Selbstbestimmt und selbstverwaltet
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Kurz nach 20 Uhr sind die acht Zweiertische alle besetzt. Ältere, Jüngere, Leute aus der Region und aus allen möglichen Erdteilen sitzen gemeinsam im kleinen Schulzimmer – es ist die erste Deutschstunde der Autonomen Schule Frauenfeld (ASF). Zu finden ist sie an der Rheinstrasse 14 unter dem bunten Kaff-Dach, jenem Kulturverein also, der seit mittlerweile zweieinhalb Jahren dort beheimatet ist. Das dazugehörige Kulturlokal liegt etwa fünf Gehminuten davon entfernt, an der Grabenstrasse 57. Mehr dazu hier.
Kultur und Bildung unter einem Dach
Kaff und ASF, das passt zusammen – findet auch David Nägeli, der frischegebackene Präsident des Frauenfelder Kulturvereins: «Wir stehen vollkommen hinter der Idee der Autonomen Schule, denn freie Bildung und ein freier Zugang zu Kultur ergänzen sich.» Beides seien wichtige Stützen einer vielfältigen, lebendigen und funktionierenden Gesellschaft, sagt Nägeli. «Ich wüsste kein anderes Projekt, dem wir unsere Räume lieber zu Verfügung stellen würden.»
Das Anliegen allein ist es aber nicht, was Kaff und ASF verbindet. Luca Obertüfer, Initiant der Autonomen Schule und Präsident des zugehörigen Vereins «Freie Bildung für Frauenfeld», ist nämlich ebenfalls ein Teil der Kaff-Clique. Er ist ein kleines Bisschen nervös am Dienstagabend. Man spürt, dass der 21-Jährige die letzten Monate – und vor allem Wochen – einiges an Herzblut in «sein» Schulprojekt gesteckt hat. Entsprechend gross ist die Erleichterung, als sich nach dem kleinen Imbiss in der Abendsonne pünktlich um acht gut 15 Leute im «Klassenzimmer» versammeln. Minuten später ist die Wandtafel bereits vollgeschrieben.
Vorbilder in Zürich und in St.Gallen
Die Idee einer Autonomen Schule habe er lange mit sich herumgetragen, sagt Obertüfer, denn barrierefreie Bildung habe ihn schon immer interessiert. So kommt es nicht von ungefähr, dass er bis vor zwei Jahren an der Autonomen Schule in Zürich (ASZ) Basiskurse in Deutsch gegeben hat. Diese war es auch, die ihn inspiriert hat: «Mir gefällt, wie die ASZ aufgebaut ist, dass sie sich basisdemokratisch organisiert und dass sich die Leute dort auch über die Schule hinaus für Themen wie freie Bildung, Migration oder gleiche Rechte für alle einsetzen.»
Ähnlich wie in der ASZ oder in St.Gallen an der Integra Schule soll auch das Frauenfelder Angebot mit der Zeit ausgebaut werden. «Unsere Idee ist, dass wir irgendwann auch Kurse etwa in anderen Sprachen, Computer- Unterricht, Gestalterisches oder auch Hilfe in behördlichen Angelegenheiten anbieten können», erklärt Obertüfer. Da das Projekt aber noch in den Kinderschuhen stecke, bleibe es vorläufig beim Deutsch-Unterricht einmal pro Woche. «Wichtig ist uns, dass wir auch in Zukunft selbstverwaltet agieren können und die Kursinhalte auf Gegenseitigkeit basieren, dass also alle von allen lernen können.»
öV-Ticket vs. Globalpauschale
Konkret wurde Obertüfers ASF-Idee im vergangenen Oktober, als er sich mit den Kaff-Leuten und anderen Interessierten zu einer ersten Sitzung traf. Richtig los ging es aber erst Anfang Jahr, als genug Leute beieinander waren, um den Schulbetrieb über längere Zeit aufrecht zu erhalten. Mit dem Kaff könne man glücklicherweise einen grossen Kreis von Leuten zählen, «die es sich gewohnt sind, nicht für Geld zu arbeiten», sagt Obertüfer. «Denn wie das Kaff, kann auch die ASF nur dank ehrenamtlicher Tätigkeiten existieren.»
Abgesehen davon, dass es ein Armutszeugnis ist, dass seitens der Kantone keine kostenlosen Deutschkurse angeboten werden, hat die ASF aber noch ein anderes Problem in Sachen Stutz: Ein öV-Ticket nach Frauenfeld können sich nur die wenigsten leisten angesichts der sogenannten Globalpauschale von derzeit 11 beziehungsweise 8 Franken für Asylsuchende. Leute, die nicht in Frauenfeld selber leben, dürften es also schwer haben. Auch damit muss sich die ASF auseinandersetzen. Man versuche demnächst, einen Deal mit der Stadt und den regionalen öV-Betrieben auszuhandeln, sagt Obertüfer.
Kaff-Stühle und Fahrschul-Tische
Umso erfreulicher deshalb, dass das Inventar der ASF zu praktisch 100 Prozent aus Sachspenden besteht: Die Stühle sind vom Kaff, die Tische wurden ausgemustert und stammen von einer Fahrschule. Die Bibliothek im grossen Aufenthalts- und Pausenraum wurde zwar einst vom Kaff angelegt, besteht aber ebenfalls aus privaten Restposten. Für die ASF ist sie frisch ausgemistet worden und soll nun sukzessive aufgestockt werden – wenn möglich auch mit fremdsprachiger Literatur. Auch die Rechner und Bildschirme im heimeligen Gruppen- und Arbeitsraum nebenan wurden allesamt gestiftet. Derzeit werden sie gerade neu aufgesetzt und wieder in Gang gebracht.
Die «Lehrerschaft» besteht derzeit aus vier Personen. Ob die Deutschkurse weiterhin dienstags von 20 Uhr bis 21.45 stattfinden, kann Obertüfer nicht genau sagen. «Das besprechen wir alle zusammen. Schliesslich müssen sich die Teilnehmenden auch nach ihrer Familie, ihrer Arbeit oder sonstigen Verpflichtungen richten.» Und damit liegt er völlig richtig: Künftig starten die Kurse nämlich schon um 19 Uhr, wie er am Tag nach der Eröffnung vermeldet. «Das war sozusagen der erste basisdemokratische Entscheid der ASF.»
Weitere Infos: asfrauenfeld.ch, mail: asf@immerda.ch
Die erwähnten Schulen im Kanton St.Gallen: solidaritaetsnetz.ch und in Zürich: bildung-fuer-alle.ch