Saiten im Sommer: Ab in den Süden
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Natürlich ist er schön, unser Süden. In Quinten, dem Tessin St.Gallens, blühen Feigen und Kiwis. Fantastische Bilderbuchwelt, dieser Walensee zwischen Sarganserland und Linthgebiet. Aber sonst? Sagenumwoben, rätselhaft, ab vom Schuss, traditionsverbunden bis konservativ, verbohrt und engstirnig, zürichorientiert – die Klischees über den Süden des Kantons St.Gallen wecken bei uns Nachbarn im Norden auch eigenartige Gefühle.
Im Grunde ist schon der Nachbarschafts-Begriff verfehlt. Der Ricken hält See und Gaster nicht nur topografisch zuverlässig auf Distanz, und etwas weiter östlich strömt uns der Alpenrhein entgegen oder verstellt einem der Alpstein unverrückbar den Blick auf das Sarganserland. Zwar haben die St.Galler Fürstäbte schon im Mittelalter ihre gierigen Krallen nach den südlichen Herrschaften ausgestreckt, dem gesellschaftlichen Schulterschluss hat das aber wenig gedient.
Konsequenterweise wurden die Gebiete in der Helvetik dann auch vom Norden abgetrennt und zum Canton Linth zusammengefasst. Das durchaus vernünftige republikanische Experiment unter französischer Ägide endete allerdings schon nach fünf Jahren, und mehr zum Trotz als aus politischer Weitsicht wurde 1803 der Ringkanton St.Gallen gegründet. Doch das ganze Müller-Friedberg’sche Nation Building hat wenig genützt. Entlang der Ricken-Speer-Alvier-Linie verläuft bis heute ein Graben – politisch wie gesellschaftlich: Der Süden ist uns Nordmenschen im Wesentlichen fremd geblieben.
Für Saiten Grund genug, die Taschen zu packen und diesem Süden etwas auf den Zahn zu fühlen. Die Redaktion haben wir für ein paar Tage nach Weesen verlegt und sind in die einstigen Sumpflandschaften ausgeschwärmt. Ins gewittrige See-Gaster-Land etwa, wo Bodenschätze schlummern und die Armee gerne die Kampfjets fliegen (und abstürzen) lässt. Corinne Riedener zog es zu Fuss nach Quinten, wo ein Bio-Weinbauer und Altanarchist mit Sukkurs des Schützenvereins den kulturellen Aufbruch probt, ganz zum Missfallen des zurückgekehrten Ortsbürgerpräsidenten. Peter Surber berichtet über unterschiedlich zukunftsträchtige Grossbauprojekte von Mels über Flums bis Bad Ragaz. Andreas Kneubühler erklärt, warum dank der Sardona-Connection im Süden gelingen könnte, was im Toggenburg scheiterte: die Rettung eines Landspitals. René Hornung schildert am Beispiel der alten Spinnerei Uznaberg die Demontage des kantonalen Denkmalschutzes. Und der Rapperswiler Pascal Schmitz erklärt uns die Welt aus Sicht eines Lakers-Insiders. Die Bildstrecke aus dem Calfeisental, dem südlichsten Südzipfel des Kantons, hat Gian Ehrenzeller fotografiert.
Ausserdem im proppenvollen Kulturkalender-Sommer: die traditionellen Saiten-Sommer-Hingeh-Tipps, ein Redeplatz mit Etrit Hasler zum (vorläufigen) Rückzug aus der St.Galler Politik, ein Rückblick zum Ende des 40-jährigen Waldgut-Verlags und, leider unvermeidlich, die Nachrufe auf Fred Kurer, Lars «Sir Dancealot» Eugster, Armin Eisenring und auf die Ostschweizer Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht.
Roman Hertler
Der Inhalt:
Reaktionen / Positionen
Viel geklickt
In eigener Sache / Position I
Position II
Redeplatz mit Etrit Hasler
Stimmrecht von Samantha Wanjiru
Nebenbei gay von Anna Rosenwasser
Warum? von Jan Rutishauser
Ab in den Süden
Wo die Schweiz 1847 kippte, vor 25 Jahren ein Tiger-Kampfjet im Torf versank und ein Aktivist gegen den Baufilz kämpft: Grabungen in See und Gaster. Von Roman Hertler
In Rapperswil-Jona weiss man nicht so genau, wo man hingehört. St.Gallen? Zürich? Lieber definiert man sich durch sich selbst. Und durch die Lakers. Von Pascal Schmitz
Quinten ist im Aufbruch. Aber das passt nicht allen. Ein Besuch im Mini- Tessin des Kantons St.Gallen und bei Bio-Weinbauer Hampi Cadonau. Von Corinne Riedener
Im Sarganserland könnte gelingen, was im Toggenburg scheiterte: die Rettung eines Landspitals. Der Grund heisst Sardona-Connection. Von Andreas Kneubühler
Zwischen urbaner Zukunft und konservativer Agglo: Unterwegs im Sarganserland zwischen «Flumserei» und Fashion Outlet, Schloss Sargans und Tannenboden. Von Peter Surber
Noch steht die Spinnerei Uznaberg unübersehbar am Hang. Aber ihr Abbruch ist beschlossene Sache. Und der Denkmalschutz wird demontiert. Von René Hornung
Perspektiven
Flaschenpost von den Azoren, wo sich Walbeobachter-Perspektiven und zeitliche Zwischenräume auftun. Von Davide Tisato
Nach 40 Jahren ist der Thurgauer Waldgut-Verlag Geschichte – das Lebenswerk von Beat Brechbühl. Von Eva Bachmann
Ein deutsch-arabischer Wortdialog mit der im Thurgau lebenden Autorin Zsuzsanna Gahse und dem syrischen Schriftsteller Shukri Al Rayyan.
Kultur
Kultursommer 2021: Es geht wieder los! Musik, Theater, Kunst und Filme in Heerbrugg, Urnäsch, Egg, Lichtensteig, Niederhelfenschwil, St.Gallen, Neu St.Johann, Heiden, Wil, Trogen, Teufen, Flawil, Appenzell, Kreuzlingen, Arbon, Weiertal, St.Peterzell, Bühler, Eschlikon, Lustenau, Steinach, Eggersriet und Weinfelden. Mit Beiträgen von Kristin Schmidt, Richard Butz, René Hornung, Sascha Erni, Peter Surber, Bettina Kugler, Andreas Kneubühler, Corinne Riedener, Peter Müller, Judith Schuck und Dieter Langhart.
Nachruf I: Das kulturelle St.Gallen verliert mit Fred Kurer eine herausragende Persönlichkeit. Von Richard Butz
Nachruf II: Lars «Sir Dancealot» Eugster ist in die andere Welt aufgebrochen. Erinnerungen von Klemens Wempe und Florian Vetsch
Nachruf III: Der Musikfreak und einstige Z-Records-Inhaber Armin Eisenring ist 74-jährig gestorben. Von Pius Frey
Abgesang
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