«Wir haben etwas geschaffen, das fehlen wird»

«Senf» erzählte Geschichten rund um den FC St.Gallen und den Fussball, wie sie sonst niemand erzählt. (Bilder: dag) 

Das St.Galler Fussballmagazin «Senf» wird nach 20 Ausgaben eingestellt. Die finanziellen Rahmenbedingungen und die hohe Arbeitsbelastung haben zum Ende des ehrenamtlich produzierten Hefts geführt. Als Kollektiv bleibt «Senf» jedoch erhalten – und widmet sich neuen Aufgaben. 

Seit Ja­nu­ar 2014 er­zähl­te das St.Gal­ler Fuss­ball­ma­ga­zin «Senf» halb­jähr­lich Ge­schich­ten rund um den FC St.Gal­len und schaff­te im­mer wie­der ori­gi­nel­le, über­ra­schen­de oder lus­ti­ge Zu­gän­ge zu den un­ter­schied­lichs­ten Fuss­ball­the­men. Nun ist da­mit Schluss: Die «Ab­pfiff» be­ti­tel­te 20. Aus­ga­be ist die letz­te – ge­mäss ei­ge­ner An­ga­be «nach rund zwei­ein­halb Mil­lio­nen ge­schrie­be­nen Zei­chen auf rund 1750 Sei­ten». Als Kol­lek­tiv, das fort­an an­de­re Pro­jek­te mit Be­zug zur Ost­schwei­zer Fuss­ball­kul­tur rea­li­sie­ren oder un­ter­stüt­zen will, bleibt «Senf» je­doch be­stehen. Die bei­den Mit­grün­der Ru­ben Schö­nen­ber­ger und Fa­bi­an Riet­mann spre­chen im In­ter­view über die Grün­de für das En­de des Ma­ga­zins, die gros­se feh­len­de Ge­schich­te und künf­ti­ge Auf­ga­ben. 

 

Sai­ten: Nach elf Jah­ren und 20 Aus­ga­ben pfeift ihr «Senf» ab. Was sind die Grün­de da­für? 

Ru­ben Schö­nen­ber­ger: Es gibt zwei Grün­de. Der ers­te ist die Fi­nan­zie­rung. Der Druck des Ma­ga­zins ist we­gen des Preis­an­stiegs beim Pa­pier deut­lich teu­rer ge­wor­den. Des­we­gen war es zu­letzt ein Ba­lan­ce­akt, bei ei­nem Preis von 10 Fran­ken pro Heft die Kos­ten zu de­cken. Bei der 18. Aus­ga­be hät­te selbst dann ein Ver­lust re­sul­tiert, wenn wir al­le Hef­te ver­kauft hät­ten. Beim neu­en Heft gibt es ei­ne schwar­ze Null. Im­mer so knapp an der Ge­winn­schwel­le zu wirt­schaf­ten, geht auf Dau­er nicht auf. Und ver­mut­lich wird es künf­tig nicht bes­ser. Den­noch ha­ben wir im­mer be­wusst auf In­se­ra­te ver­zich­tet. Und ei­ne Preis­er­hö­hung hät­ten un­se­re Abon­nent:in­nen ver­mut­lich ak­zep­tiert, aber der Heft­ver­kauf vor dem Sta­di­on wä­re dann wohl zu­rück­ge­gan­gen – ganz ab­ge­se­hen da­von, dass ein un­run­der Be­trag müh­sam ge­we­sen wä­re we­gen des Wech­sel­gelds. 

Und der zwei­te Grund? 

RS: Die­ser war aus­schlag­ge­bend: Der Ar­beits­auf­wand ist zu gross ge­wor­den. Wir ha­ben «Senf» eh­ren­amt­lich ge­macht, aber zu­letzt von Heft zu Heft ge­merkt, dass wir es im­mer an­stren­gen­der fin­den. Am An­fang ha­ben wir uns noch mit Freu­de sel­ber aus­ge­beu­tet, aber die­se Freu­de ist et­was ge­wi­chen – so gern wir je­de ein­zel­ne Aus­ga­be auch ge­macht ha­ben. Kaum war ein Heft er­schie­nen, be­gann die Pla­nung des nächs­ten. Trotz des Halb­jah­res­rhyth­mus’ war es am Schluss im­mer hek­tisch, weil nie al­les so läuft, wie man es ge­plant hat­te. 

Fa­bi­an Riet­mann: Auch un­se­re Le­bens­si­tua­tio­nen ha­ben sich in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ver­än­dert. Jobs, Fa­mi­li­en … «Senf» hat­te nicht mehr ers­te Prio­ri­tät. Dau­er­te ein Heft­ab­schluss bei den ers­ten Aus­ga­ben noch ei­ne Wo­che, weil Ru­ben den Tag durch die Tex­te re­di­gie­ren und ich die näch­te­lang ge­stal­ten konn­te, sind es nun meh­re­re Wo­chen. 

Konn­tet ihr nie­man­den aus dem Kol­lek­tiv «ein­wech­seln», um das Heft wei­ter­zu­füh­ren? 

RS: Es hat im­mer gut funk­tio­niert, Leu­te zu fin­den, die Ge­schich­ten schrei­ben oder von den FCSG-Spie­len ti­ckern woll­ten. Aber sol­che, die den Kar­ren zie­hen wol­len, gab es nicht. 

FR: Zu­min­dest nicht in dem Aus­mass, wie wir das ge­macht ha­ben. Das war un­se­rer Mei­nung nach aber nö­tig. Wir hat­ten ei­nen ho­hen An­spruch ans Heft, dem wir so­wohl in­halt­lich als auch op­tisch ge­recht wer­den woll­ten. Wenn man von aus­sen kommt und et­was Be­stehen­des über­nimmt, steckt man viel­leicht auch nicht gleich viel Herz­blut rein.

RS: Und wir ha­ben die­sem Ma­ga­zin über all die Jah­re so fest ei­ne Li­nie ge­ge­ben, als dass wir es nicht ir­gend­je­man­dem hät­ten an­ver­trau­en kön­nen. Es wä­re dann sehr an­ders ge­wor­den, und das woll­ten wir nicht. Wir ha­ben nach der 19. Aus­ga­be ei­ne Aus­le­ge­ord­nung ge­macht und uns die Fra­ge ge­stellt, was wir ma­chen wür­den, wenn wir kei­ner­lei zeit­li­che oder fi­nan­zi­el­le Ein­schrän­kun­gen hät­ten. Es zeig­te sich schnell, dass zwar al­le Bock ha­ben mit­zu­ar­bei­ten, aber kei­ne Zeit da­für. Ei­ni­ge hät­ten am liebs­ten ei­ne Fuss­ball-Ta­ges­zei­tung ge­macht. Aber die zeit­li­chen Res­sour­cen reich­ten dann für ei­nen Text je­des hal­be Jahr. 

Das klingt al­les sehr sach­lich und nüch­tern. So ein Ma­ga­zin ist aber wie das Fan­sein: et­was sehr Emo­tio­na­les. Im «Senf» spür­te man das Herz­blut. Wie schwer ist euch trotz al­lem der Ent­scheid ge­fal­len, das Ma­ga­zin auf­zu­ge­ben?

RS: Auch wenn das Bild aus­ge­lutscht ist: Ich ha­be ein la­chen­des und ein wei­nen­des Au­ge. Nach­dem wir ent­schie­den hat­ten, «Senf» ein­zu­stel­len, war ich ab­so­lut im Rei­nen mit mir selbst, auch weil die­ser Ent­scheid selbst­be­stimmt war. Wir ha­ben dann mit viel Elan die­se 20. Aus­ga­be pro­du­ziert, aber je nä­her der Heft­ab­schluss kam und mir be­wusst wur­de, dass ich al­les zum letz­ten Mal mach­te, des­to weh­mü­ti­ger wur­de ich. Jetzt ha­be ich ge­misch­te Ge­füh­le. Aber wir hö­ren ja nicht auf, und ich freue mich sehr auf die Sa­chen, die wir künf­tig ma­chen wer­den. Das hilft mir, sonst wä­re es ein har­ter Bruch.

FR: Als die letz­te Aus­ga­be ab­ge­schlos­sen war und wir die Hef­te ver­packt und zur Post ge­bracht hat­ten, ist von mir ein Druck ab­ge­fal­len. Auch ich freue mich auf die Pro­jek­te, die jetzt kom­men. Ich bin nicht si­cher, ob wir das Heft ein­ge­stellt hät­ten, wenn wir nicht ein neu­es Ziel ge­habt hät­ten. Aber all die Rück­mel­dun­gen, die wir seit der Ver­öf­fent­li­chung En­de Fe­bru­ar be­kom­men ha­ben, las­sen mich manch­mal zwei­feln, ob der Ent­scheid rich­tig war. Es ist oft so: Erst wenn man et­was ver­lo­ren hat, merkt man, was man hat­te. 

Die Fuss­ball­licht­spie­le, bei de­nen ihr auch in­vol­viert wart, ha­ben im Herbst letzt­mals statt­ge­fun­den, jetzt wird auch noch «Senf» ein­ge­stellt. Was ver­liert die St.Gal­ler Fuss­ball­sze­ne? 

RS: Oh­ne in Selbst­lob zu ver­fal­len: Wir ha­ben et­was ge­schaf­fen, das uns nie­mand so schnell nach­ma­chen und das in der Fuss­ball­stadt St.Gal­len feh­len wird. Aber die Si­tua­ti­on ist heu­te ei­ne an­de­re als 2013, als «Senf» erst­mals er­schie­nen ist. Da­mals gab es prak­tisch nichts Al­ter­na­ti­ves zum FCSG. Das «Tag­blatt» be­rich­te­te über die Spie­le, im Ra­dio kam ab und zu ein Bei­trag, das war’s. Heu­te gibt es Pod­casts, so­zia­le Me­di­en, 

FR: Die Hef­te blei­ben ja, viel­leicht auch über Ge­ne­ra­tio­nen, und wir mer­ken jetzt an den Nach­be­stel­lun­gen der al­ten Aus­ga­ben, dass vie­le Le­ser:in­nen ih­re Samm­lun­gen ver­voll­stän­di­gen wol­len. Es gab aber be­reits vor uns an­de­re Sa­chen. Die muss­ten auch ir­gend­wann en­den, da­mit et­was Neu­es ent­ste­hen konn­te. 

Ruben Schönenberger (links) und Fabian Rietmann. 

Wel­che Ge­schich­ten sind euch be­son­ders in Er­in­ne­rung ge­blie­ben? Und wel­che hät­tet ihr ger­ne ge­macht, konn­tet ihr aber nicht? 

FR: In der zwei­ten Aus­ga­be war für die «Pau­sen­an­spra­che» ein Drei­er­in­ter­view mit Iván Za­mo­rano, Hu­go Ru­bio und Fa­bián Es­tay ge­plant. Das fiel lei­der ins Was­ser. Wir ha­ben es spä­ter noch­mal pro­biert. Aber Za­mo­rano woll­te das In­ter­view im­mer nur mit sei­nen süd­ame­ri­ka­ni­schen Kol­le­gen ma­chen, und das von ex­tern zu or­ga­ni­sie­ren war ein Ding der Un­mög­lich­keit. Das ist die ein­zi­ge Ge­schich­te, die aus mei­ner Sicht fehlt. Oder viel­leicht noch der Ab­gang von Sil­van Hef­ti zu YB, den wir in ei­ner Aus­ga­be vor sei­nem Wech­sel noch als «Le­gen­de» be­ti­telt hat­ten. 

RS: Ich kann nicht sa­gen, was mei­ne liebs­te Ge­schich­te war, es wa­ren schlicht zu vie­le. Am schöns­ten fand ich im­mer die Be­geg­nun­gen mit span­nen­den Per­so­nen, die gar nicht so sehr im Schein­wer­fer­licht ste­hen, oder die Rei­sen, bei­spiels­wei­se nach Shef­field.  

FR: Ich fin­de es schön, dass «Senf» nicht mehr nur «Grün-weiss pur» ist, son­dern sich ent­wi­ckelt und ge­öff­net hat. Ich glau­be nicht, dass wir in den ers­ten paar Aus­ga­ben ei­nen Ar­ti­kel über Be­ni Hug­gel pu­bli­ziert hät­ten wie im neus­ten Heft. 

In der ak­tu­el­len, letz­ten Aus­ga­be schreibt ihr: «Senf ist erst dar­an, sich für die Zu­kunft auf­zu­wär­men.» Für das Ma­ga­zin kommt al­so der Ab­pfiff, für euch gibt es aber die Ver­län­ge­rung. Was kön­nen wir da er­war­ten? 

FR: Senf wan­delt sich jetzt von ei­nem Fuss­ball­ma­ga­zin zu ei­nem Fuss­ball­kol­lek­tiv. Wir wol­len span­nen­de Pro­jek­te un­ter­stüt­zen, oh­ne sie zwin­gend sel­ber um­set­zen zu müs­sen. Leu­te kön­nen mit Ideen zu uns kom­men, und wir un­ter­stüt­zen sie mit Know-how, Kon­tak­ten oder an­ders­wie. Viel­leicht kön­nen wir so der jün­ge­ren Ge­ne­ra­ti­on ei­ne Tü­re öff­nen. Na­tür­lich ha­ben wir auch ei­ge­ne Ideen, die wir dann auch sel­ber um­set­zen wol­len. Und viel­leicht kommt ir­gend­wann ei­ne neue Grup­pe, die ein Heft ma­chen will. 

RS: Der Tschutt­platz­füh­rer, den wir be­reits an­ge­kün­digt ha­ben, ist die ers­te spruch­rei­fe Idee. Sie passt auch gut zu uns. Wir sind zwar al­le Fans des FC St.Gal­len, aber fast al­le ha­ben mal bei ir­gend­ei­nem Re­gio­nal­club get­schutt­et. Es liegt uns am Her­zen, die­se Viel­falt zei­gen zu kön­nen. Für die Zu­kunft kön­nen wir uns al­les vor­stel­len, von ei­ner Ju­bi­lä­ums­pu­bli­ka­ti­on für ei­nen Fuss­ball­club über ein Buch bis zu ei­nem Pod­cast. 

Und der Ti­cker von den FCSG-Spie­len bleibt – wenn er auf der neu­en Sai­ten-Web­site dann end­lich funk­tio­niert? 

RS: Auf je­den Fall! Wir müs­sen noch de­fi­nie­ren, was künf­tig un­ser Grund­rau­schen sein soll, al­so Din­ge, die wir im­mer ma­chen wol­len, um nicht still und lei­se von der Bild­flä­che zu ver­schwin­den. Der Ti­cker ist ein Teil da­von. Bis ihr eu­re Site im Griff habt, ti­ckern wir un­ter senf.sg.

FR: Auch der Shop bleibt. Man wird et­wa die bis­he­ri­gen Aus­ga­ben nach­be­stel­len kön­nen, so­lan­ge der Vor­rat reicht. Und wir brau­chen ihn als Ka­nal für all­fäl­li­ge künf­ti­ge Pro­jek­te – Sa­chen fürs Fan­herz, Sam­mel­ge­gen­stän­de, sol­che Din­ge. 

 

Wer ei­ne Idee für ein hat, die die re­gio­na­le Fuss­ball­kul­tur be­lebt, kann sich an in­fo@senf.sg wen­den. 

senf.sg