Sahnehäubchen auf dem Zankapfel

Konzert und Theater St.Gallen eröffnet einen Container mit Aussicht aufs Stadtgeschehen, mitten drin und nahe dran. Eine Büchse mit Potential.
Von  Michael Felix Grieder
Bilder: co

Donnerstagabend in der Altstadt: der Abendverkauf ist zwar längst nicht mehr das Eventspektakel wie auch schon, dafür drückt im «grössten Einkaufszentrum der Ostschweiz», wie die Altstadt auch schon genannt wurde, langsam aber sicher wieder etwas Leben durch.

Ein eher junger Mensch mit lauter Stimme, geschleckter Haarfrisur und musealer Mönchskutte bringt seine Lieblingsgeschichten unter die Leute. Leute mit Wurst in der Hand und einige Normale bevölkern die Gassen, eine von Cops freudig observierte Demonstration («Freiheit für Öcalan», «Hoch die internationale Solidariät») bringt etwas Stimmung und am Marktplatz steht ein Mensch mit Mikrofon auf einem Schiffscontainer.

«Gail, da isch jetz e gueti Sach», meint eine Davorstehende. Etwas über hundert Leute stehen zwischen unbeteiligten, wartenden Taxis und ebendiesem Container des städtischen Theaters, woran eine Champagnerflasche an einem schlechtgezimmerten Galgen hängt.

«Ich freue mich – wir freuen uns» proklamiert das Sprechtheater-Ensemble und das Rock’n’Roll-Publikum macht freudig mit: Zipfelkappen, Dächlikappen, Mamis, Papis, eine Techno-Ikone der Stadt, ein billigbiertrinkender Bärtiger, Freund*innen des Theaters und Angestellte desselben stehen in einem Halbkreis davor, der für einmal nicht ironische Distanziertheit oder nobles Nasenrümpfen bedeutet, sondern freie Sicht auf die plexygläserne Frontseite des Containers ermöglicht.

Mit einem eindringlichen Stampfer aktiviert Mensch auf Container die Tanzkompanie, welche in dieser zoo-ähnlichen Kiste zu Compay Segundo und experimentelleren Genossen daran erinnert, dass eigentlich recht wenig getanzt wird auf dem Marktplatz. Das Sprechtheater spricht wild durcheinander, bis es wieder von der Fusssohle des Selfieknipsenden darüber zur Ordnung gestampft wird.

Eine Allegorie der städtischen Öffentlichkeit? Jedenfalls hat der in China gebaute und in Nordkorea zugelassene Schiffscontainer «St.Gallen grad noch gefehlt», wie die Festrede weiss, und darüber freuen sich nun wirklich alle.

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Ein Tanz-Theater-Konzert-Container ist wirklich nicht das dümmste, was dem Zankapfel Marktplatz passieren konnte. Man ertappt sich beim Fehlschluss, das der Container etwas ungünstig platziert wurde, der Platz irgendwie Unort-Charakter aufweist, und ohrfeigt sich sogleich: das ist der Marktplatz der Stadt! Einen anderen gibt es nicht, und hier, genau hier sollte eigentlich der Teufel los sein. Und wenn man vom Dionysos spricht ist auch das Theater nicht weit entfernt.

Hochkultur (im kritischen Wortsinn) ist das nun wirklich nicht mehr. Das Theater setzt sich etwas aus, und nimmt uns bei diesem richtigen Schritt an der Hand: den öffentlichen Raum muss man sich aneignen, sonst bleibt er (zu teure) Verkaufsfläche, und das ist Platzverschwendung. Ob vor oder hinter dreckigen Containerscheiben, auf Markplätzen soll getanzt werden. Und die Normalverbraucher-Zurückhaltungs-Performance inspiriert unterbrochen werden – und Musik! Her damit. Büro und Beiz darf eh sein.

Der Container wird wandern: Geplant ist eine nächste Station am Gallusplatz und laut Saisonprogramm sind auch Gossau und Rapperswil angedacht.