Schreib meinen Namen

Seit zwei Jah­ren nen­ne ich mich Mia, nen­nen mich mei­ne Freun­din­nen Mia. Seit ein­ein­halb Jah­ren steht das auch in mei­nem Pass, und seit ich aus der Schweiz in ein an­de­res Land ge­zo­gen bin, bin ich nur noch Mia, und we­der Staat noch Mensch hier wis­sen, wie man mich da­vor ge­nannt hat. Ich ken­ne kei­ne trans Frau, die mit der Tran­si­ti­on zu­hau­se ge­blie­ben ist, egal wo oder was die­ses Zu­hau­se ge­nau war. Dass ich al­so auch ir­gend­wann in ein neu­es Land ge­zo­gen bin, mit ei­nem neu­en Na­men, ei­nem neu­en All­tag, ei­nem neu­en Hor­mon­haus­halt, hat mich kaum über­rascht. 

Mia lebt al­so heu­te in Wien, stu­diert Bil­den­de Kunst an ei­ner re­nom­mier­ten Uni, lä­chelt Frem­de an in der Stras­sen­bahn, flir­tet mit ih­ren Freun­din­nen.

Ich le­be in der Woh­nung von Mia, je­den Tag wa­che ich in ih­rem Bett auf, und auf ih­rem Stu­di­en­aus­weis ist ein Fo­to von mir, aber wenn ich in den Spie­gel se­he, wenn sich mein Kör­per in der Glas­tür der Du­sche spie­gelt, dann se­he ich sie nicht. Sie ist ir­gend­wo ganz in der Nä­he, wahr­schein­lich, schliess­lich ist das ih­re Woh­nung, ihr Na­me steht auf den Brie­fen, die ich er­hal­te, aber ich glau­be, sie war noch nie hier. 

Ei­ne Gen­der­tran­si­ti­on ist nicht nur Bo­dy Hor­ror, ein Le­ben im fal­schen Kör­per, wie man so häu­fig sagt, es ist auch exis­ten­zi­el­ler Hor­ror. 

Der Mensch, der ich war, be­vor ich Mia war, ist schon lan­ge tot. Das ist kei­ne Flos­kel, ich hab ihn seit Jah­ren nicht mehr ge­se­hen. Ich se­he nicht mehr aus wie er, re­de nicht mehr wie er, nichts ist mehr üb­rig vom schüch­ter­nen, selbst­ver­let­zen­den Jun­gen, der nie ir­gend­wel­che Frem­den in der Stras­sen­bahn an­ge­lä­chelt hat. In mei­nem Klei­dungs­schrank liegt kein Shirt, kein So­cke, kei­ne Ja­cke mehr, die er ge­tra­gen hat. Und wenn ich Fo­tos von ihm se­he, er­ken­ne ich ihn nicht wie­der. Ge­nau so we­nig, wie ich Mia er­ken­ne, we­der auf ih­ren So­cial-Me­dia-Pro­fi­len noch in mei­nem Spie­gel. 

Mein The­ra­peut sagt, von mei­nen Trau­ma­fol­ge­stö­run­gen wer­de ich nie ge­heilt sein, bes­ten­falls kann ich sie et­was bes­ser ma­na­gen. Und ich ha­be Angst, dass es mit mei­ner Iden­ti­tät das­sel­be sein wird. Dass ich Mia nie er­ken­nen wer­de – dass ich mich nie er­ken­nen wer­de. 

Na­tür­lich dau­ert das al­les sei­ne Zeit, zwei Jah­re Hor­mon­the­ra­pie, ein­mal aus­wan­dern, ein­mal al­le so­zia­len Be­zie­hun­gen auf­lö­sen, bis nur noch die­je­ni­gen üb­rig sind, die mich nie an den Mann er­in­nern, der in mir ge­stor­ben ist. Üb­rig sind jetzt nur noch all die Al­lies, die bei je­der Ge­le­gen­heit mei­nen Na­men spre­chen, mei­nen Na­men schrei­ben. Ich traue mich nicht, ih­nen zu sa­gen, dass ich noch nicht die­se Per­son bin, son­dern ir­gend­was da­zwi­schen, ein Mensch in Grau­tö­nen. 

Ich ha­be mei­nen Na­men sel­ten ge­schrie­ben, in letz­ter Zeit ver­su­che ich es aber wie­der und wie­der. Mal auf Gruss­kar­ten, mal auf den klei­nen Ge­rä­ten, auf de­nen man Post­bo­ten den Emp­fang quit­tiert. Mal ge­schwun­gen, mal in Block­schrift, ein an­der­mal mit ei­nem Herz auf dem «i». Mal so, mal so, denn wie Mia ih­ren Na­men schrei­ben wird, weiss ich noch nicht.

Mia Nä­ge­li, 1991, ar­bei­tet nach ei­ner Jour­na­lis­mus­aus­bil­dung und ein paar Jah­ren bei ver­schie­de­nen Me­di­en heu­te in der Mu­sik­bran­che in der Kom­mu­ni­ka­ti­on, als Ton­tech­ni­ke­rin und als Mu­si­ke­rin. Seit Herbst 2024 stu­diert sie Kunst in Wien.