Rorschach–New York und zurück in 25 Jahren
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Für Ostschweizer Verhältnisse hatten es Former Franks und The Roman Games damals, Mitte der 90er-Jahre ziemlich weit geschafft. Ihre Songs wurden am Schweizer Radio gespielt und das Fernsehen produzierte Videos der beiden Gruppen. Doch dann zogen Heer und Elsener nach New York, die Musik der Bands wurde bald vom Internet überrollt.
Freunde sind Frank und Roman hüben wie drüben geblieben. Heer lebt seit zehn Jahren in Zürich und arbeitet als Reise- und Kulturredaktor, Elsener ist immer noch in New York als Journalist und Multimedia-Produzent tätig. Vor den Auftritten vom Freitag und Samstag an den Ursprungsorten der Bands: ein nostalgisches Gespräch über Musik als Zeitreise und Lebensoptimierung.
Frank: Kannst du dich daran erinnern, wie wir 1997 den alten Lincoln Continental für 20 Dollar kauften? Wir fuhren darin im Tiefgang über die Williamsburg Bridge von Manhattan nach Brooklyn und hörten Johnny Cash. Dachtest du damals, dass du so lange in New York bleiben würdest?
Roman: Neben den 20 Dollar für den Continental mussten wir noch 50 Dollar abdrücken, um den Typen, der den Abgastest fälschte, zu bestechen. Mit den Versicherungskosten, den Parkbussen und der Tatsache, dass der Wagen ebenso viel Öl wie Benzin soff, rechneten wir uns schnell aus: Ein Auto lohnt sich kaum in New York.
Frank: Wir gingen damals ständig an Konzerte. Welche sind dir in besonderer Erinnerung? Bei mir waren es Johnny Cash, Ween, Flaming Lips, The Melvins, Lou Reed, Bob Mould, The Strokes, The Pixies… oder grottenschlecht: der Reunion-Gig von Wu Tang Clan… Remember?
Roman: Cash habe ich leider verpasst, was ich ebenso bereue, wie The Clash oder The Jam nie live gesehen zu haben. Von den New Yorker Shows bleibt mir vor allem Bowies Konzert im Madison Square Garden zu seinem 50. Geburtstag.
Frank: Stimmt! mit Lou Reed, Sonic Youth, Frank Black, Dave Grohl und Robert Smith als Gastmusiker…
Roman: Besonders war auch das letzte Konzert der Bee Gees im Hammerstein Ballroom, und am selben Ort das erste Konzert, an dem John Fogerty nach 25 Jahren erstmals wieder seine eigenen Creedence Clearwater Revival Songs spielen durfte. Schön an New York ist ja auch, das die ganze Musikwelt immer wieder mal hier vorbeikommt – so sehe ich meine Lieblinge The Church und die Psychedelic Furs fast jedes Jahr, und im September gastieren zum Beispiel The Fall und Wire gleich mehrere Abende hintereinander in einem benachbarten Club.
Frank: Irgendwann, in den späten Neunzigern, sahen wir Joey Ramone im Coney Island High. Es waren kaum Leute im Publikum, doch wenn ich mich richtig erinnere, sang er tatsächlich «Hey Ho, Let’s Go!». Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob ich das nur geträumt habe.
The Roman Games & Former Franks: 16. Juni Treppenhaus Rorschach und 17. Juni Grabenhalle St.Gallen.
Roman: Hast du nicht! Wir hatten damals drei Lieblingsklubs für Live-Musik im East Village: das Coney Island High, wo Joey oft an der Bar hing und manchmal spontan ans Mikrophon trat. Fast jede Band, die dort spielte, versuchte, ihn zum Mitsingen zu bewegen. Weiter das Continental, wo viele Punkbands spielten – zum Beispiel der heutige Guns’n’Roses-Gitarrist Richard Fortus, die Dead Daisies oder Handsome Dick Manitoba von den Dictators. Und dann natürlich das Brownies, wo ich dich mit deiner damaligen Band Melomane zum ersten Mal live gesehen habe.
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The Roman Games 1995, vlnr: Roman Elsener (Gitarre, Gesang), Peter Niedermaier (Keyboards, Gesang), Fredy Stieger (Bass, Sound), Oli Rohner (Drums, Backing Vocs).
Frank: Nun treten unsere beiden Bands aus alten Zeiten nach über 20 Jahren zum ersten Mal wieder in Originalbesetzung auf. Kriegst du die doppelte Rückwärtsschraube mit Landung im Spagat noch hin?
Roman: Ich trainiere hart – aber die Luftsprünge klappen wegen Hüftproblemen nicht mehr. Dafür hat die Stimme unten etwas zugelegt. Wie sieht dein Fitness-Programm für die Shows aus?
Frank: Tai Chi! Als alter Lou Reed-Fan scheint mir das die angemessene Art der Vorbereitung. Lou soll ja in seiner Lieblings-Tai-Chi-Pose gestorben sein. Kürzlich sah ich zudem die legendären The Ruts in Hamburg. War toll, aber der Schlagzeuger trug eine Hörbrille. Das stimmt einen dann schon etwas nachdenklich. Ich freue mich aber auf die Konzerte, vor allem auch auf die Grabenhalle, weil wir dort musikalisch aufgewachsen sind – auf und vor der Bühne. Was fällt dir ein, wenn du an die alte Grabenhölle denkst?
Roman: Ich bin den Machern von damals dankbar, die diesen einzigartigen Ort in unserer Umgebung schufen, am Leben erhielten und zum Zentrum einer Szene machten, wo New Wave und Punk ein Zuhause fanden, mitten im bürgerlichen St.Gallen. Was für Konzerte wir dort gehört haben – Teenage Fanclub, Television Personalities, Blue Aeroplanes, Stephan Sicher… prägend und unvergesslich!
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Former Franks 1994, vlnr: Stefan Peterer – Drums, Peter Lutz – Guitar, Frank Heer – Vocals, Guitar, Mirco Koch – Bass.
Frank: Im Gegensatz zu den Former Franks hattest du mit den Games ja einen veritablen Radio-Hit: «Dealing With Time». Was hast du dir aus den Tantiemen gekauft?
Roman: Haha – den Lincoln Continental – für mehr reichte das Geld nicht. Du hast in New York dagegen mit vielen Musikern und Bands gespielt, so etwa als Vorgruppe von Wilco und auf mehreren Touren mit C. Gibbs, dazu hast du mit Fa Ventilato das ambitionierte Soundprojekt Bingo Palace. Wie fühlt es sich an, jetzt die alten Former Franks-Sachen zu spielen, die du als Jugendlicher geschrieben hast?
Frank: Das ist eine Zeitreise. Man wird in sein früheres Leben zurückgeworfen und erinnert sich, warum und wie diese Lieder damals entstanden sind. Am Schönsten ist es, mit meinen alten Freunden und Bandgefährten wieder Musik zu machen, mit Stefan, Mirco, Peter und Fredy… Darum geht es ja auch: um Musik als Lebensoptimierung! Andere spielen Tennis, wir stöpseln die Gitarren ein… Hast du einen Wunsch, was die Former Franks-Setliste betrifft? Sag bitte nicht «Cheese Pie»!
Roman: «Cheese Pie» hatte diesen coolen Rave-Rythmus der damaligen Zeit. Ich würde aber einen der ganz frühen FF-Songs wählen: deine einzigartige Interpretation von Becketts Hundeschichte – «Who’s Afraid of a Dog?» – oder den zeitlos schönen Popsong «Still Crazy».
Frank: Wenn du an den beiden Konzerten nur drei Roman Games-Songs spielen dürftest, welche wären es?
Roman: Da hätte ich wohl ein Problem: Die Roman Games sind natürlich eine Republik – drei Songs wären also einer zu wenig für vier Stimmen. Meine Wahl fiele auf «Beaches Apart», mein Liebeslied für den Bodensee, auf dessen Originalaufnahme du auch wunderschön Cello spielst. Ich freue mich aber auch auf «Goodwill & Optimism» und das unverwüstliche «Backdoor».
Frank: Ich glaube, man darf es verraten: Du und ich werden ein kleines Duett vortragen. «The Only Living Boy in New York» von Simon & Garfunkel. Der Song handelt vom Abhauen und vom Zurückbleiben. Ich bin nach zehn Jahren aus New York abgehauen, du nach zwanzig Jahren noch immer nicht. Ich mag Zürich sehr, aber ich gebe zu, dass ich New York noch immer sehr vermisse…
Roman: Mein Heimweh nach Rorschach ist ebenso gross – aber wenn ich wieder länger dort wäre, würde mir New York sicher auch fehlen. Egal, wer US-Präsident ist.