Schadet der Wirtschaft

Das Volk soll über die Renovation des Theaters St.Gallen abstimmen. Der Kantonsrat hat dies per Ratsreferendum beschlossen. Einmal mehr gilt für Kultur nicht gleiches Recht wie für andere Staatsaufgaben. Ein Kommentar.
Von  Peter Surber
50 Jahre und ein bisschen marod: Theater St.Gallen, Ansicht von hinten.

Das Theater St.Gallen ist 50 Jahre alt und renovationsbedürftig. Wäre das Theater ein Schulhaus oder ein Spital, ein Polizeigebäude, ein Sportplatz oder eine Kantonsstrasse, so käme kein Mensch und nicht einmal ein St.Galler Kantonsrat auf die Idee, diese Renovation in Frage zu stellen. Die Strasse hat Löcher – muss man flicken… Das Schulhausdach ist undicht: klarer Fall… Das Spital ist veraltet – inakzeptable Zustände… So würde argumentiert, selbst im sparsüchtigen St.Galler Parlament.

Für ein Kulturgebäude gilt diese Selbstverständlichkeit jedoch nicht. Warum nicht: Dafür gibt es eine Ebene im Vordergrund und eine im Hintergrund.

Vorgeschoben werden finanzielle Argumente: Die Renovation könnte vielleicht auch günstiger gemacht werden. Oder das Haus könnte, wenn man schon Geld in die Hand nimmt, gleich abgerissen und neu gebaut werden. Beide Varianten zeugen von mutwilliger Ignoranz.

Zum ersten: Die knapp 50 Millionen werden für veraltete Technik, durchgerostete Rohre, Akustikschäden usw eingesetzt sowie für einen minimalen Erweiterungsbau, nötig zum Beispiel für getrennte Garderoben und mehr Platz für die eingequetschten Werkstätten, Details dazu hier. Verbesserungen für die Produktionen, etwa eine Drehbühne, wurden erst gar nicht budgetiert. Gemacht wird das Nötigste, und das geht kaum billiger, das wissen die Neinsager, denn sie waren auch an der Parlamentarierführung.

Zum zweiten: Den St.Galler Theaterbau abzureissen, kann nur jemandem in den Sinn kommen, der auch die Taliban dazu beglückwünschen würde, die Statuen von Bamiyan zerschossen zu haben. Das Gebäude ist kein «Betonklotz», sondern eine Ikone des Betonbaus der Schweiz und der überzeugendste Neubau der Stadt in den letzten rund hundert Jahren. Das Theater ist eine radikale und zugleich spielerische Architektur-Skulptur, nach fünfzig Jahren noch genauso kraftvoll und zeitlos gültig wie bei ihrem Bau. Das wissen alle, ausser sie waren noch nie drin oder in der Nähe.

Architekt Claude Paillard schrieb übrigens 1968, bei der Eröffnung des Theaters: «Als wichtigstes Merkmal des Neubaus kann die Tatsache gelten, dass er ein massvolles Haus ist, ein Theater, bei dem massgehalten wurde: bei der Aufstellung des Raumprogramms, bei der Bestimmung der Raumabmessungen, bei der Dosierung der Ansprüche – und daher auch bei den Kosten.» Das gilt auch 2017 für die Renovation wieder.

Die Argumente sind also vorgeschoben. Was dahinter steckt, ist die chronische Abneigung der Partei der Sparer und Millionäre gegen alles, was nach Kultur riecht und damit nach Auseinandersetzung, nach Reflexion, aber auch nach sinnlicher Bereicherung und nach Vergnügen. Das Klanghaus: bruuched mer nöd. Das Theater: ein elitärer Klotz. Kunst in der Lokremise: versteht ja keiner. Und so weiter.

Bloss ans Musical lässt man sich dann doch gern einladen.

Das Volk kann dank 43 Kantonsratsstimmen (zwei Mittestimmen, 40 SVP und Etrit Hasler, SP) nächstes Jahr also über die Theaterrenovation abstimmen. Das verzögert die dringliche Reparatur, aber es stützt (im Fall eines Ja, das sich Hasler erhofft) die Anliegen der Kultur, die übrigens die Anliegen der ganzen Gesellschaft sind. Anzunehmen ist tatsächlich, dass im Abstimmungskampf in erster Linie über Kultur diskutiert wird. Dabei ist die Reparatur des Theaters kein künstlerisches Projekt, sondern eine Bauvorlage.

Ein Ja heisst: Das Geld wird nicht in nutzlose, elitäre und unverständliche Kunst verbuttert, sondern fliesst in die Kassen der Handwerker, Planerinnen und Baufirmen. Ein Nein, um es mit Manuel Stahlbergers Lied zu sagen, «schadet der Wirtschaft». Diese Schlagzeile dürfte auch die hartgesottensten Kulturfeinde überzeugen, Ja zur Theaterrenovation zu sagen.