Saiten im Februar: Endlich.
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«Steuerwettbewerb, das hiess in den letzten Jahrzehnten fast immer: Steuern senken, vor allem jene von Grossunternehmen. So macht der Steuerwettbewerb stolze Demokratien zu Schafsherden im Dienste der Konzerne, die auf Weiden grasen, wo es immer weniger zu fressen gibt.» Ein drastisches Bild – es findet sich in der Mitte dieses Hefts, im Beitrag des Wirtschaftshistorikers Dominik Gross zur Unternehmenssteuerreform III, über die wir am 12. Februar abstimmen. Gross macht zudem deutlich, dass unter dem ruinösen Steuersenkungswettbewerb nicht nur die Schweiz leidet, sondern auch ärmere Länder – «die USR III schadet der Schweizer Krankenpflegerin genauso wie einem Schulkind in Sambia.»
Was hat das mit dem Titelthema dieses Hefts zu tun, mit dem Kunstmuseum St.Gallen? Mehr als uns lieb sein kann, sollte am 12. Februar ein Ja resultieren. Denn bei einem solchen Ja drohen dem Bund, den Kantonen und Gemeinden Steuerausfälle in Milliardenhöhe – der Kanton St.Gallen kalkuliert im Finanzplan der nächsten Jahre schon einmal mit einem Minus von 30 Millionen. Sozialwesen, Bildung oder Gesundheitswesen werden die Folgen zu tragen haben – also wir alle. Und mit Sicherheit auch die Kultur.
Drei Wochen vor der Abstimmung (und kurz nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe) eröffnet das Kunstmuseum St.Gallen mit einigem Stolz seine neue Dauerausstellung – die erste überhaupt in der wechselvollen Geschichte des Museums. Den gewonnenen Platz verdankt die Kunst dem Auszug des Naturmuseums. «Endlich! Glanzlichter der Sammlung» heisst die Schau.
Saiten nimmt das Ereignis einerseits zum Anlass, Direktor Roland Wäspe zur St.Galler Sammlung zu befragen und ins Depot der noch ungehobenen Schätze zu steigen. Andrerseits haben wir Künstlerinnen, Künstler und andere Kunstfachleute gefragt, was sie vom «neuen» Kunstmuseum erwarten und was sie mit den frei gewordenen Räumen im Untergeschoss anstellen würden. Kürzestfazit: Die Erwartungen sind hoch. Zum dritten schliesslich reden wir vom seit langem geplanten Umbau des alten Kunklerbaus, der das jetzige Provisorium beenden soll. Das Projekt ist, wie René Hornung erläutert, auf die lange Bank geschoben, aus Spargründen.
Und damit schliesst sich der Kreis zum Thema Steuersenkungen: Kommen der Stadt als finanzieller Hauptträgerin der Museen und dem Kanton als Mit-Zahler noch mehr Einnahmen abhanden, könnte dies die Umbaupläne weiter bremsen und das Ausstellungsprogramm beeinträchtigen.
Der Künstler Peter Kamm hofft daher pragmatisch auf «weiterhin ein paar gute Ausstellungen», auf genügend dotierte Ankaufskredite und auf den politischen Willen, das Untergeschoss des Museums umzubauen. Er sagt aber auch: Kunst ist wichtig, doch es gibt anderes Wichtiges, vielleicht Wichtigeres. Wer zum Beispiel auf Seite 41 blättert, wird ihm beipflichten.
Peter Surber
Der Inhalt:
Positionen / Reaktionen
Blickwinkel
von Wassili Widmer
Lobrede I + II
Redeplatz
mit Jeyakumar Thurairajah
Einspruch vom Europäischen Forum gegen Krieg für Frieden und Demokratie
Gastrecht V: Klemens Wempe gratuliert dem Palace
Endlich.
«Jedes Museum besteht aus Lücken»
Kunstmuseums-Direktor Roland Wäspe im Gespräch übers Sammeln, Besitzen und Schenken von Kunst.
von Christina Genova
Im Kunstgefängnis
Ein Besuch in den Katakomben des Kunklerbaus, wo die ungehobenen Schätze wohnen.
von Corinne Riedener
Vom Eier-Ausbrüten
Siebzehn Stimmen zum «neuen» Kunstmuseum.
Der lange Weg zum Umbau
Das Projekt «Rita, Sue and Bob too» der Park Architekten wird frühestens in sechs Jahren realisiert sein.
von René Hornung
Das Museum und «seine» Künstler
Tut das St.Galler Kunstmuseum genug für die regionale Szene?
von Peter Surber
Im unterirdischen Depot des Kunstmuseums fotografierte Jan Thoma.
Perspektiven
Flaschenpost
von Judith Altenau aus Hamburg
Toggenburg
Innerrhoden
Winterthur
Rheintal
Stimmrecht von Gülistan Aslan
#Saitenfährtein: Flawil
Strassenkaff vs. klösterliche Lebensart.
von Frédéric Zwicker und Peter Surber
Hintergrund
USR III: Nein zur radikalen Logik des Steuerwettbewerbs.
von Dominik Gross
Kultur
Risotto und Denkprozesse: Joachim Rittmeyer im Interview.
von Frédéric Zwicker
Toggenburg-Power fürs Klanghaus.
von Michael Hug
Nordklang 2017.
von Corinne Riedener
Das erste Album von Panda Lux.
von Frédéric Zwicker
Stefanie Sargnagel: die Übertrollfuckingweltmeisterin.
von Michael Felix Grieder
Mphundu Brian Mjumira spielt in Konstanz Angst fressen Seele auf.
von Veronika Fischer
Florian Vetschs und Peter Z. Herzogs Sapphische Flaschenpost.
von Clemens Umbricht
Am Schalter im Februar: der Künstler Hans Schweizer
Abgesang
Kehl buchstabiert die Ostschweiz
Kellers Geschichten
Charles Pfahlbauer jr.
Boulevard