, 25. Juli 2024
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Schwebende Momente

Der diesjährige Jan-Tschichold-Preis ging an den unabhängigen St.Galler Verlag Jungle Books, gegründet von Olivier Hug, Samuel Bänziger, Rosario Florio und Larissa Kasper. Die drei letzteren waren von 2012 bis 2022 auch verantwortlich für den Look von Saiten. Hier die Laudatio von Ueli Vogt anlässlich der Preisverleihung im Juni im Helmhaus.

Jungle Books v.l.n.r.: Samuel Bänziger, Olivier Hug, Larissa Kasper und Rosario Florio. (Bild: Ueli Vogt)

Wie kommt man zu einer Anfrage, eine Laudatio zu halten? Hat das mit der Lebensphase zu tun, so als Vorstufe, bevor diejenige des Nachrufers kommt?

Eine Laudatio ist per Definition eine Lobrede, also darf nichts Böses gesagt werden, zumindest nichts offensichtlich Böses. Es ist mir eine Ehre, den Geehrten Lob zuzusprechen – die Ehrenden brauchen wohl keine Argumente mehr, sie haben ja schon entschieden.

Jungle Books wurde 2015 gegründet. Die Jury des Jan-Tschichold-Preises schriebt: «Die Publikationen von Jungle Books werfen einen klaren, präzisen Blick auf die Themen und den Kontext, aus dem sie stammen. Sie zeichnen sich durch einen sorgfältigen Umgang mit Typografie, Bildgestaltung, Druckraster, Papier und Druckfarben aus, die zu einer feinsinnigen Organisation des Raums beitragen.»

Die Jury würdigt die Qualität und die Beständigkeit der Produktion von Jungle Books, insbesondere im schwierigen Umfeld des unabhängigen Verlagswesens. Die regelmässige Präsenz der Publikationen von Jungle Books in der Verlagslandschaft zeuge «von der Arbeitskraft, der Beharrlichkeit und dem Anspruch der Gründungsmitglieder, die es geschafft haben, ein selbst initiiertes Projekt zu einer festen Grösse in der Szene zu machen. Die St.Galler Szene, die man geradezu als St.Galler Schule bezeichnen möchte, geht aus der sprudelnden Lebendigkeit dieser Produktion hervor.»

Ich sei vollkommen frei, was ich sage; jedoch trug mir der Anfragende und Geehrte Samuel Bänziger auf, es solle nicht zu privat sein, zu viel der Gefühlsduselei, mit welcher wir uns jeweils unsere eigenartige Form der Zusammenarbeit erklärten.

Korrumpiert denn offenkundige Zuneigung gute Gestaltung? Welche Parameter braucht gute Gestaltung, und was ist das denn überhaupt, gute Gestaltung? Bei der Jan Tschichold-Preis-Laudatio kann diese Frage noch auf das Medium Buch eingeengt werden. Höchst erstaunlich, dass sich das Buch in unserer digitalisierten Welt bei jungen Gestalter:innen höchster Wertschätzung erfreut, im Falle der Geehrten gar zur Königsdisziplin erkoren wird.

In dem Dutzend Jahren, die wir zusammenarbeiteten, ist uns die Aussage «Machen wir ein Buch» ganz leicht und entsprechend oft von den Lippen gegangen, mal mit Fragezeichen, oft als neutrale Aussage, gelegentlich auch gepresst mit Ausrufezeichen.

Wir lernten uns wenige Jahre vor der Verlagsgründung kennen, die Geehrten konnten sich in hoher Kadenz um banale Grafik-Fragen im Zeughaus-Teufen-Betrieb kümmern. Die Resultate kamen oft in Buch-Nähe: Booklets, Serien, die sich stapeln und durchblättern lassen. Unlängst noch war es bei der Buchgestaltung en vogue, lose Blätter einzulegen, die dann beim Durchblättern rausflogen, dem Buch ganz viel Raum gaben und zu einem Rätsel wurden, wenn man versuchte, sie an die richtige Stelle zurückzulegen. Dabei stellten sich die Fragen: Wieso sind diese Teile nicht fest eingebunden? Folgt diese dynamische Ordnung einem höheren Sinn? Unsere Ausstellungsunterlagen kommen in gesammelter Form diesem flatterhaften Konzept nahe, ohne jedoch Teil eines fest gebundenen Korpus zu sein.

Nach zehn Jahren gemeinsamen Gestaltens gelang uns dann die klare Antwort auf unsere mittlerweile abgegriffene Frage «Machen wir ein Buch» (mittlerweile ermüdet und ohne Interpunktion): Wir machen ein Buch!

Man könnte meinen, es sei ein einfaches Unterfangen, die über die Jahre entstandenen Flyer und Booklets zu einem wohlgestalteten Jungle-Buch zusammenzufügen. Da aber die Jungle-Bücher nicht einfach dokumentieren und sammeln, was ist, sondern nach einem Mehrwert durch das Medium Buch suchen, war dann der Weg der Buchentstehung genau so aufregend wie schon all die anderen gemeinsam entwickelten Produkte.

Wir haben schon oft über unsere je gleichen, aber doch unterschiedlichen Arbeiten gesprochen, das Kuratieren im vergänglichen Raum, das grafische Arbeiten auf beständigem Papier, und darüber, wie es ist, wenn etwas zum Buch gebunden wird. Wir manövrierten uns da oft nicht selten ins «Zeug», meist dem kurzatmigen Nachrichtendienst geschuldet, verhedderten uns, konnten Fragen und Antworten einander nicht mehr zuordnen und verstanden uns so miss. Dabei hätten kluge Beobachter vielleicht von Dekonstruktion gesprochen.

Ueli Vogt, 1965, hat zehn Jahre lang das Zeughaus Teufen kuratiert. Er ist Gärtner, Architekt und Kurator. Seine Laudatio wurde übersetzt und in der BAK-Publikation zu den Schönsten Büchern 2023 publiziert.

Manchmal gelangten wir zu einer schwer beschreibbaren Gestalt. Der Inhalt war schemenhaft in der Struktur, durchscheinend, oft aber auch mit einer Prise «Komischem». Wir fragten uns: Ist das nun gut oder schlecht, cool oder doof? Wir waren uns dann oft einig: Wenn wir dieses «Komischsein» aushielten, dann wars gut. Komische Gestalten lassen sich nicht genau beschreiben, sie sind weder lustig noch ganz streng konzeptionell, lassen aber Raum für viele Gedanken und Fragen. Dadurch entsteht etwas Neues; eine neue Sichtweise auf etwas vermeintlich Vertrautes wird möglich.

Aus diesen Konfusionen heraus entstanden Fundamente, auf denen die Themen mittels ihrer eigenen Methode neu zusammengefügt wurden und somit dem Objekt einen eigenständigen Mehrwert und einen dem Medium Buch innewohnenden Ewigkeitsanspruch mitgaben. Ich weiss nicht, wie weit sich dieses Vorgehen des Ausstellung-Gestaltens auch auf die Buchgestaltung übertragen lässt. Ich mutmasse, wenn Jungles dabei sind, werden die Gestaltungsprinzipien auch bei den Büchern so oder zumindest ähnlich sein. Zwischen Ornament und Inhalt, immer betonend, dass die Inhalte und das Lesbare das Wichtigste seien, behält die visuelle Erscheinung aber meist die Oberhand. Das Konzept mit strengen Regeln hilft der flatterhaften Wahrnehmung, genauer und vor allem nachvollziehbarer zu werden. Dazu gesellen sich noch viele handwerkliche und materielle Fragen: Welches Papier soll gewählt und frühzeitig geordert werden, sollen noch weitere Materialien dazukommen, und wie originell soll es gebunden sein? Vielleicht frech mit offenem Rücken, wie ein Rohbau, oder angelehnt an klassische Buchgestaltungen?

Der Wahl der Buchstaben kommt bei den Jungles eine wichtige Rolle zu. Da ich diese kaum unterscheiden, dafür aber gut lesen kann, galt das Prinzip des gegenseitigen Vertrauens, was mir bei Gestaltungsfragen ganz wesentlich scheint. Dieses Grundvertrauen beruht idealerweise auf Gegenseitigkeit. Wenn manchmal die Lesbarkeit auf der Strecke bleiben sollte, kann auch das als Aussage verstanden werden, denn Texte müssen sowieso entschlüsselt und erarbeitet werden. So entstehen viele schwebende Momente, die ihrerseits Qualitäten erzeugen und zur verdienten Ehrung berechtigen.

Uns ist ein wunderbar sperriger Schollen gelungen mit dem leichtfüssigen Titel «1x ZHT», bei dem man zwischen Überforderung, Lust und lustig hin- und herschwankt. Und ich vermute, dass das der nicht verhandelbare Grund für den Jan Tschichold-Preis an euch ist: Ihr habt das allerschönste und daher wohl auch meist übersehene Buch gemacht, weil es so unfassbar und vielleicht auch nicht schön, aber ganz sicher komisch ist!

Ganz herzliche Gratulation, liebe Larissa, lieber Olivier, lieber Rosario, und lieber Samuel, ich bin stolz auf euch!

 

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