt bereits in jungen Jahren, wo Mädchen und Jungs die gleichen Chancen haben sollten. Ein Mädchen soll Schlagzeug spielen dürfen und ein Junge Querflöte, wenn sie das wollen. Wir würden einen grossen Schritt weiterkommen, wenn wir uns von diesem stereotypen Denken befreien könnten. Viele Musikerinnen verlieren zudem ihre Sichtbarkeit, wenn sie Mütter werden.
Jazzbassistin Martina Berther über Frauen in der Musikszene, online 3. April
Wir Frauen waren immer schon das Geschlecht der Ausdauer, des Mutes & des Widerstands – uns blieb auch gar nie etwas anderes übrig. Der Feminismus ist eine Revolution. Es geht nicht um die kleinen Dinge, es geht darum, alles umzustürzen.
Schauspielerin Diana Dengler am Frauenstreiktag in St.Gallen, online 15. Juni
Findet ihr das wirklich normal, dermassen viel mehr männliche als weibliche Acts zu buchen? Dass ihr dann auch noch mit einer superdiskriminierenden WC-Politik nachdoppelt, habe ich nicht kommen sehen. Vielleicht wäre es einfach höchste Zeit, auch im OK eine angemessene (also plusminus 50%) weibliche Vertretung zu haben. Vielleicht wäre das auch echt wichtig, wenn ihr auch in Zukunft noch relevant sein wollt. Ich weiss nämlich noch nicht, wie ich meine Freundinnen überzeugen soll, wieder mit mir an euer Festival zu kommen.
Maja Dörig in ihrem Offenen Brief an das Openair St.Gallen, online 2. Juli
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Qualität im Vordergrund stehen sollte – und da es mindestens so viele spannende Künstlerinnen wie Künstler in der gegenwärtigen Schweizer Kunstszene gibt, sollte eine Quote gar nicht vonnöten sein.
Céline Gaillard, Co-Kuratorin am Kunstzeughaus Rapperswil-Jona, zur Genderfrage an Schweizer Kunstmuseen, online 23. August
Kriminell ist, Menschen im Stich zu lassen – Flucht und Migration
Es braucht eine Stadt, die sich für die Aufnahme der Geflüchteten, den Schutz und der Wahrung der Rechte dieser Menschen einsetzt. St.Gallen kann das. Die Frage ist doch die: Was sollen wir später erzählen, wenn jemand fragt, was da passiert ist, mit diesen Menschen, die Hilfe gebraucht hätten und sie nicht bekommen haben und was wir dagegen unternommen haben? Möchten wir dann nicht stolz sein, darauf, dass wir eine Lösung gesucht und gefunden haben und unsere Herzen geöffnet haben und gesagt haben, ja, es gibt bestimmt eine Möglichkeit!
Kathrin Riesers Offener Brief an den St.Galler Stadtpräsidenten, online 11. April
Anders als zum Beispiel in Deutschland gibt es in der Schweiz kaum eine Auseinandersetzung mit der rassistischen Geschichte des Landes, die eben bis heute ihre Auswirkung hat. Hier wird seit jeher dieses Selbstbild der «guten und neutralen Schweiz» gepflegt. Das wirkt sich negativ auf das Rassismus-Bewusstsein des Landes aus. Es gibt hier einen tief verwurzelten, strukturellen Rassismus.
Fatima Moumouni im Redeplatz-Interview zur «ersten kanakischen Late Night Show» im Maiheft, online am 1. Mai
Wer Menschen hilft, ist solidarisch, nicht kriminell. Kriminell ist, Menschen in Not im Stich zu lassen.
Ständerat Paul Rechsteiner in seiner Laudatio für die Flüchtlingshelferin Anni Lanz, eine der Preisträgerinnen des diesjährigen Paul-Grüninger-Preises, online 11. Mai
Auch wenn ich mich in drei Jahren an so viele Dinge gewöhnt habe, die in der Schweiz undenkbar wären, auch wenn ich unterdessen eine sehr dicke Haut habe, auch wenn ich Zufriedenheit verspüre über all das, was wir mit unserer Arbeit erreicht haben und über all die Dinge, die im Camp nun etwas besser und würdevoller funktionieren als noch vor einem Jahr, so zerreisst es mich trotzdem noch immer fast, wenn ich frühmorgens das Camp betrete und Familien sehe, die auf dem harten Strassenboden schlafen, weil es nirgends Platz für sie gibt, wenn ich Dreijährige sehe, die in eine kleine Decke gewickelt die Nacht unter freiem Himmel und auf nacktem Boden verbracht haben.
Jonas Härter von aid hoc über die Lage im Flüchtlingslager auf Lesbos, online 2. Oktober
Angesichts der immer restriktiver werdenden nationalen und europäischen Grenz- und Migrationspolitiken ist es höchste Zeit, dass sich zumindest auf regionaler respektive städtischer Ebene etwas tut – ausgehend von der Frage, welche politischen Massnahmen ergriffen werden müssten, um die rechtliche Anerkennung und den Zugang zu öffentlichen Ressourcen für alle Menschen «vor Ort» zu gewährleisten. Die andere Frage – wer dazugehört und wer nicht – ist nämlich leicht zu beantworten: Alle, die hier sind, sind von hier.
Corinne Riedener im Titelbeitrag «Alle, die da sind» im Januarheft 2020, online 28. Dezember 2019
Knorpelschäden – und was sonst noch beschäftigte
Ja zum Platztor-Campus, aber nur wenn die Geisteswissenschaften massiv ausgebaut und Naturwissenschaften eingeführt werden. Das würde zusätzlich eine Dozenten- und Studentenschaft anziehen, für deren «Kultur» sich die Uni tendenziell weniger oft entschuldigen müsste.
Roman Hertler vor der Abstimmung über den HSG-Campus am St.Galler Platztor, online 26. April
Alles, was heikel ist, lieber eins zu eins besprechen. Man muss sich bewusst sein, welche Informationen überwacht werden können, und den Kommunikationskanal entsprechend anpassen. Bei heiklen Informationen und bei unverschlüsselten, personenbezogenen Daten sollte man auf Emails verzichten und sich stattdessen mit einem USB-Stick – oder nach Möglichkeit in Ruhe zu einem Kaffee – verabreden.
Franziska Ryser, Nationalrätin der Grünen, zur Vorratsdatenspeicherung im Septemberheft, online am 28. August
Wir wollen nicht zusehen, dass irgend ein grosser Investor kommt und hier eine Siedlung hinknallt, die dann einfach möglichst viel Gewinn abwerfen soll.
Christine Egli, Architektin, zum Projekt einer genossenschaftlichen Überbauung der St.Galler Ruckhalde, online 23. September
Fehlanreize machen bis zu 30 Prozent der Gesundheitskosten aus, wie verschiedene Studien zeigen. Spitalschliessungen lösen diese Systemfehler nicht, und sie haben auch kaum Auswirkungen auf die Krankenkassenprämien. Es geht darum, Kosten zu vermeiden und nicht nur zu verschieben.
Die St.Galler Gesundheitsdirektorin Heidi Hanselmann im Interview nach ihrer Rücktrittsankündigung, online 19. Oktober
Minute 85 – «Steht auf, wenn ihr Sanggaller seid» hallt durch das Stadion. Wir sind froh, dürfen wir sitzen bleiben. Knorpelschäden in beiden Knien und so.
R.S. und R.S. im Ticker zum Spiel des FC St.Gallen gegen Xamax, online 24. November