Saiten im Dezember: Antisemitismus

Wie geht es Jüdinnen und Juden in der Ostschweiz? Warum tun sich auch progressive Stimmen schwer, den Terror der Hamas zu verurteilen? Und was war eigentlich los an dieser St.Galler «Demo gegen Gewalt in Nahost»? Alles dazu im Dezemberschwerpunkt. Ausserdem im Heft: Manor-Preisträgerin Juliette Uzor, Pflegefachfrau Ronja Stahl und der neue Ostschweizer Veranstaltungskalender.
Von  Redaktion Saiten
Die Illustrationen zum Dezember-Schwerpunkt hat Anna Albisetti gemacht.

Es sind erschütternde Nachrichten und Bilder, die uns seit dem Terrorangriff der radikal-islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober und der darauffolgenden Gegenoffensive der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen erreichen. Und es macht in höchstem Mass betroffen, das Leid der Menschen zu sehen, das dieser Krieg auf beiden Seiten verursacht, ganz zu schweigen von den vielen Toten. Aber auch die Bilder, die es als Folge des Aufflammens dieses jahrzehntealten Konflikts in weiten Teilen Europas zu sehen gibt, sind beängstigend. Bilder von israelfeindlichen Parolen an Demos, von antisemitischen Sprüchen und Hakenkreuzen an Häusern, von Hetze in den sozialen Medien, kurzum: von offen zur Schau getragenem purem Judenhass, in welcher Form auch immer er sich äussert.

All das macht einen sprachlos. Dennoch muss man darüber diskutieren. Dinge benennen, die nicht zu akzeptieren sind. Man muss sagen können, dass man den barbarischen Angriff der Hamas verurteilt und Solidarität mit den israelischen Opfern zeigt, ohne damit die palästinensischen Anliegen zu negieren. Und genauso muss man Kritik an der rechten israelischen Regierung und der israelischen Siedlungspolitik der vergangenen Jahrzehnte üben können, ohne dieses Massaker zu relativieren. Das ist nicht nur legitim, sondern auch wichtig. Denn nur ein offener Diskurs ohne ideologische Dogmen kann diese Situation entgiften.

Für Antisemitismus gibt es keine Rechtfertigung. Und genauso wenig, wie man alle Jüdinnen und Juden für die Politik Israels der vergangenen Jahrzehnte und für das aktuelle Handeln der Armee im Gazastreifen verantwortlich machen kann, kann man von den Musliminnen und Muslimen erwarten, sich von den Gräueltaten der Hamas zu distanzieren. Tatsache ist aber, dass viel zu wenige islamische Meinungsführer:innen den Angriff auf Israel verurteilt haben. Und Tatsache ist ebenso, dass viele Musliminnen und Muslime seit der Eskalation zunehmend mit antimuslimischem Rassismus konfrontiert sind.

In dieser Ausgabe thematisieren wir den Antisemitismus (der, auch das muss man betonen, in jeder Gesellschaft latent vorhanden ist). Jüdinnen und Juden aus der Ostschweiz erzählen, wie sie ihn wahrnehmen und wie sie mit dem Krieg in Nahost und seinen Folgen umgehen. Wir reden mit der Aktivistin Miriam Rizvi über eine Demo, die aus dem Ruder gelaufen ist. Und Alfred Hackensberger beleuchtet die mediale und gesellschaftliche Wahrnehmung des palästinensischen Kampfes und erläutert, warum sich selbst sogenannt progressive Stimmen oft schwertun damit, den Terror der Hamas zu verurteilen.

Ausserdem im Dezemberheft: Die St.Galler Künstlerin Juliette Uzor, die den Manor-Kunstpreis 2023 erhalten hat und damit ihre erste Einzelausstellung im Kunstmuseum St.Gallen realisiert. Im Saiten-Porträt erzählt sie von ihrem Werdegang. Ein Gespräch mit einer Pflegefachfrau über den Personalabbau in den Spitälern, ein kritischer Blick auf die neuen Ausstellungen im Textilmuseum St.Gallen, ein Rückblick auf 30 Jahre Klang und Kleid, ein Einblick in die Aufbauarbeit für unseren neuen Veranstaltungskalender, die Bücher über den langjährigen St.Galler Rabbiner Hermann Schmelzer und über das Restaurant Baratella sowie ein Dokfilm über den Kampf gegen die Armut in Zürich.

David Gadze

 

Der Inhalt:

In eigener Sache: Minasa
Redeplatz mit Ronja Stahl
Reaktionen / viel geklickt
Bildfang
Stimmrecht von Sangmo
Nebenbei gay von Anna Rosenwasser

 

Perspektiven

Antisemitismus: altes Problem, neue Dringlichkeit

Die Türen zum Dialog offen halten: Antisemitismus nimmt stark zu. Auch in der Schweiz ist es zu zahlreichen Vorfällen gekommen. Wie erleben das die Jüdinnen und Juden in der Ostschweiz? Und wie gehen sie mit der Situation in Nahost um? von David Gadze

«Ich habe Fehler gemacht»: Der Diskurs ist zum Teil hysterisch, es gibt kaum Raum für Reflexion und am Schluss gewinnen Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus. Eine Demo in St.Gallen hat das exemplarisch gezeigt. von Corinne Riedener

Verstaubte Stereotype bestimmen den Diskurs: Im Nahost-Konflikt hat seit den 1970er-Jahren ein Schwarz-Weiss-Denken eingesetzt. Dass sogenannt progressive Stimmen Terrorismus legitimieren, ist kein neues Phänomen. von Alfred Hackensberger

 

Kultur

Befreiungstanz

Die St.Galler Künstlerin und Tänzerin Juliette Uzor wurde mit dem diesjährigen Manor-Kunstpreis geehrt. Jetzt ist im Kunstmuseum St.Gallen ihre erste Einzelausstellung zu sehen. Nach einigen Wendungen im Leben geht sie inzwischen unbeirrt ihren Weg – auch wenn sie immer noch nicht weiss, wohin er sie führen wird. von David Gadze

Juliette Uzor. (Bild: Brigham Baker)

 

Kino: Himmel über Zürich – Ein Dokfilm über Zürich und die ganze Schweiz, in der Armut und der Kampf dagegen immer noch vielfach unsichtbar sind. von Corinne Riedener

 

Jubiläum: Ein Stück Grossstadt in der Kleinstadt – Der Fake-Laden Klang und Kleid feiert sein 30-Jahr-Jubiläum. von Philipp Bürkler

 

Literatur: «Immer wieder Baratella» – Das neue Buch über eines der legendärsten Restaurants in der Stadt St.Gallen. von Richard Butz

 

Literatur: St.Gallens dritter Rabbiner – Roland Kleys Buch über Hermann I. Schmelzer und die Jüdische Gemeinde St.Gallen. von Richard Butz

 

Ausstellung: «Guter Stoff» ist auch ungenügend – Die aktuellen Ausstellungen im Textilmuseum kann man zunächst einmal loben, aber ganz auf der Höhe der Zeit sind sie nicht. von Hans Fässler

 

Parcours: Postcarte, Palace, Rorschach, Dies Das

Plattentipps: Analog im Dezember

Gutes Bauen Ostschweiz: Werkplatz der Zukunft. von Stefanie Haunschild

 

Abgesang

Kellers Geschichten

Pfahlbauer jr.

Comic von Julia Kubik