Saiten im November: Ich bin nicht die Retterin der Menschen.

Gibt es irgendeinen Bereich der Sozialen Arbeit, der nicht in direktem Zusammenhang zur Politik steht? Asylwesen, Sozialversicherungen, Integration, Kinder- und Erwachsenenschutz – alles Themenfelder, auf deren Entwicklung die Politik massiv Einfluss hat.
Das neue Sozialhilfegesetz des Kantons St.Gallen beispielsweise sieht vor, die Mutterschaftsbetreuungsbeiträge aufzuheben. Weiter verlangt es, dass Arbeitssuchende aus EU- und EFTA-Staaten oder Personen mit Aus- und Wegweisungsentscheiden künftig von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden und nur noch Nothilfe beantragen können. Solche Entscheidungen haben direkte Auswirkungen auf die Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit und die Menschen, für die sie Unterstützung bieten müsste. Gemäss ihrer Definition müsste die Soziale Arbeit auf Integration achten, doch solche politischen Entscheide erschweren jegliche Integration.
Als wäre das nicht schon genug, wird von rechter und bürgerlicher Seite auch noch allzu gern auf den Leuten herumgehackt: auf den Betroffenen, weil sie angeblich «scheininvalid», «Sozialschmarotzer» oder «Asyltouristen» sind und auf den Fachleuten, weil sie «Gutmenschen», «Sozis» oder womöglich sogar «Sozialmafiosi» sind. In der politischen Diskussion werden letztere – anders als die Fachleute anderer Branchen – viel zu selten ernstgenommen. Das mag verschiedene Gründe haben. Einer davon könnte sein, dass Soziale Arbeit niemals profitorientiert ist, zumindest nicht im monetären Sinn. Das ist unpopulär in unserer ökonomisch dominierten Welt voller Benchmarks, Returns on Investments und Standortfaktoren.
Beim Fachbereich Soziale Arbeit der Fachhochschule St.Gallen sieht man das ähnlich: «In unserer individualisierten und leistungsorientierten Gesellschaft stehen Soziale Arbeit und Politik in einem engen Wechselverhältnis zueinander – sprechen aber oft nicht die gleiche Sprache», heisst es im Programm der diesjährigen Bodenseetagung, die am 17. November stattfindet, unter dem Motto «Soziale Arbeit macht Politik». Oder macht Politik Soziale Arbeit (erst nötig)? Dieses Spannungsfeld gab den Anstoss für dieses Kooperationsheft zwischen Saiten und dem FHS-Fachbereich Soziale Arbeit.
Claudio Bucher portraitiert vier Studierende der Sozialen Arbeit und fragt sie nach ihren Haltungen, Lukas Feierabend gibt Auskunft über seine Arbeit als Leiter der Sozialen Dienste in Arbon, Roman Rutz beschreibt die Ziele der Kritischen Sozialen Arbeit, Stadtratskandidatin Maria Pappa erklärt, warum der Berufsverband AvenirSocial sich sozialpolitisch positionieren muss,Thomas Knill erläutert das neue St.Galler Sozialhilfegesetz und Walter Grob nimmt Stellung zum Kesb-Hick-Hack in der Grossregion Rapperswil. Die Bilder zum Titelthema hat Ladina Bischof gemacht.
Ausserdem im Heft: Sechs Seiten zum neuen St.Galler Naturmuseum, drei zur wundersamen Verwandlung einen Neonazis. Und Toggenburg auf allen Kanälen.
Corinne Riedener
Der Inhalt:
Positionen/Reaktionen
Blickwinkel von Jiří Makovec
Stadtpunkt von Dani Fels
Einspruch von Hans Stutz
Redeplatz mit Kati Michalk
Jubilate!
Gastrecht II: Herwig Bauer gratuliert dem Palace
Soziale Arbeit und Politik
«Eine Art Feuerwehr»
Lukas Feierabend, Chef der Sozialen Dienste in Arbon, im Interview über Soziale Arbeit, populistische Anfeindungen und «renitente» Klienten.
von Corinne Riedener
Sozialarbeit studieren – vier Porträts
Gespräche mit den FHS-Studierenden Sofian Yousfi, Meryem Oezdirek, Susanne Su und Lars Girardet.
von Claudio Bucher
Nieder mit abstrakten Bedürfnistabellen!
Ein Plädoyer für kritische Soziale Arbeit.
von Roman Rutz
«Hug schafft ein Klima der Angst»
Kesb-Bashing und die Folgen: Ein Gespräch mit Walter Grob, Präsident der Kesb Linth.
von Frédéric Zwicker
Harte «Hängematte»
Weniger Leistungen, mehr Gemeindesolidarität: Das neue St.Galler Sozialhilfegesetz.
von Thomas Knill
Die politische Verpflichtung
In der Sozialen Arbeit geht es um Individuen – aber auch um die Gesellschaft.
von Maria Pappa
Die Porträts zum Titelthema fotografierte Ladina Bischof.
Perspektiven
Flaschenpost von Neil Nein aus Hamburg
Vorarlberg
Thurgau
Schaffhausen
Rapperswil-Jona
Stimmrecht von Yonas Gebrehiwet
#Saitenfährtein: Toggenburg
Schwulsein in Ebnat-Kappel, rocken in Kirchberg.
von Corinne Riedener und Frédéric Zwicker
Report
Der Redemption-Song des Ex-Neonazis.
Ein Bericht über Charly.
von Frédéric Zwicker
Kultur
Konferenz der Tiere
Vor der Eröffnung des neuen St.Galler Naturmuseums: Gespräche mit dem Gestalter und dem Direktor und ein Blick zurück auf das museale Sammeln.
von Peter Surber, Peter Müller und Daniel Ammann (Bilder)
Lachen, Lust und List: 40 Jahre Punk in St.Gallen
von Pius Frey
Bartleby, Barnebooth, Bartlebooth in der Kellerbühne
von Peter Surber
Gertrud, Elvis, Paul und Paula im Figurentheater
von Seraina Manser
Appenzellerland im Kopf
Die Anthologie Ich wäre überall und nirgends
von Wolfgang Steiger
Mächtig geheim
Die Okkultisten von Stein AR
von Richard Butz
Dada ist 100 in Frauenfeld.
von Florian Vetsch
Der Film zur Sterbehilfe von Thomas Lüchinger.
von Frédéric Zwicker
Rex, Roxy, Royal: Der Schweizer Kinoreiseführer.
von Katharina Flieger
Abgesang
Kehl buchstabiert die Ostschweiz
Kellers Geschichten
Charles Pfahlbauer jr.
Boulevard