Schleimageddon

Während die Apokalypse vor lauter Populismus beängstigend real und verdammt nahe scheint, legt in Rorschach ein anderes Weichtier die Welt lahm.

Cin­dy Schleck vom Bo­den­see, ein ge­mei­ner Ross­schnägg, leb­te in ei­nem La­bor. Weil der Mensch auch in dem fik­tio­na­len Werk von Pie­ret­te Gnä­din­ger nach Schön­heit strebt, wird an bis­her eher ver­schon­ten Ar­ten ge­forscht: an Schne­cken wie Cin­dy. Denn in ih­rem Schleim ent­de­cken die For­schen­den ein Wun­der­mit­tel für ewi­ge Schön­heit. Weil die pos­sier­li­chen Tier­chen ge­mein­hin aber re­la­tiv klein und da­mit nicht sehr er­gie­big sind, wer­den die Weich­tie­re mit ei­ner Sprit­ze auf­ge­pumpt. Mehr Schne­cke, mehr Schleim. Doch ob­wohl die Ver­suchs­schne­cken mit Peil­sen­dern aus­ge­stat­tet sind, kann Cin­dy ent­kom­men. Nun kriecht sie ir­rend durch die Ror­scha­cher In­nen­stadt und ver­teilt ih­ren Schleim, vom Bo­den­see über den Bahn­hof, die Bus­se und die Pöst­ler:in­nen.

Bö­se Zun­gen er­in­nert das Gan­ze viel­leicht auch an die Le­gen­de um die Co­ro­na-Fle­der­mäu­se – hold my bat: Die Pan­de­mie und der da­mit ein­her­ge­hen­de ge­sell­schaft­li­che Still­stand wa­ren tat­säch­lich die In­spi­ra­ti­on für die­ses Kunst­buch der Ror­scha­cher Au­torin.

(Bild: pd)

Wie je­des aus ei­nem La­bor ent­flo­he­ne Le­be­we­sen hat auch Cin­dy die Schnau­ze, äx­gü­si, die Ra­du­la voll und will es den Men­schen heim­zah­len. Viel­leicht will sie auch ein­fach vor ih­rem Grau­en flüch­ten – die­ser Un­ter­schied wird ja ger­ne von eben­die­sen Po­pu­lis­ten (und ei­ni­gen Po­pu­lis­tin­nen), die ge­ra­de in der rea­len Welt ge­hö­rig zur Apo­ka­lyp­se bei­tra­gen, igno­riert. Nun denn, ana­log dem Hus­ten­schleim zu Co­ro­na-Zei­ten bringt nun der Schne­cken­sch­leim das öf­fent­li­che Le­ben zum Er­lie­gen. Nun liegt es an den Be­woh­nen­den von Ror­schach, krea­ti­ve Plä­ne zu schmie­den, wie man denn die Schne­cke und ih­ren Schleim wie­der los­wird, be­vor die gan­ze Welt un­ter­geht. So über­legt man, den Ha­fen­kran zu nut­zen oder doch lie­ber ei­nen Zep­pe­lin.

Als Ar­chi­tek­tin und Ur-Ror­scha­ch­e­rin be­bil­dert Pie­ret­te Gnä­din­ger das Kunst­buch für Er­wach­se­ne und Kin­der mit Dar­stel­lun­gen mar­kan­ter Ge­bäu­de aus ih­rer Hei­mat­stadt. Die Dar­stel­lun­gen hat sie mit­tels ei­nes Ar­chi­tek­tur­pro­gramms er­stellt, was dem Buch ein in­ter­es­san­tes Flair ver­leiht. Die Ver­nis­sa­ge fin­det am 7. März in St.Gal­len statt. Ak­tu­ell in po­li­tisch düs­te­ren Ta­gen ist es viel­leicht leich­ter, über den Un­ter­gang in Schne­cken­sch­leim zu sin­nie­ren, an­statt den wirk­lich tra­gi­schen Un­ter­gang durch al­te weis­se Män­ner.

Pie­ret­te Gnä­din­ger: Cin­dy Schleck vom Bo­den­see, Boox-Ver­lag, Urn­äsch 2025

Ver­nis­sa­ge: 7. März, Eve­li­ne Frisch­knecht Fi­ne Art, Markt­gas­se St.Gal­len

boox-ver­lag.ch