Im März: Zum Beispiel Lichtensteig
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Spital-Krämpfe, Bergbahnen-Streit, Campus-Knatsch. Das Toggenburg punktet in letzter Zeit nicht gerade mit Good News. Dabei wären erfreuliche Nachrichten dringend nötig für diese Region, die seit Jahren mit dem Niedergang der Textilindustrie, mit Arbeitsplatzverlusten, Abwanderung und konservativen Weltbildern kämpft. Neue Ideen sind gefragt. Und neue Erzählungen. Eine könnte, frei nach Goscinny und Uderzo, etwa so gehen: Wir befinden uns im Jahre 2020 nach Christus. Das ganze Toggenburg ist vom Stillstand gelähmt. Das ganze Toggenburg? Nein! Ein von fortschrittlichen Toggenburgern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Stillstand zu trotzen – und erfindet sich neu…
Gemeint ist Lichtensteig, die einzige Stadt im Toggenburg. Sie hat besonders unter dem Strukturwandel gelitten: Viele Arbeitsplätze gingen verloren, Schulen, Gewerbe und Detailhandel sind mehrheitlich ins Tal gewandert, die Infrastruktur verkümmert. Das Städtli wurde vom Wandel überholt. Dabei war Lichtensteig jahrhundertelang das Zentrum der Region, hatte Märkte, ein Gericht, eigene Münzen und Eigensinn, denn mit den Waren kamen auch neue Ideen ins Städtli. Persönlichkeiten wie der Pechvogel und Deserteur Ueli Bräker oder der Instrumentenerfinder, Mathematiker und Astronom Jost Bürgi stammten aus Lichtensteig. Und die Antifaschistin und Widerstandskämpferin Paula Rueß.
Übriggeblieben sind die pittoreske Altstadt, ein grosses Raumpotenzial und der Innovationsgeist. Aber auch Schulden. Die Gemeinde investiert darum vor allem in die Menschen; in die Partizipation, in Projekte und Freiräume. Oder wie Stadtpräsident Mathias Müller sagt: «Wir machen quasi ‹nichts›, die Leute machen.» Etwa 30 Projekte und Initiativen sind so in den letzten Jahren entstanden: Aus dem ehemaligen Rathaus wurde beispielsweise ein Kulturzentrum, aus der alten Post ein Co-Working-Space und im alten Feuerwehrdepot befindet sich heute ein Kleiderladen. Der Ort ist im Aufbruch.
Gründe genug, um sich zur Abwechslung mal nicht in der Kantonshauptstadt, sondern an den Rändern aufzuhalten. Dieses Heft ist in Kooperation mit der Gemeinde Lichtensteig entstanden und von dieser mitfinanziert. Wir gehen dem progressiven Geist in und um Lichtensteig nach, treffen Land und Leute, fragen nach den Zukunftsvisionen und Schwierigkeiten bei der Neuerfindung und stellen einzelne Projekte vor. Die Bildstrecke dazu ist von Thi My Lien Nguyen – sie hat den Aussenblick auf Lichtensteig geworfen. Den Innenblick hat ein Einheimischer geliefert: Sascha Erni.
Ausserdem im Märzheft: Erinnerungen an Olifr M Guz, ein City-Schwimmbad für St.Gallen, das Literaturfestival Wortlaut und der real existierende Tourismus in der kubanischen Schweinebucht.
Corinne Riedener
Der Inhalt:
Reaktionen/Positionen
Redeplatz mit Martin Josef Manser
Stimmrecht von Farida Ferecli
Nebenbei gay von Anna Rosenwasser
Warum? von Jan Rutishauser
Wahltag ist Zahltag: 8. März
Zum Beispiel Lichtensteig
Begegnung mit einem Ort im Aufbruch. Was hält die Community in Lichtensteig zusammen?
Von Corinne Riedener
Liebeserklärung einer Zuzügerin.
Von Zora Debrunner
Der Lichtensteiger Stadtpräsident darüber, was an den «Rändern» alles möglich ist.
Von Peter Surber und Corinne Riedener
Was die Lichtensteiger Weiber umtreibt.
Von Zora Debrunner
Die «KISS Toggenburg» und die Zeitvorsorge.
Von Sascha Erni
Monatlich Jazz, täglich Shiatsu: die beAchtbar.
Von Sascha Erni
National und international gefragt: der Zeltainer in Unterwasser.
Von Sascha Erni
Wie die Gegenkultur in den 70er-Jahren ins Tal fand.
Von Hansruedi Kugler.
Modernitätsschübe in Wattwil, «Freie Republik» in Hemberg.
Von Peter Surber
Perspektiven
Revolutionsfolklore, Palmenstrände und Party in der Fledermaushöhle: Die Flaschenpost aus der Schweinebucht in Kuba. PS: Der Fidelismus ist am Ende.
Von Roman Hertler
Margot Blaser aus Hundwil war Teil der Kibbuz-Bewegung. Die Spurensuche zeigt: Es lockten das Heilige Land und die Abenteuerlust.
Von Gabriele Barbey
Kultur
Was die Kantonshauptstadt jetzt braucht: ein City-Hallenbad und ein City-Theaterhaus.
Von René Hornung und Dario Forlin
Ein weitgefasster Literaturbegriff und starke Frauenstimmen: das 12. St.Galler Festival Wortlaut.
Von Peter Surber
Ein Buch, das so nur von einer Frau geschrieben werden kann: Laura Vogts zweiter Roman «Was uns betrifft».
Von Gallus Frei-Tomic
«Wer sind wir?» von Edgar Hagen zeigt eindrucksvoll, wie reich ein Leben mit Einschränkungen sein kann.
Von Corinne Riedener
Bunny Rogers zerlegt im Kunsthaus Bregenz den Trauerkult und baut einen Duschraum der Erinnerung.
Von Kristin Schmidt
Manuel Stahlbergers «eigener Schatten»: ein Trip durch Kindheitsmelancholie und Erwachsenendepression.
Von Peter Surber
Keine Räuberpistole, sondern ein Kammerspiel um Leben und Tod: «Smith & Wesson» in der Kellerbühne.
Von Peter Surber
Parcours: Obacht Obacht, Frauenkampftag, die Kinder sind los!
Abgesang
Kehls Kompass
Kellers Geschichten
Pfahlbauer
Comic