Saiten im März: Poetry Slam
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Mit Slampoetinnen und -poeten verhält es sich ähnlich wie mit dem Wein. Nicht dass sie mit den Jahren besser würden, nein, vielmehr sollte man sie nicht nach der Etikette respektive ihrem Aussehen beurteilen. Was vielversprechend daherkommt, muss nicht zwingend einen geschmeidigen Abgang haben. Die Abgänge sind teilweise sogar recht abrupt, zum Beispiel wenn jemand zu lange slammt: Dann wird er oder sie unterbrochen und tout de suite ab der Bühne komplementiert. Einfach so, mitten im Akt. Aber so ist es, das Slammer-Dasein. Man wird beklatscht oder vergessen.
Die Sache mit dem Aussehen ist folgendermassen: Meistens wenn man denkt, es endet wie bei Dieter Bohlen und seinen Superstars, tut es das auch – der Nerd mit den fettigen Haaren überrascht alle, im besten Fall mit wohliger Gänsehaut, und gewinnt das Ding. Oder endet als «Sieger der Herzen».
Man muss weit suchen, bis man heutzutage etwas findet, wo das Aussehen so gar keine Rolle spielt für den Erfolg. Viel besser noch ist aber die Tatsache, dass Poetry Slams grundsätzlich offen für alle sind. Wer will, hat eine Bühne – auch ohne Buchvertrag, Schauspielausbildung oder Literaturpreis. In ebendiesem anarchischen Ansatz zeigt sich auch die Ambivalenz dieses Formats: Einerseits werden Slams regelmässig als «leichte Kost» abgetan, andererseits ist gerade die Slambühne eines der wichtigsten Sprungbretter in die «etablierte Literatur». Dort tummeln sich nämlich früher oder später fast alle erfolgreichen Slampoetinnen und -poeten, Leute wie Pedro Lenz, Guy Krneta, Nora Gomringer oder aus der Ostschweiz Gabriel Vetter oder Renato Kaiser.
Nicht umsonst wird St.Gallen als «Slam-Hochburg» bezeichnet. Hier wird nicht nur seit bald 20 Jahren regelmässig geslammt, von hier stammen auch einige Pioniere dieser literarischen Disziplin. Dieses Jahr im März wird die Gallusstadt zum zweiten Mal Austragungsort der Schweizer Meisterschaften im Poetry Slam sein – soviel zum Aufhänger für diese Kooperationsnummer, die mit SlamGallen entstanden ist.
Das Titelthema ist wie immer prall gefüllt: «Slam-Opa» Etrit Hasler bekam eine Carte Blanche, Pierre Lippuner rollt die Geschichte SlamGallens auf, Peter Surber fragt am runden Tisch nach den Reibungsflächen zwischen geslammter und geschriebener Literatur, Pablo Haller informiert über die Spoken Word-Szene in der Innerschweiz. Ausserdem geben acht Slammerinnen und Slammer aus dem Osten einen ausgewählten Text zum Besten – obwohl sie ohne Live-Performance «auch nur Literatur» sind. Auf den Bildern dazu ist Julia Kubik zu sehen, Ladina Bischof hat sie beim Slammen gefilmt.
Ausserdem im Heft: Erhellendes aus Gossau, Bedenkliches aus der Nazizeit und Kurzweiliges zum Bankgeheimnis.
Corinne Riedener
Der Inhalt:
Reaktionen / Positionen
Blickwinkel von Tamara Janes
Zukunft I und II
Redeplatz mit Daniel Weder
Einspruch von Renato Kaiser
SlamGallen
Ich antworte mit: «Blut.»
Über legendäre Nächte in SlamGallen und die lästige Mainstream-Diskussion.
von Etrit Hasler
«Slam ist mehr als Schenkelklopfer»
Die gespannte Beziehung zwischen Poetry Slam und «etablierter» Literatur. Ein Gespräch mit Richi Küttel, Lukas Hofstetter und Rebecca C. Schnyder.
von Peter Surber
Die historische Relevanz von Bratwürsten
St.Gallen gehört zu den Slam-Pionieren. Ein Blick zurück.
von Pierre Lippuner
Wie dumm von mir
von Renato Kaiser
Paradies am Strand
von Sam Hofacher
Masturbi et orbi
von Martina Hügi
Ueli
von Susi Stühlinger
Die Mutter – Dein Stalker
von Lara Stoll
Heiteri Fahne
von Gabriel Vetter
Babyklappe
von Ralph Weibel
Eine Notiz
von Ivo Engeler
Viele Vermittler, wenig Performer
Die Spoken Word Szene in Luzern, erklärt von einem Dichter.
von Pablo Haller
Die Bilder zum Titelthema sind von Ladina Bischof, es slammt Julia Kubik.
Perspektiven
Flaschenpost von Heidi Eisenhut aus Myanmar
Rheintal
Appenzell Innerrhoden
Toggenburg
Winterthur
Stimmrecht von Yonas Gebrehiwet
#Saitenfährtein in Gossau
Nicht Dietlikon und Dietikon
Gossau ist mehr als ein Verkehrsproblem.
von Peter Surber
Ein Nicht-Ort zum Weiterkommen
Betrachtungen zum Bahnhof Gossau.
von Olivia Hersche
Kultur
Restrisiko Mitarbeiter
Elmer schert aus ist ein kurzweiliger Krimi zum Bankgeheimnis.
von Corinne Riedener
Alptraum Bleicheli
Gabrielle Alioths Roman «Die entwendete Handschrift»
von Eva Bachmann
Im Ehe-Labor
Die Kellerbühne spielt als Schweizer Erstaufführung das Dreiecksstück «Der Andere».
von Peter Surber
Nazi-Verstrickungen
Eine Bücherreihe forscht NS-Belasteten nach – auch in der Ostschweiz.
von Richard Butz
Der selbsternannte Held
Der Streit um die Otto-Raggenbass-Strasse in Konstanz.
von Urs-Oskar Keller
Broderbrunnen reloaded
Im Sitterwerk werden Zwillinge der Broderbrunnen-Figuren angefertigt.
von Nina Keel
Dem Alltag entfliehen
Das erste Album der Rheintaler Band bordeaux lip ist pure Düsternis.
von Tim Wirth
Sprachkunst vom Boy
Money Boy gibt bald in St.Gallen seine Sprüche zum Besten.
von Quentin Schlapbach
Alles ist Lärm, alles ist Musik
Der Film «Melody of Noise» zeigt Klangkünstler, die mit allem Musik machen.
von Urs-Peter Zwingli
Weiss auf schwarz
Abgesang
Kellers Geschichten
Charles Pfahlbauer jr.
Boulevard