, 25. Mai 2019
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Schaffhausens kultureller Aufbruch nach dem Bombardement

Vor 75 Jahren ist Schaffhausen bombardiert worden. 40 Menschen starben, zahlreiche Bilder und andere Kulturgüter wurden zerstört. Eine Ausstellung im Museum zu Allerheiligen erinnert an die beispiellose Kulturspendenaktion, die auf den Angriff folgte.

Ein Pfadfinder rettet Exponate aus den Trümmern des Naturmuseums am Herrenacker in Schaffhausen. (Bild: Stadtarchiv Schaffhausen)

Der Brand der Notre-Dame in Paris hat exemplarisch gezeigt: Werden bedeutsame Kulturgüter zerstört, brandet in der Gesellschaft unmittelbar danach eine Welle der Solidarität auf – zumal in den begüterten Kreisen. Schaffhausen erlebte Ähnliches 1944, nachdem am 1. April amerikanische Bomben versehentlich auf das Städtlein am Rhein niedergingen und 40 Menschen in den Tod rissen. In Mitleidenschaft gezogen wurden auch das Naturmuseum am Herrenacker und das erst 1938 im Sinne der geistigen Landesverteidigung erbaute Museum zu Allerheiligen.

 

75 Jahre nach dem Luftangriff widmet das Museum zu Allerheiligen dem Thema eine interdisziplinäre Sonderausstellung unter dem Titel «Kunst aus Trümmern». Bis 20. Oktober ist die multimediale Ausstellung, kuratiert von Kulturhistoriker Daniel Grütter und Kunsthistoriker Andreas Rüfenacht, zu besichtigen; nicht nur in der oberen Kammgarnhalle, sondern auch an den Orten der Dauerausstellung, die 1944 verwüstet worden waren.

Bilder in Flammen, ein Bär auf dem Herrenacker

Kunst aus Trümmern: bis 20. Oktober, Museum zu Allerheiligen Schaffhausen

allerheiligen.ch

Gerademal 43 Sekunden dauert es, bis das amerikanische Geschwader an jenem Aprilvormittag über Schaffhausen hinweggeflogen ist und sich seiner Tod bringenden Fracht entledigt hat. Am meisten Tote gibt es am Bahnhof, wo ein abfahrbereiter Zug getroffen wird. Mindestens eine Brandbombe fällt auf das Naturmuseum, das schliesslich abgebrochen werden muss. Herbeigeeilte Helfer können einige wenige Exponate aus den Trümmern retten. So etwa den ausgestopften Braunbären, der dann auf dem Herrenacker steht, als ob er selbständig aus den Trümmern gezottelt wäre, und so zur Kinderattraktion wird.

Also ob lebendig wäre: Kinder bestaunen den ausgestopften Braunbären. (Bild: Stadtarchiv Schaffhausen)

Die Bomben treffen auch die historischen Zimmer und die Kunstabteilung im Westflügel des Museums zu Allerheiligen. Das Dach stürzt ein. Neun Portraits von Tobias Stimmer, dem bedeutendsten Renaissance-Künstler Schaffhausens, und das Bildnis Martin Luthers von Lucas Cranach dem Älteren werden ein Raub der Flammen. Ein grosser Teil der Schaffhauser Kunst des 16. bis 18. Jahrhunderts ist vernichtet.

79 Kunstwerke werden als zerstört deklariert. Dem Restaurator Hans Herder gelingt es allerdings, 13 Gemälden in akribisch dokumentierter Feinarbeit wieder zu neuem Glanz zu verhelfen. Beispielsweise dem Jünteler Epitaph: Durch die Hitze und das Löschwasser hat der schützende Harzfirnis Blasen geworfen. Harder löst den geschmolzenen Firnis ab und festigt die unzähligen Bläschen und losen Farbschollen. 1952 kann die Tafel wieder gezeigt werden.

Zerstört: Bildnis Martin Luther, Lucas Cranach der Ältere, 1528.

Beispiellose Spendenaktion

Ein Grossteil der Werke blieb jedoch unwiederbringlich zerstört. Der Angriff auf Schaffhausen löste landesweite Empörung aus. Die mediale Berichterstattung – insbesondere jene der NZZ – gipfelte im Aufruf zur Solidarität und zur Kulturspende. Private, Stiftungen, Kantone und Gemeinden schenkten Schaffhausen 74 Gemälde, diverse Möbel, eine frühbarocke Tapisserie, kleine und grosse Kunstgegenstände. Genf übermachte ein Selbstbildnis von Hodler und eine Landschaft von Barthélemy Menn; die Stadt Basel einen Rheinfalls von Ferdinand Schalch, eine Winter-Allegorie des Schaffhausers Daniel Lindtmayer des Jüngeren und einen Holzschnitt der Kreuztragung von Martin Schongauer; der Kanton Bern, Vevey und eine Privatperson spendeten je einen Albert Anker. Auch die Ortsbürgergemeinde St.Gallen schickte ein Möbelstück. Unter den Spendern figurierte ebenso Divisionär Eugen Bircher, erbitterter Landesstreikgegner, elitärer Sozialdarwinist und rechtsbürgerlicher Demokratiekritiker, der sich nach dem Geschmack einiger Kommentatoren nie richtig von den Frontisten distanziert hat.

Spende der Stadt Genf: Selbstbildnis mit Rosen, Ferdinand Hodler, 1914.

Auch sogenannt einfache Leute spendeten dem Museum, was sie geben konnten: Gemälde, Porzellan und anderes. Vieles wurde direkt magaziniert und wird jetzt im Rahmen der Ausstellung erstmals öffentlich ausgestellt. Darauf legen die Kuratoren Daniel Grütter und Andreas Rüfenacht besonders wert: Die gespendeten Bilder werden unabhängig ihrer Provenienz und ihres künstlerischen oder materiellen Werts allesamt nebeneinander ausgestellt. Ohne Hervorhebungen oder sonstige Wertungen. Der Solidaritätsgedanke steht im Zentrum, nicht der Klassenunterschied.

Spende der Stadt Vevey: Böckligumpis, Albert Anker, 1866.

1946 gründeten Nachkommen des alten Schaffhauser Adelsgeschlechts Peyer die Tobias Stimmer-Stiftung aus Geldern der amerikanischen Reperationszahlungen. Denn fünf der zerstörten Bilder waren im Besitz der Familie Peyer. Zweck der Stiftung: Bewahrung des Schaffhauser Kulturerbes. Die USA bezahlten 350‘000 Franken, welche die Peyers in die Stiftung gaben. Bis heute liegt der Schwerpunkt der Stiftung auf der Beschaffung von Werken aus der Zeit und dem Umkreis Stimmers. Wie stark sich die Familie Peyer auch am Wiederaufbau der Stadt beteiligte, ist nicht bekannt.

Eines der geretteten Werke: Bildnis Conrad Gessner, Tobias Stimmer, 1564.

Schaffhausen wird zur Kulturstadt

Während das Naturmuseum zerstört blieb, konnte das Museum zu Allerheiligen dank der zahlreichen Kulturspenden in Form von Geldern und Gütern bereits 1946 wiedereröffnen. Seit den 1980er-Jahren vereint es alle klassischen Museumssparten – Kunst, Kulturgeschichte, Geschichte und Natur – in einem Haus. Es hat sich so vom einstigen Heimatmuseum zum Universalmuseum gewandelt.

Kulturell bedeutete die Nachkriegszeit für Schaffhausen einen beispiellosen Aufbruch. Unter Walther Bringolf, einst KP-Mitglied, später sozialdemokratischer Schaffhauser Stadtpräsident von 1933 bis 1968, stieg Schaffhausen zu einem kulturellen Zentrum des Landes auf: Gleichzeitig mit der Neueröffnung des Museum wurde das biennale internationale Bach-Fest ins Leben gerufen. Für das Museum war es die Zeit der «grossen Ausstellungen»: zu Rembrandt, zu Tizian oder 1968 zu Munch. Zu letzterer erschien in Glanz und Gloria und mit militärischen Ehren empfangen gar der schwedische König.

Dieser Beitrag erschien im Mai-Heft.

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