#Saitenfährtein in Konstanz
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Der Blick ins Tal am frühen Dienstagmorgen hat wiedermal eines vor Augen geführt: Das Nebelmeer ist nur von Weitem schön.
Wir haben uns trotzdem auf den Weg dorthin gemacht, auch wenn wir es mit jedem Meter mehr bereuten. Trotzdem. Der gelbe Saitenbus stach tapfer immer tiefer hinein und pünktlich nach Meggenhus hatten wir vergessen, dass sowas wie Sonnenwetter überhaupt jemals existiert hat. Irgendwo.
Etwas zerknittert kamen wir gegen Mittag endlich an im kalten Konstanz. Nach gefühlten 100 Stunden auf der Nicht-Autobahn durch den milchweissen Thurgau tuckernd, fuhren wir ein in die grosszügige Parkingoase am Rande der Altstadt. Und hatten Hunger.
Das Budget sollte wenigstens reichen für etwas Sonnenschein im Magen, dachten wir, und steuerten zielstrebig zum Griechen, wo wir erstmal ein ordentliches Fressfest veranstalteten, um wieder auf Betriebstemperatur zu kommen. Dort erfuhren wir auch, dass Pantominen nur hinein dürfen, wenn sie auch was essen. Gearbeitet wird auf der Gasse.
Pappsatt trennten sich unsere Wege: Ein Teil ging Richtung Aussenquartiere, der andere Richtung Altstadt und Weihnachtsmarkt.
Ja, zum Weihnachtsmarkt. Es gibt sinnvolleres, schon klar. Und gemütlicheres. Aber da wir in letzter Zeit immer wieder in den Genuss phantastischer Erzählungen und Facebook-Postings vom Konstanzer Weihnachtsmarkt gekommen sind, haben wir beschlosssen, dass wir diesem Sammelbecken für Staubfänger und Freizeitsäufer trotzdem eine Chance geben wollen.
Zuerst ging es aber in den Plattenladen. Das gibt es noch! In St.Gallen sind sie ja bekanntlich am Aussterben, zumindest jene, in der allseits aufgewerteten Innenstadt. Dagegen brummt das Geschäft im Konstanzer «Studio 1» regelrecht, wenn man dem Inhaber glauben will. Auch dank auswärtiger Kundschaft: «Die Schweizer kommen zu uns, weil die Platten hier günstiger sind», erklärte er. Und das einen Tag, nachdem die Vinylverkäufe in Grossbritannien zum ersten Mal die Downloadeinnahmen übersteigen. Es hätte keinen schöneren Satz geben können.
Leider war die Musikauswahl nicht ganz so breit gefächert, wie wir uns das gewünscht hätten. Henu, für zwei Bijoux hat es gereicht.
Später haben wir uns dann sagen lassen, dass das «Studio 1» sein Sortiment in letzter Zeit «doch um einiges aufgestockt» habe. Gut so. Wenn jetzt noch all die CD’s verschwinden, die seit den Nullerjahren eh niemand mehr kauft, hat es bald auch Platz für weitere Sparten. Apropos abgelaufen – auch das haben wir gefunden:
Gegen 15 Uhr ging es weiter Richtung Weihnachtsmarkt, und wie gerufen pressten sich plötzlich zweidrei Sonnenstrahlen durchs Nebeldickicht. So war die vorwiegend Schweizerdeutsch sprechende Menschenmasse in der Altstadt fast schon erträglich.
Eine Tasse Glühwein am Seeufer konnte trotzdem nicht schaden. Mit Schuss. Schmeckte gut – auch dank der Aussicht aufs hartnipplige Dekolletee der «Imperia» und der Gesellschaft dutzender Möwen und Tauben – und angesichts der Preise in St.Sternenstadt (NAZ Glühwein Spezial: CHF 6.–) gleich noch ein bisschen besser.
Von dort aus hätte man auch übersetzen können, zum Beispiel nach Friedrichshafen. «You can take se Kätämärän, if you like!», frohlockte eine weibliche Stimme im Lautsprecher. Aber an diesem Tag hatten wir eine andere Mission.
Der Gang durch den Weihnachtsmarkt fühlte sich eher zwiespältig an. Einerseits war es eine Freude zu sehen, dass die Marktstände in Konstanz nicht alle so tupfgleich aussehen wie jene in St.Gallen, sondern fast durchwegs Einzelanfertigungen sind. Manche Chalets haben Moos und Tannenchrääs an den Wänden, andere selbstgebaute Vordächer oder geschnitzte Theken. Und überall gibt es Quiches!
Andererseits war da das Sortiment. Völlig austauschbar, vom holzigen Rüstbrettli bis zur hinterletzten Strohgans. Dieser ganze Schmuck, all die Kerzenständer und Duftpalästchen: Wofür braucht man diesen Scheiss eigentlich?
Wir waren uns einig: Weihnachtsmärkte rangieren definitiv ganz weit oben in der Maslowschen Bedürfnispyramide.
Immerhin, Kirche, Sex und Drogen waren wohl noch nie so nah beieinander wie am Konstanzer Weihnachtsmarkt.
…Wenn wir diesbezüglich noch eine Kleinigkeit anmerken dürfen: Cannabis schreibt sich laut Duden mit zwei «n». Und wir müssens wissen, schliesslich gehören wir zur schreibenden Zunft.
Ganz abstinent bleiben konnten wir auch nicht – beim Anblick dieser Schilder mussten wir einfach spontan das Portemonnaie zücken. Dreimal dürft ihr raten, welches Schild bald das neue Saiten-Büro an der Frongarten zieren wird…
Um 15 Euro ärmer machten wir uns gegen halb fünf auf ins Warme, genauer gesagt ins Café Exxtra. Ein versteckter, beizeliger Ort samt schwarzer Hauskatze an der Hieronymusgasse nahe dem Kulturzentrum K9.
An dieser Stelle ein kleiner Veranstaltungstipp, einfach weil sich der Name so sympa liest:
Ein Bier später standen wir wieder auf dem Weihnachtsmarkt. Diesen fanden wir immer noch nicht gerade umwerfend, aber mit der Dämmerung kam zumindest ein Stück weit auch die Versöhnung. Weil im Dunkeln alles schöner ist. Vor allem, wenn es mit Menschen zu tun hat. Und davon gabs am Weihnachtsmarkt immer noch reichlich um 18 Uhr. Ebenso wie, kurzer Einschub, eine Stunde später in der vollbesetzten Werkstatt des Stadttheaters, das bloss einige Schritte vom Weihnachtstheater entfernt ist, aber ganz andere Themen wälzt, mehr davon hier.
Gegen Misanthropie gibt es sicher 1000 Therapien, sagten wir uns auf dem Weg zum Bahnhof – und blieben prompt an diesem Aushang kleben:
Leider mussten wir feststellen, dass Monsieur Hypnotiseur keine Therapie gegen Massenkoller und Kitschallergie im Angebot hat. Dafür hilft er bei Prüfungsstress, Sprachproblemen (CaNNabis!) und Nikotinsucht. Immerhin. Fehlt noch Alkoholismus.