#Senfgoespublic 6: EM-Arena Arbon

Public Viewing direkt am See, mit Freibier und miesem Catering. Fast wie in den All-inclusive Ferien, nur näher. Der sechste und letzte Teil unseres Public Viewing-Tests.
Von  SENF Kollektiv
Der Public Viewing-Bereich auf der Arboner Schlosswiese

Sommerabend in Arbon. Velofahrende Kinder mit neongrünen Sonnenbrillen, Nike Airs und Barcelona-Shirts. Frau Latscha zückt den Schlüssel und schliesst die Pedalo-Vermietung. Ein parfümierter Herr erzählt seiner Freundin von den bevorstehenden Ferien im fernen Las Vegas. Eine beinah perfekte Idylle, nur die Aufbauarbeiten für das bevorstehende Seenachtsfest verhindern Ferienstimmung am nahen Bodensee.

«Zu dä EM chasch mi aso alles froge!»

«Wer spielt hüt?», fragen wir am Wurststand. «Portugal-Wales, morn Dütschland-Frankrich und am Sunntig denn dä Final», erklärt die Bratwurst-Verkäuferin. «Spielplan auswendig gelernt?» – «Nei, zu dä EM chasch mi aso alles froge!»

Alles klar. Wir bestellen Znacht für knappe 20 Franken, überwinden unsere Festbank-Abneigung und nehmen an einem freien Tisch Platz. Als Arboner kennt man hier schnell Leute. Sehen und gesehen werden: Nette Menschen aus der Schulzeit und solche, die man lieber nie kennengelernt hätte. («Hesch no Kontakt mit em Dani?» – «Nai, und du?» – «I au nöd.»)

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Es wäre ein guter Tag, um sich von Egger’s Catering für einmal positiv überraschen zu lassen. Aber trocken bleibt trotz frischer Seeluft trocken und auch das harte Bürli schmeckt am See nicht besser. Dabei sah die in doppelter Ausführung installierte Beschriftung «Holzkohlengrill» so vielversprechend aus. Jänu. Während das SRF schöne Aufnahmen des Austragungsortes Lyon zeigt, liebäuglen wir mit der Eistheke auf der anderen Seite. Vielleicht später.

«I bin so nervös», sagt eine junge Dame mit dunkelroten Lippen. «Chunsch mit, wenn er do isch?» Fussball scheint eine halbe Stunde vor Spielbeginn Nebensache zu sein. Dabei geht es um viel: Der Sieger qualifiziert sich immerhin für den Final.

Vom Pinkeln direkt auf die Ersatzbank

Kurz vor Matchbeginn füllt sich die Arena allmählich. Das Public Viewing in Arbon ist vieles: Jugendtreff, Stammbeiz, Jassturnier, Familienausflugsziel. Viele Portugal-Shirts sind zu sehen, und keine Wales-Trikots. Bevor es losgeht: Pinkelpause – bei der Rückkehr dann die böse Erkenntnis: Eine Gruppe hat unsere Plätze eingenommen und scheint sich da pudelwohl zu fühlen. Wir nehmen auf der Schlosswiese Platz.

«Gwlad, gwlad, pleidiol wyf i’m gwlad», legt Wales gesanglich vor, und Portugal kontert: «Às armas, às armas!», zu den Waffen, zu den Waffen. Nationalhymnen – da geht die Post ab. Auf dem Feld dann in der Folge weniger: 19 Minuten dauert es, bis der Ball das erste Mal in Richtung Tor rollt. Die walisische Fussballinnovationsabteilung hat eine neue Eckballvariante entwickelt. Schöne Variante, dennoch kein Tor.

Kurzbewertung:

Lage: 5 von 5 Croissants – Nah am Wasser gebaut, kombiniert mit feinster Tribünen-Architektur. Sehr schön.

Stimmung: 4 von 5 Croissants – Durchmischtes Publikum, eine ansehnliche Anzahl Fans und ordentliche Stimmung. Das alles trotz lahmem Spiel.

Verpflegung: 2 von 5 Croissants – Egger’s Catering erinnert an die kulinarischen Tiefflüge der FCSG-Partien, aber sorgt so immerhin für gewohntes Fussball-Ambiente. Insider-Tipp: Nefis Kebap Hüsli in der nahen Arboner Altstadt.

Kosten: 3 von 5 Croissants – Freier Eintritt. Fantisch für die sogenannten Fans und eine Loge für die vermeintlich Mehrbesseren. Die EM-Arena wird ihrem Namen gerecht.

Die Portugiesen nebenan atmen auf und starten den Versuch, sich das Spiel schönzutrinken. «Wer wött ä Bier?» In kürzester Zeit kommen zehn Bestellungen zusammen. Das Beste daran? Der bequeme Service: Das Bier kann direkt auf der Wiese bestellt werden – sehr günstig sogar, wie sich für die Portugal-Fans später herausstellen wird.

«Fantisch – mehr vom Leben»

Auf dem 21 Quadratmeter grossen Full-HD-Screen läuft inzwischen die 40. Spielminute. Statisches hin- und her, Ronaldo versauert im walisischen Strafraum, es fehlt an Ideen. Und uns an einer Wolldecke. In Arbon ist es kalt geworden.

21.46 Uhr: Halbzeit. Zeit für einen kleinen Rundgang durch die Arena, in der jeder freie Zentimeter für inspirierende Werbebotschaften genutzt wird: «Schnider…die Abfalllöser» und «Thurgauer Kantonalbank – Mehr vom Leben» können mit «Soll ihr Fest gelingen – müssen Sie zu Egger springen!» nur knapp mithalten.

Positiv: der freie Eintritt. Wer dennoch zahlen will, kann für 31 Franken und 40 Rappen einen Platz am «Fantisch» mieten. Im Preis inbegriffen sind ein halbes Poulet und ein Getränk nach Wahl.

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Auch Fifi darf in die Vip-Lounge.

Wer eine abgetrennte Zone mit Polo-Shirt-tragenden Networkern bevorzugt, dem sei obige Lounge empfohlen. Hier wird Rotwein getrunken und an Zigarren genuckelt. Auch Bill Mistura, der ehemalige CEO der Betriebs AG, scheint sich da pudelwohl zu fühlen – das Hündli in der Runde sowieso.

Finaleinzug und Freibier

Das Spiel geht weiter. «Simmer do eigentlich di ainzige Fans?», fragen sich die Portugiesen neben uns. Von den Fantischen scheint man hier auf der Wiese nichts zu wissen. Item. Viel Stimmung kommt auch in der zweiten Halbzeit nicht auf.

Dann, plötzlich, in der 50. Minute: «Goooooooal!» CR7, ein zu null. «Goooooooal!» 53. Minute, Nani, zwei zu null. Jetzt ist die Hölle los am Bodensee. Glückliche Portugiesen in Arbon jubeln, enttäuschte walisische Fans skandieren in Lyon «Just don´t wanna go to work».

40 Minuten bleiben ihnen, um sich noch ein wenig vor der Arbeit zu drücken, doch Portugal lässt nichts mehr anbrennen. Doch kurz vor Schluss folgt doch noch eine Schrecksekunde für die Portugal-Fans nebenan. Die Servierdame taucht noch einmal auf: «Wäg dä 10 Bier…» – «Ah…, jo genau…» – «Isch imfall scho guet.»

Die Portugal-Fans können ihr Glück kaum fassen: Finaleinzug und Freibier. Ungläubiges Nachfragen, aber tatsächlich: «Isch würkli guet so. I weiss nödmol, wo dä Chef isch.» Besser als Ferien in Las Vegas.

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#Platzverweis:

Seit kurzem können Schiedsrichter schon vor Anpfiff der Partie rote Karten verteilen. Wir haben schon vor Turnierbeginn zehn Herren eruiert, bei denen wir von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würden.

Im ersten Test kam Roman Neustädter hinzu, im zweiten Stephan Lichtsteiner und im dritten der Schiri. Im vierten Test wurde das WLAN der Militärkantine vor Anpfiff vom Platz gestellt, um danach im fünften Test von Petrus Gesellschaft zu bekommen. Dieses Mal muss das Catering dran glauben. Verkohlte Bratwürste und harte Bürli dürfen wir während der Fussball-Saison noch zur Genüge Essen. Deshalb: #Platzverweis!

Das Senf-Kollektiv besteht aus 15 fussballverrückten Frauen und Männern. Es gibt die St.Galler Fussballzeitschrift Senf («S’isch eigentli nume Fuessball») heraus und betreibt daneben auch einen Blog. Senf kommentiert auf saiten.ch das Geschehen auf und neben dem Fussballplatz.