Sehr müde und sehr gut

Marc Frischknecht, fotografiert von Bodo Rüedi (pd)

Fünf Jahre arbeitete der St.Galler Musiker Marc Frischknecht alias Yes I’m Very Tired Now an seinem neuen Album, auf dem er sich mit existenziellen Fragen auseinandersetzt. Anfang März tauft er The Dark Tape mit seiner Band in der Grabenhalle.

«But I’m still he­re / feel the life that I live / but I’m still he­re / sa­tis­fied wi­th the rest that I have», singt ei­ne leicht rau­chi­ge, tie­fe Stim­me über ei­nen mit Syn­the­si­zern und In­die-Rock-Gi­tar­re an­ge­rei­cher­ten Pop­song. Die­ses «Aber ich bin im­mer noch hier» im Ti­tel­track zu The Dark Tape bringt die Me­lan­cho­lie auf den Punkt, wel­che sich durch das gan­ze Al­bum zieht. Hier macht je­mand Mu­sik, nicht weil er da­mit den gros­sen Durch­bruch er­rei­chen oder gar die Welt ver­än­dern will, son­dern weil er eben ge­ra­de hier ist, an die­sem Ort, in die­sem Stu­dio oder auf je­ner Büh­ne und das macht, was zu ihm ge­hört: Mu­sik mit Herz und See­le.

Mu­sik macht der in Bi­schofs­zell auf­ge­wach­se­ne Marc Frisch­knecht, seit er den­ken kann. Wer – wie auch der Au­tor die­ses Tex­tes – in den Nuller­jah­ren an den Mu­sik­fes­ti­vals der Re­gi­on rum­lun­ger­te, kennt ihn viel­leicht noch als Gi­tar­ris­ten der Punk­band Sick Con­di­ti­on. Spä­ter folg­ten Pro­jek­te wie das Sin­ger-Song­wri­ter Duo Ju­nes.

2014 er­scheint die ers­te EP von Yes I’m Very Ti­red Now, Com­mon World, wor­auf ei­ne wei­te­re EP und drei LPs fol­gen. Nach dem Al­bum 100 Ye­ars von 2020 wird es ru­hi­ger um Yes I’m Very Ti­red Now. «In den ers­ten fünf Jah­ren ha­be ich sehr viel Mu­sik auf­ge­nom­men und ver­öf­fent­licht. Da­nach ha­be ich zwar wei­ter­hin viel Mu­sik ge­macht, aber al­les im­mer wie­der ver­wor­fen. Ich dach­te zu­erst gar nicht, dass ich die­se Songs je­mals ver­öf­fent­li­chen wür­de», er­klärt Frisch­knecht, der ne­ben der Mu­sik auch als Ver­an­stal­ter, Boo­ker und Haus­mann ar­bei­tet.

Me­lan­cho­lie, nicht Re­si­gna­ti­on

Der nö­ti­ge Mo­ti­va­ti­ons­schub kam, als das St.Gal­ler Gra­fik­bü­ro Uni­on Uni­on vor­schlug, für das Pro­jekt das Art­work zu ge­stal­ten in­klu­si­ve Web­site und Vi­sua­li­sie­run­gen der Mu­sik. «Ich be­wun­der­te de­ren Ar­beit schon lan­ge, und als die­se An­fra­ge kam, konn­te ich fast nicht Nein sa­gen.»

Die Vi­sua­li­sie­rung setzt für je­den der zehn Tracks ei­ne Art Spek­tro­gramm, wel­ches aber nicht die Ton­fre­quen­zen, son­dern die Dau­er der Songs ab­bil­det. Schlicht und mo­no­chrom wird so et­was von der ge­heim­nis­vol­len Ein­fach­heit ei­ner schwar­zen Mu­sik­kas­set­te ins di­gi­ta­le Zeit­al­ter über­setzt. Zur ob­sku­ren und geis­ter­haf­ten Qua­li­tät der Mu­sik passt das sehr gut. Es ist düs­te­rer Pop, der nichts mehr be­wei­sen muss und ge­ra­de durch die­se Un­ge­zwun­gen­heit über­zeugt und im­mer wie­der Platz lässt für schö­ne De­tails, bei­spiels­wei­se sich über­schla­gen­de Kick­drums, die ver­spielt wir­ken und dem Ti­tel­track das ge­wis­se Et­was ver­lei­hen.

Wer nun Re­si­gna­ti­on ver­mu­tet, liegt falsch. Bei Yes I’m Very Ti­red Now ist Mu­sik auch po­li­tisch. Et­wa der Song Gather at the Free­dom Squa­re ist ei­ne Hom­mage an den Ara­bi­schen Früh­ling. «Me­lan­cho­lie ist kei­ne De­pres­si­on, son­dern ei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mit der Pa­ra­do­xie un­se­rer Le­bens­rea­li­tä­ten», er­klärt Frisch­knecht und er­gänzt: «Na­tür­lich fra­ge ich mich manch­mal auch, war­um ma­che ich über­haupt Mu­sik? Wür­de ich mei­ne En­er­gie nicht bes­ser an­ders ein­set­zen? Aber dann stel­le ich mir vor, was wä­re, wenn es gar kei­ne Mu­sik gä­be. Mu­sik kann Men­schen zu­sam­men­brin­gen, im Klei­nen et­was be­wir­ken.»

Aufs of­fe­ne Meer hin­aus

So klingt The Dark Tape pho­ne­tisch auch ähn­lich wie Duct Tape, das Gaf­fa-Kle­be­band, wel­ches auf Kon­zert­büh­nen oft zum Ein­satz kommt und nicht sel­ten not­be­helfs­mäs­sig In­stru­men­te oder Re­qui­si­ten zu­sam­men­hält. Viel­leicht ist die Mu­sik ja auch so et­was wie ein Kle­be­band, wel­ches ei­ne fra­gi­le Ge­sell­schaft noch ir­gend­wie zu­sam­men­hal­ten könn­te.

Das Al­bum be­ginnt mit dem ru­hi­gen Song The Sea­si­de. Über Pia­no-Ak­kor­de singt Marc Frisch­knecht zu­sam­men mit Na­ta­sha Wa­ters (Kal­te­hand/Na­ta­sha Wa­ters, Ma­ma­ri), die auf meh­re­ren Tracks zu hö­ren ist: «Ever­y­thing has to feel good / at the sea­si­de /at the end of the world». Ob­schon am An­fang, kann die­ser Track auch als Co­da ge­hört wer­den. Am Meer, am En­de der Welt muss sich al­les gut an­füh­len. Doch wir sind noch nicht dort an­ge­kom­men, wir schwim­men noch nicht hin­aus aufs wei­te Meer. Wir sind im­mer noch im Hier und Jetzt.

 

Yes I’m Very Ti­red Now: The Dark Tape, ist am 17. Ja­nu­ar di­gi­tal und auf Vi­nyl er­schie­nen. Die LP gibt es ent­we­der über die Web­site oder in den St.Gal­ler Plat­ten­lä­den Klang und Kleid so­wie Ana­log zu kau­fen.

Plat­ten­tau­fe: 7. März, 21 Uhr, Gra­ben­hal­le St.Gal­len

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