Reverb und nackte Haut
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Das Landestheater Tübingen (LTT) ist für zwei Abendvorstellungen im Stadttheater Schaffhausen zu Gast. Das bekannteste von Sartres Dramen, «Die schmutzigen Hände», braucht in der Inszenierung von Alexander Nerlich (zb. Wozzek 2010, SG) eine gewisse Gewöhnungszeit. Bis zum fünften Bild wird etwas zuviel experimentiert; Voice-Effekte wie Reverb oder Loops aus dem Off, als Hugo versucht ein Manifest zu schreiben, gehen noch an, sie kokettieren aber unnötig mit dem Kino. Rocksongs zwischen den Bildern, komponiert vom ehemaligen Reamonn-Bassisten Philipp Rauenbusch, versuchen dem sowieso aktuellen Thema mehr Aktualität zu vermitteln. Völlig überzeichnet ist dann im dritten Bild eine drastisch inszenierte Rektal-Visitation der Schergen Hoederers an Hugo – nichts gegen ein bisschen Schockwirkung, aber diese Szene war inhaltlich schlicht deplatziert. Die Beziehung zwischen dem dogmatischen Louis, dem gemässigten (doch revolutionären) Hoederer und Hugo, dem Sekretär Hoederers und Jünger Louis‘, wird so verklärt und erst im siebten und letzten Bild verständlich gemacht. Das ist schade, denn diese Verknüpfungen vermitteln sehr viel von Sartres persönlichen politischen Problemen während des zweiten Weltkriegs und danach. Als vehementer Kritiker des Stalinismus von den Kommunisten geächtet, als Sozialist aber auch kein Freund der Bourgeoisie, verweigerte er einige Jahre lang Aufführungen des Stücks, mit Ausnahme von Ländern, in denen die Kommunisten den Stoff als nicht-Kommunismus-feindlich begrüssten. „Sartre gegen Sartre“ hiess das dazumal.
Sartre kritisiert auch nicht die Revolution, er kritisiert deren Umsetzung: die Dynamik der Partei, die den jugendlichen (Selbstmord-?)Attentäter missbraucht für einen sinnlosen Schachzug. Er kritisiert Dogmatik am Beispiel von Louis, der erst die bedingungslose Einhaltung der Linie fordert und schlussendlich mehr gelogen hat als Hoederer, welcher die Übernahme der Macht mit demokratischen Mitteln bevorzugt hätte.
Ähnlich einem Stéphane Hessel würde Sartre heutzutage gleichzeitig den religiösen Terror wie auch den imperialistischen (Drohnen-)Krieg an den Pranger stellen, so wie er es immer tat. Diesbezüglich hat sich die Welt nur minim verändert. Etwas andere Schauplätze, aber die Thematik bleibt.
Dies gelang dem Regisseur auch aufzuzeigen. Den Regierungssitz des fiktiven Illyriens nennt er Pentagon, und der Rest ist irgendwie die Welt. Überhaupt bleibt die Inszenierung nach dem Attentat durch Olga Ende des vierten Bildes packend und hochinteressant. Man erkennt den Autor im Stück wieder, und dafür: Chapeau an die fünf Schauspieler.
Stadttheater Schaffhausen, zweite Vorstellung heute abend 19.30 Uhr