Rosie ist der neue Fögi

Die Spiele mögen beginnen! Die 48. Solothurner Filmtage sind vielversprechend eröffnet worden. Nämlich als Abend der Frauen. Nach der Präsidentin der Filmtage (Christine Beerli) und der Direktorin Seraina Rohrer kam Bundesrätin Simonetta Sommaruga auf die Bühne und hatte ein paar ganz schöne Anekdoten aus ihrer Kindheit parat. Wie sie als 15-Jährige mit dem Töffli zwanzig […]
Von  Andrea Kessler

Die Spiele mögen beginnen! Die 48. Solothurner Filmtage sind vielversprechend eröffnet worden. Nämlich als Abend der Frauen.

Nach der Präsidentin der Filmtage (Christine Beerli) und der Direktorin Seraina Rohrer kam Bundesrätin Simonetta Sommaruga auf die Bühne und hatte ein paar ganz schöne Anekdoten aus ihrer Kindheit parat. Wie sie als 15-Jährige mit dem Töffli zwanzig Kilometer weit fuhr, um in Luzern den Film «Gewalt und Leidenschaft» zu sehen, und wie sie nur bis zur Kasse kam, weil der Altersschutz … Oder wie in ihrer Familie alles auf Super8 aufgenommen wurde, etwa das weihnachtliche Krippenspiel, in welchem ihre Mutter immer den König Herodes spielte. Sie wisse nicht mehr, wer für das Casting zuständig gewesen sei, aber es sei jedesmal ein grosses Drama geworden. Von Sommarugas Kinderstubendramas ging es zügig  zum filmischen Drama des Abends.

Heute also, vierzehn Jahre nach «F. est un salaud», steht der Altstätter Regisseur Marcel Gisler wieder auf der Bühne in Solothurn. Endlich ist es da, sein Werk, auf das die Schweiz seit seinem unglaublichen «Souhung Fögi» (der damals den Schweizer Filmpreis gewann) wartet: «Rosie».

Rosie ist alt und eigenwillig, mit wildem himmelwärts strebendem Kraushaar, im Schrank immer eine Flasche Schnaps, fahrigen Hände, die ständig nach Zigaretten greifen, aber sonst? Sonst ist Rosie ein bisschen so, wie sie sind, die alten Leute, die niemandem mehr gefallen wollen, die aber auch ganz gut Menschen geradeaus und ohne Wenn und Aber gern haben können.

Nach einem Schlaganfall stehen ihre zwei Kinder plötzlich wieder da, in ihrem Leben. Die Tochter war immer ein bisschen in der Nähe gewesen, in St.Gallen, der Sohn war immer ein bisschen weiter weg, in Berlin. Die Tochter krallt sich unglücklich an ihre Ehe, der Sohn lebt allein, frei, da und dort mal eine Nacht, ein Freund, nichts Fixes.

Schhh…. verschwinde! Weg, Fögi. Weg!

Aber das ist schwer, hartnäckig klebt er in der Erinnerung. Ist das nicht wie «F. est un salaud»? Da ein Musiker mit seinem Verehrer Beni, da ein Schriftsteller (Rosies Sohn Lorenz) mit seinem Verehrer Mario. Da der Bindungsunwillige, dort der Bindungsunwillige. – Aber da ist auch Rosie. Und die hat nichts mit Fögi zu tun. Und dann gelingt es rascher und leichter als gedacht: Fögi verschwindet, und da bleibt Rosie. Ihr mag man gerne die ungeteilte Aufmerksamkeit schenken.

Die alte Frau, die stürzt, die stur ist, die dunkle Momente erlebt, die sie neben der Spur laufen lassen, ist keine traurige Figur, sondern eine freudige. Von Grund auf und aus dem Herzen heraus. Ihrem schwulen Sohn gegenüber ist sie so vorurteilslos, wie auch dieses Thema kein Thema ist im Dorf. Der Film dramatisiert nicht dort, wo es leicht und augenfällig wäre. Er bleibt undramatisch, daran mag auch Rosies Geheimnis nichts ändern. Es ist die Stärke des Films, der aus der Mitte unseres eigenen Lebens entspringt, mit Dialogen, die voll easy auch uns über die Lippen kommen. 

Ob Gisler mit «Rosie» den Prix de Soleure nachhause nehmen kann? Es wäre gut möglich. Ein Spezial-Award für Sibylle Brunner wäre aber auch angebracht.