, 31. August 2019
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Saiten im September: Kontrollverlust

Ein Heft zum Schnüffelstaat früher und heute. Ausserdem: Sans-Papiers in St.Gallen, General Westmoreland in Arbon und die frühen Fotografinnen in der Schweiz.

Die Bilder zum Titelthema hat Tobias Siebrecht gemacht.

Neulich erzählte ich einem Kollegen eine gruslige Geschichte: Vor zwei Jahren war ich in Helsinki und berichtete unserer Gastgeberin, weshalb ich einen Verband ums linke Bein trug. Ich hatte mir zuvor bei einem Fussballspiel auf Kunstrasen das Schienbein zweifach aufgeschürft. Die grossflächige Wunde war zwar nicht weiter schlimm, schmerzte aber tagelang und liess mich im Schlaf immer wieder zusammenzucken, wenn ich mich drehte.

Zwei Tage, nachdem ich meiner Gastgeberin davon erzählte, erschienen plötzlich mehrfach Bepanthen-Werbungen auf meinem Facebook-Profil, obwohl ich weder danach gegoogelt noch sonst irgendwie die Wundheilsalbe erwähnt hatte. Es wird noch unheimlicher: Kurz nachdem ich eingangs erwähntem Kollegen von dieser fiesen Werbeattacke berichtet hatte, schickte er mir eine SMS, er habe soeben auch eine Bepanthen-Werbung auf einem seiner Social-Media-Kanäle erhalten.

Auch wenn es sich hierbei um einen dummen Zufall gehandelt haben sollte: Man muss sich immer wieder vergegenwärtigen, welche Abgründe sich hinter der segensreichen Digitalisierung auftun können. Dass Laptop-Kameras und Handy-Mikrophone potenziell überwacht respektive abgehört werden, ist an sich ein alter Zopf. Wer es mit welcher Absicht tut, ist nicht immer klar. Klar ist, dass wir – ob wir wollen oder nicht – auf Schritt und Tritt überwacht werden, von privater Seite mit finanziellen Gewinnabsichten und durch staatliche Organe aus vermeintlichen Sicherheitsgründen.

Vor 30 Jahren deckte eine bundesparlamentarische Untersuchungskommission auf, in welch ungeheurem Ausmass die schweizerischen Geheimdienste grosse Teile der Bevölkerung aufgrund ihrer politischen Gesinnung beschattet und in Registern erfasst hatten. In diesem Heft blicken wir darauf zurück, wie Polizisten und Hobbyspione während des Kalten Krieges ausgiebig in Privatangelegenheiten von St.Gallerinnen und St.Gallern herumschnüffelten. Als Experiment haben wir uns auf die Gegenseite begeben und die grüne National- und Ständeratskandidatin Franziska Ryser überwacht – mit den Kommunikationsdaten, die heute von Gesetzes wegen erhoben und gespeichert werden. Matthias Fässler erläutert, wie die Zürcher Stadtpolizei nach dem Fussballspiel gegen den FCSG eifrig ihre Datenbanken mit Informationen über Fans füttert. Eine Ausstellung in St.Peterzell beschäftigt sich mit dem Thema Privatsphäre und Anonymität. Und Marcel Baur spielt mit dem Gedanken, was eigentlich wäre, wenn wir im Netz komplett auf Privatsphäre verzichten und alles offenlegen würden. Zum Titelthema fotografiert hat Tobias Siebrecht.

Ausserdem im Heft: Der General Westmoreland vor 50 Jahren in Arbon, das Schlupfhuus St.Gallen, die «IG Sans-Papier SG», Post aus Kapstadt und die späte Ehre für die frühe Berufsfotografin Mia Hesse. Nicht zu vergessen die neue Wanderrubrik: Kehls Kompass.

Roman Hertler

Der Inhalt:

Reaktionen/Positionen
Nebenbei gay von Anna Rosenwasser
Warum? von Jan Rutishauser
Redeplatz mit Martin Sailer
Stimmrecht von Farida Ferecli
Sommerhitze I – II – III
Eine Ode auf den Parkplatz von Marcus Schäfer

Titel

Willkommen im digitalen Totalitarismus: Telefon- und Internetanbieter speichern unsere Daten – aber welche?
von Corinne Riedener

Fischen auf Vorrat: Wie die Zürcher Stadtpolizei Fussballfans kontrolliert und damit ihre Datenbank füttert. Zum Beispiel am 14. August 2019.
von Matthias Fässler

Hosen runter! «Post-Privacy» oder die Kunst, unseren Daten den Wert zu entziehen – indem wir alles offenlegen.
von Marcel Baur

30 Jahre World Wide Web und die Kunst: Eine Ausstellung in St.Peterzell fragt, wie es um unsere Privatsphäre steht.
von Peter Surber

30 Jahre Fichen-Skandal: Auch die Ostschweiz war im Fokus der Staatsschützer. Fichierte und Spione blicken zurück.
von Roman Hertler

Bilder und Cover: Tobias Siebrecht

Perspektiven

Tiere gehen immer: Die Flaschenpost aus Kapstadt.
von Julia Kubik und Tim Rüdiger

Rechtlos in der pützleten Schweiz: Das Gespräch mit Matthias Rickli und Gianluca Cavelti zur IG Sans-Papiers St.Gallen.
von Corinne Riedener

Mit 15 Jahren ging Noémie Walser ins Schlupfhuus. Es war ihre Rettung.
von Nina Rudnicki

Als der Vietnamkrieg nach Arbon kam: Erinnerung an den Besuch von General Westmoreland vor 50 Jahren.
von Harry Rosenbaum

Kultur

Gerechtigkeit für Mia Hesse – und eine Spurensuche nach anderen Foto-Pionierinnen.
von Urs Oskar Keller

Mit einem Klick zur Kultur: Seit fünf Jahren gibt es die Vermittlungsplattform kklick.
von Peter Surber

OMG, zum Glück ist das nur ein Film – die Komödie Die fruchtbaren Jahre sind vorbei.
von Corinne Riedener

Ab zum Mars: Die NASA-Bilder und zeitgenössische Kunst in Rapperswil-Jona.
von Sascha Erni

Im Sammlungs-Dschungel: Die Ausstellung «Bricolage» in St.Gallen.
von Sandra Cubranovic

Wenn Bands ihre Keller öffnen: das Disorder ­Bandraumfestival.
von Urs-Peter Zwingli

Tutti und fortissimo: Elf Chöre gemeinsam an der ersten St.Galler Chornacht.
von Eva Bachmann

Stadträume, Zirkusträume, neue Lyrik, keine Panik, Terror und Theater: der Kulturparcours.

Boulevard

Abgesang

Kehls Kompass
Kellers Geschichten
Pfahlbauer
Comic von Julia Kubik

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