Schurkenherrschaft

(Bilder: pd/Edyta Dufaj)

Verdis Macbeth erzählt von Macht und Krieg und Männergewalt. Am Theater St.Gallen inszeniert Krystian Lada mit fantastischen Solist:innen den Stoff bildstark. Trump, Musk, Putin & Co. und ihren Claqueuren könnten die Augen aufgehen.

Im ers­ten Bild wan­ken die Jam­mer­ge­stal­ten der Män­ner zu­rück aus dem Krieg. Am En­de der Oper ist noch im­mer Krieg – den «Vitto­ria»-Schluss­chor lässt die St.Gal­ler Re­gie weg. Aber zwi­schen­drin, im Fi­na­le des drit­ten Akts hofft man mit dem Volk von Schott­land auf ei­ne Wen­de. Es hat die Ver­bre­chen sei­nes Kö­nigs Mac­beth satt. An­ge­sta­chelt vom Kon­tra­hen­ten Macduff, sieht man erst La­dy Mal­colm, dann meh­re­re Frau­en, schliess­lich den gan­zen Chor die Fäus­te in den Him­mel re­cken. Im schar­fen Ge­gen­licht sind sie als Sil­hou­et­ten über­deut­lich. 

Dann wer­den aus Fäus­ten sa­lu­tie­ren­de Sol­da­ten­hän­de. Hin­ten win­ken die Frau­en zu ei­nem Ab­schied, der ein­mal mehr ins Elend füh­ren wird. Ge­walt ruft nach Ge­walt, Krieg bleibt Krieg, und die Ze­che zahlt das Volk: Das zeigt die­ses Spiel mit den Hän­den, pla­ka­tiv, aber ein­dring­lich.

Re­gis­seur Krys­ti­an La­da setzt in sei­nem St.Gal­ler Mac­beth mehr­fach sol­che sym­bo­li­schen Hand-Zei­chen. Sie sind stär­ker, als es vor­der­grün­di­ge Ak­tua­li­sie­run­gen wä­ren. Die Ak­tua­li­tät brennt so­wie­so in die­sem Stück um Macht, Män­ner­ge­walt, um Vä­ter und Söh­ne im mör­de­ri­schen Kampf um die Herr­schaft. 

Lau­ter Ver­lie­rer

Iro­nisch, dass die Kö­ni­ge, die vor Mac­beths blu­ti­gem in­ne­ren Au­ge vor­bei­zie­hen, hier drei Bo­dy­buil­der sind. Ih­rem mus­ku­lös über­zeich­ne­ten Männ­lich­keits­bild steht als vier­ter «Kö­nig» Mo­ham­mad Al Ha­ji ge­gen­über. Der Tän­zer, der im sy­ri­schen Bür­ger­krieg ein Bein ver­lo­ren hat, wir­belt mit sei­ner Pro­the­se über die Büh­ne als Mac­beths Al­ter Ego. Ha­va­riert, aber un­be­sieg­bar: Dass das mög­lich ist, er­zählt Al Ha­jis per­sön­li­che Tanz­bio­gra­fie und Flucht­ge­schich­te.

In Ver­dis Mac­beth hin­ge­gen gibt es nur Ver­lie­rer. Al­len vor­an das Volk, vom Kom­po­nis­ten mit opu­len­ten Chö­ren aus­ge­stat­tet und von den St.Gal­ler Thea­ter­chö­ren lei­den­schaft­lich und stimm­kräf­tig ver­kör­pert. In ei­ner der emo­tio­nals­ten Sze­nen der Oper trau­ert der Chor um die er­mor­de­ten Kin­der in ei­nem be­rü­cken­den Lacri­mo­so – be­vor er sich zur kurz­le­bi­gen Re­vol­te be­rap­pelt.

Op­fer ih­rer Macht­ver­blen­dung sind aber auch die Herr­schen­den, Mac­beth, Macduff, Mal­colm, Ban­co und wie sie al­le heis­sen. Vin­cen­zo Ne­ri bril­liert als Mac­beth mit ei­ner Stim­me, die Gla­mour, Mord­wahn und Zer­ris­sen­heit glei­cher­mas­sen in sich trägt. In den wei­te­ren So­lo­rol­len sind Brent Mi­cha­el Smith, Bri­an Mi­cha­el Moo­re und Sung­ju­ne Park zu hö­ren, aus­ser­dem Mack Wolz als La­dy Mal­colm und Da­vid Ma­ze als stum­mer tan­zen­der Kö­nig Dun­can. Kio Bru­de­rer singt bra­vou­rös trotz Arm­bruch den klei­nen Fle­an­cio.

Die Fä­den zieht, schon bei Shake­speare, erst recht bei Ver­di, La­dy Mac­beth. Libby So­ko­low­ski ver­fügt über die Stimm­ge­walt, die Bril­lanz in den Spit­zen­tö­nen und die schau­spie­le­ri­sche Raf­fi­nes­se für ei­ne der düs­ters­ten Frau­en­rol­len des ro­man­ti­schen Re­per­toires. Ih­re Schlaf­wan­del­arie ist das aus­drucks­star­ke Psy­cho­gramm ei­ner Zer­rüt­tung – und das Por­trät ei­ner Frau, die ih­rer­seits Tä­te­rin wie Op­fer des Sys­tems ist.

Grel­les Licht am Tat­ort

Spä­tes­tens in die­ser Sze­ne spürt das Pu­bli­kum: Die Bei­falls­be­kun­dun­gen nach je­der Bra­vour-Arie der La­dy und ih­res wan­kel­mü­ti­gen Gat­ten, so be­rech­tigt sie sind, stö­ren. Die un­ver­bes­ser­li­chen «Bra­va»-Ru­fer aus den obe­ren Rän­gen un­ter­bre­chen das Dra­ma auf der Büh­ne und brem­sen das Mit­ge­hen mit den Emo­tio­nen aus.

Oper halt, Schau­lau­fen der gros­sen Stim­men, ein Hauch von Sca­la di Mila­no? Ver­dis Mac­beth, 1847 an der Grenz­schei­de von Bel­can­to-Oper und psy­cho­lo­gi­schem Dra­ma kom­po­niert, will ge­nau das nicht mehr, und die St.Gal­ler In­sze­nie­rung von Krys­ti­an La­da will es auf kei­nen Fall. Ihr Schau­platz ist ei­ne bei­nah kah­le Büh­ne, mit­ten­drin an­fangs ein Po­dest, spä­ter nack­te Er­de, da­hin­ter ein Halb­rund, be­grenzt von ei­nem Strei­fen­vor­hang, wie man ihn an Stall­tü­ren oder Schlacht­hö­fen fin­det. Grel­les Licht fällt von hin­ten auf den Tat­ort, ein leuch­ten­der Ring mar­kiert ihn mal gelb als ze­re­mo­ni­el­len Raum, mal rot als Richt­platz, spä­ter wird er blau­um­ran­det zum He­xen­kes­sel. 

Der mar­kan­ten, auch et­was simp­len Bild­spra­che (Büh­ne Krys­ti­an La­da, Kos­tü­me Adri­an Bär­win­kel, Licht Al­ek­san­dr Pro­wa­lin­ski) steht Ver­dis viel­schich­ti­ge Par­ti­tur ge­gen­über, die das St.Gal­ler Sin­fo­nie­or­ches­ter un­ter Car­lo Gold­stein fun­kelnd zum Le­ben er­weckt, in al­len Fa­cet­ten zwi­schen Kriegs­ge­dröhn, he­xi­schen Be­schwö­rungs­ri­ten, Wut­aus­brü­chen und ver­in­ner­lich­tem Pia­nis­si­mo-Schmerz. 

Der Mann mit dem Dolch

Die «pen­sie­ri di san­gue», Blut­ge­dan­ken, die Mac­beth gleich in der ers­ten Sze­ne heim­su­chen – sind sie Schick­sal, un­aus­weich­lich, Men­schen­na­tur? Oder sind die He­xen schuld, de­ren Pro­phe­zei­un­gen die gan­ze Sto­ry vor­an­trei­ben? Die St.Gal­ler In­sze­nie­rung lässt Deu­tun­gen of­fen. Viel Ge­wicht und Raum gibt sie den frea­ki­gen He­xen und ih­ren Chö­ren, auch in dem (für die spä­te­re Pa­ri­ser Fas­sung kom­po­nier­ten) Bal­lett, das die Re­gie raf­fi­niert zu Mac­beths In­nen­schau nutzt. Beim Show­down im Wald von Birnam tre­ten die Sol­da­ten als wüesch­ti Sil­ves­ter­ch­läu­se mit Je­di-Schwer­tern auf – ein eher kru­der Clash of Cul­tures.

Aber im Kern ist es die­ser In­sze­nie­rung nicht um He­xen­spuk zu Mu­te. Im­mer mit­ten drin oder im Schein­wer­fer­ke­gel am Rand der Büh­ne steht der Leib­haf­ti­ge. Jo­nas Jud, im lan­gen Man­tel, schwar­zem Haar und tief­schwar­zem Bass, wetzt lä­chelnd den Dolch, lässt ihn in die Hän­de der La­dy glei­ten, mor­det für Mac­beth, streut Er­de auf die Kin­der­grä­ber. Er sorgt da­für, dass das Ster­ben kein En­de nimmt. Der Krieg ist sein Ge­schäft, der Tod sei­ne Ren­di­te. 

Man schau­dert mit die­ser Fi­gur, sieht die Krie­ge in der Ukrai­ne, in Ga­za, im Kon­go vor sich, den Wahn­sinn der Mäch­ti­gen, die ge­ra­de dar­an sind, das Recht des Stär­ke­ren und Scham­lo­se­ren zu ih­rem Ge­setz zu er­he­ben. Im auf­brau­sen­den Blech des Or­ches­ters, in den Wor­ten der La­dy – «Voll von Ver­bre­chen ist der Weg zur Macht» – oder in den Kla­gen des Volks über die «Schur­ken­herr­schaft» im Land: In all dem klingt un­aus­ge­spro­chen, aber un­über­hör­bar das Waf­fen­ge­klirr der Ge­gen­wart mit. Stan­ding Ova­ti­on.

Giu­sep­pe Ver­di: Mac­beth. Nächs­te Vor­stel­lun­gen: 10., 23. Fe­bru­ar, 6. März, Thea­ter St.Gal­len

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