«Senf» aus der Fanszene
Aus der Fanszene des FC St.Gallen stammt ein neues Fussballmagazin. Es kommt kaum zufällig in einem Moment heraus, in dem es dem Klub gut geht.

Vielleicht brauchte es die Auswärtsspiele in der Europa-League, um wieder einmal zu zeigen, welche Bedeutung ein Klub wie der FC St.Gallen haben kann. Wie breit abgestützt dieser Verein trotz jahrelanger Finanzprobleme und Misswirtschaft immer noch ist.
Nach Swansea, nach Valencia reisten Ultras aus dem Espenblock, Fans von der Gegentribüne, aber auch Anhänger, die schon im Espenmoos auf der Haupttribüne sassen: quer durch alle Schichten, Berufe, Alterskategorien. Leute, von denen man nicht gedacht hätte, dass ihnen der FC St.Gallen soviel bedeutet. Leute, die sowieso nichts anderes im Kopf haben.
Es war wie vor dem Cupfinal 1998, als überall in der Stadt diese grünen Perücken auftauchten.
Oder wie im Mai 2000, als der Meistertitel plötzlich allen gehörte und wegen des eher zufälligen Erfolgs gleich das Ende aller Stadtsanktgaller Minderwertigkeitskomplexe ausgerufen wurde, die noch von der Stickereikrise stammen.
Davor und danach – und eigentlich bis zur letzten Saison – bedeuteten regelmässige Matchbesuche vor allem weitere Stationen in einer langen Leidensgeschichte. Es gab diese Niederlagen (immer wieder im Cup, immer wieder gegen GC, gegen Wil, usw.), die wohl kein Anhänger vergisst, der dabei war.
Aber das Ganze auch noch nachlesen?
Kein Wunder gibt es über den FC St.Gallen nur wenige Publikationen.
Nach dem Meistertitel erschienen kurz hintereinander eine Beilage des «Tagblatts» über die Saison 1999/2000, das Büchlein «Jubeljahre», ein Typotron-Heft über den FC St.Gallen.
Die tristen Jahre danach, (meistens Abstiegsrunde, das 11:3, usw.) lassen sich in der Kolumnensammlung «Hutter und Mock» nachlesen, geschrieben von Daniel Kehl, erschienen im «Saiten»-Verlag.
Der Abschiedsschmerz vor dem Wegzug des Klubs ins Industriequartier im Westen wurde 2007 im Bildband «Espenmoos» (erschienen im Appenzeller Verlag und längst vergriffen) zelebriert. Es war ein Buch aus und über die Fanszene.
Danach kam lange nichts mehr.
Jetzt gibt es «Senf». Geschrieben, gestaltet, finanziert und herausgegeben von Exponenten aus der Fanszene. Das Heft wird am kommenden Sonntag vor und nach dem Heimspiel gegen den FC Zürich in der Arena verkauft. Es gibt es aber beispielsweise auch in der Buchhandlung Comedia zu kaufen (10 Franken).
Hauptthema der ersten Ausgabe sind die Fussballreisen vom letzten Herbst. Die Ausflüge nach Moskau, Swansea, Valencia, Krasnodar (aber vor allem nach Moskau). Es gibt Erinnerungen an das Auswärtsspiel in Mailand 1985, beim letzten Auftritt im Uefa-Cup vor 2013. Dazu ein langes Interview mit Jeff Saibene. Ein Gespräch mit Daniel Lopar und eins mit Etrit Hasler. Ein Porträt über Stefano Razzetti. Keine Werbung. Einen Bericht über das Fanlokal im Linsebühl. Zwei Doppelseiten für die Sammler unter den Fans mit einer Zusammenstellung von Fussballtickets. Beispielsweise vom Cupfinal 1998. Oder von einem Stadtmatch 2006, im damals neu getauften Paul-Grüninger-Stadion. Oder vom 20. Mai 2008, als ein Heimspiel gegen Bellinzona stattfand. Eines, vom dem man noch lange redete.
Schön gestaltet, viele Fotos, kein Hochglanz. Eine Mischung von Sponti-Texten und eher ernsthaften Inhalten.
«Senf» stellt eine Behauptung auf, die sonst vielleicht nur in Basel gewagt wird: Nämlich dass Fussball – und da eigentlich nur der eigene Klub – so wichtig ist, dass man damit ein Magazin mit 74 Seiten füllen kann.
Zum Heft gehört übrigens auch eine Homepage. Dort kann man das im Magazin beschriebene Video über die Pressekonferenz in Moskau mit Jeff Saibene ansehen, die wenige Minuten nach dem Spiel stattfand. Zuerst angespannt und hoch konzentriert, realisiert Saibene nach rund vier Minuten während einer Übersetzungspause, was in den 90 Minuten zuvor passiert ist.