Saiten im Dezember: konzeptfrei erhältlich.

Wir leben in einer neuerungssüchtigen Zeit. Innovation und Originalität sind das A und O, alles Neue riecht nach Fortschritt, was schon mal war, ist dagegen ein «alter Zopf», das Lieblings-Schimpfwort der Politik, aber auch der Technik, der Mode, der Kultur. Dabei könnte man sich an den Kindern ein Vorbild nehmen. Kinder mögen die Geschichten, die sie schon kennen, und am liebsten immer gleich erzählt. Sie lieben das Ritual und reagieren unwirsch auf Abweichungen. Der Publizist und Saiten-Autor Rolf Bossart hat in einem Vortrag über das Glück der Wiederholung einmal den Bezug zur Neurologie hergestellt: Die starken Synapsen im Hirn bildeten sich nicht nur durch das Immerneue, sondern durch ständige Wiederholung. Und dies gelte auch für viele andere Bereiche: «Die Wiederholbarkeit erst macht den Zufall zur Wissenschaft, das Ereignis zur Erfahrung, die Sonderbarkeit zur Kunst, das Schicksal zu Entscheidungen.»
Jetzt gibt sich die Stadt St.Gallen ein neues Kulturkonzept. Im August wurde ein erstes Mal partizipativ darüber diskutiert, am 3. Dezember geht es in die zweite Runde. Wir nehmen in dieser Ausgabe den Ball namens «Kulturförderung» auf. Nicht in der Meinung, es sei ein Umsturz nötig, alles müsse omsverrode neu werden und alles Alte sei schlecht. Dem widersprechen im Interview zum Thema auch die beiden Leiterinnen der städtischen Kulturförderung – vieles im städtischen Kulturleben habe sich bewährt, neuere Entwicklungen aber widerspiegle das zehnjährige Konzept nicht mehr angemessen.
Keine Kultur-Revolution also – aber ein idealer Moment, ein paar grundsätzliche Fragen an den Kulturbetrieb zu stellen und ein paar Fenster zu Visionen aufzustossen, bevor das Kulturförderkonzept den Weg alles Irdischen nimmt: den Weg der Bürokratie. Auslöser ist die Stadt St.Gallen – die Themen gelten aber weitherum im Kulturland. Zum einen greifen wir Brennpunkte der ersten Debatte auf. Braucht St.Gallen eine Kunstakademie? Was tun gegen den Graben zwischen «einheimischer» und «migrantischer» Kulturszene? Und, im Vergleich mit den Förderpraktiken der Ostschweizer Kantone: Wer entscheidet über Beitrage und Preise? Wie stark mischt die Politik mit? Und wo ballt sich die Kultur-Macht? Zum andern entwerfen fünf Kulturschaffende ihre Vision der Kulturstadt, und der Stadtforscher Dani Fels gibt Auskunft über die Stadt-Identität der Zukunft. Die Illustrationen legen eine eigenwillige weitere Kulturspur; sie stammen vom St.Galler Fotografen Herbert Weber.
Geballte Kultur auch im Perspektiventeil: Kunstschaffende berichten von ihren Auslandserfahrungen. Und den Kulturteil eröffnet in der Heftmitte eine Doppelseite, die brandneu ist: der Ostschweizer Kulturkuchen.
Peter Surber
Der Inhalt:
Reaktionen/Positionen
Redeplatz
mit Gülsen Celikkol
Stimmrecht von Nechung Engeler-Zingshuk
Herr Sutter sorgt sich… von Bernhard Thöny
Evil Dad von Marcel Müller
Innensichten: Schlössli Haggen und Dreilinden
Mensch Meyer von Helga Und Janine Meyer
Kulturförderung
Meine Kulturstadt: Fünf Kulturschaffende, fünf Visionen.
von Lika Nüssli, Fabian Mösch, Miriam Schöb, Thomas Stüssi Und Marc Jenny
Geld und Geist. Und Macht.
Kulturförderung in der Ostschweiz: Die Politik ist mit im Spiel. Und mächtige Männer.
von Peter Surber und Jochen Kelter
Den Traum begraben. Und Neues wagen.
Eine St.Galler Hochschule der Künste oder eine starke Weiterbildung und ein «interkulturelles» Haus?
von Corinne Riedener
Es geht um Sichtbarkeit.
Wo sind die Migrantinnen und Migranten in der Kultur?
von Andri Bösch
«Wir wollen uns nicht auf einzelne Räume fixieren»
Barbara Affolter und Kristin Schmidt von der städtischen Kulturförderung im Interview.
von Corinne Riedener und Peter Surber
Die Aneigung des Stadtraums
Stadtforscher Dani Fels über den öffentlichen Raum und die kulturell geprägte «Stadt der Zukunft».
von Peter Surber
Perspektiven
Mit Daten Käse machen.
Das Rechenzentrum Ostschweiz in Gais ist besonders grün.
von Silvia Posavec
Flaschenpost aus Chandigarh.
von Karin Bucher und Thomas Karrer
Fuoco a CasaPound!
Eindrücke vom Artist-in-Residence-Stipendium in Rom.
von Adrian Hanselmann
Ayyye Glasgow!
Ankommen in der schottischen Hafenstadt.
von Wassili Widmer
Kultur
Der Kulturkuchen.
Der Dok-Film #Female Pleasure: gefährliche Befreiung der Lust.
von Julia Kubik
Hinter den Gleisen: Das Buch über Schweizer Bahnhofsquartiere.
von Corinne Riedener
Neue Musik: Was St.Gallen von Donaueschingen lernen kann.
von Charles Uzor
Bullshit-Bingo und Problemfrauen: Zwei Buchtips.
von Veronika Fischer
More and More: Tüchel bringen ihr fünftes Album.
von Urs-Peter Zwingli
Die Band Knutov Kofer macht auf Kroatisch – Jebote!
von Urs-Peter Zwingli
Wir sind hier: die jungen Kulturkosmonauten
von Andri Bösch
Im Zeughaus Teufen wächst ein «Klangwald».
von Peter Surber
Kulturparcours
Mixologie
von Niklaus Reichle und Philipp Grob
Zehn Kulturkuchenrezepte
von Julia Kubik
Abgesang
Kellers Geschichten
Kreuzweiseworte
Pfahlbauer
Boulevard