Ressourcen statt Defizite

Heute abend ist der Film «Ein Stück Wahnsinn» zu sehen, morgen gibt Die Regierung wieder einmal ein Konzert: Im Turm der Fachhochschule St.Gallen fragt der Zyklus «Kontrast» nach Kunst von Behinderten. Und setzt auf Veränderung in den Köpfen.
Von  Peter Surber

Die Vernissage zur Ausstellung der blinden Malerin Pina Dolce machte Anfang Woche den Auftakt. Farbsprühende Bilder – sie sei ein «sehr visueller Mensch», sagte die Künstlerin im Gespräch zur Eröffnung, auch wenn sie mit 15 Jahren erblindet sei. Zweiter Programmpunkt war eine Lesung des Luzerner Autors Martin Hailer, der wegen einer Muskelkrankheit an den Rollstuhl gebunden ist, aus seinem Roman «Was guckst du so behindert?». Heute abend zeigt die Fachhochschule den Film «Ein Stück Wahnsinn» von Anna Thommen und Gabriela Betschart – das berührende Porträt von drei Menschen mit psychischer Beeinträchtigung. Morgen ist die legendäre Regierung aus dem Toggenburg (Bild oben) mit einem Konzert zu Gast, und den Abschluss macht das Stück «Nur mit mir allein zum Glück», das die Performerin Micha Stuhlmann mit Betreuten aus der Romanshorner Institution Betula entwickelt hat.

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Pina Dolce.

Der Zyklus fragt laut Programm danach, was vermeintlich «normal» ist. In dieser Frage steckt Brisanz, meint Initiant und FH-Dozent Stefan Ribler. Behinderung werde in der Gesellschaft immer noch weitherum als Defizit wahrgenommen. Und der behinderte Mensch damit auf seine Beeinträchtigung reduziert. Diese Sichtweise wolle der Zyklus auf den Kopf stellen: «Im Vordergrund steht der Mensch mit seinen Fähigkeiten und seiner künstlerischen Arbeit – Behinderung hin oder her.» Eine solche Haltung werde an der Fachhochschule für Soziale Arbeit natürlich gelehrt – aber sie auch im Alltag und in Begegnungen zu leben, sei alles andere als selbstverständlich.

Und darum macht man in der Ankündigung des Zyklus auch einen Umweg um das Wort «Behinderung». Statt dessen ist von «aussergewöhnlichen» Künstlerinnen und Künstlern die Rede. Übertriebene political correctness? Stefan Ribler kennt die Diskussion. Er hat im Grundsatz zwar nichts dagegen einzuwenden, wenn von «Behinderung» oder «Beeinträchtigung» gesprochen wird – entscheidend sei aber die Haltung: «Hier geht es um Menschen mit einem künstlerischen Werk, mit vielleicht anderen, aber nicht weniger starken Ressourcen. Ich will Behinderung nicht wegreden, aber den Schwerpunkt anders setzen.»

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Die Tasche zum Film «Ein Stück Wahnsinn».

Die bisherigen Publikumsreaktionen seien sehr ermutigend, sagt Ribler: «Da sind Türen aufgegangen.» Genau dies leistet auch der Film «Ein Stück Wahnsinn». Er war nicht nur für das «normale» Publikum eindrücklich, sondern auch befreiend für die Beteiligten: weil er mit dem Tabu brach, über psychische Krankheit rede man nicht.

Reden darüber und reden miteinander: Dazu bietet sich noch an drei Abenden an der Fachhochschule Gelegenheit. Und wenn es nach dem Willen von Stefan Ribler geht, soll es nicht bei der einmaligen Durchführung des Zyklus bleiben.

Film «Ein Stück Wahnsinn»: Do 6. November 20 Uhr

Konzert Die Regierung: Fr 7. November 20 Uhr

Theater «Nur mit mir allein zum Glück»: Sa 8. November 20 Uhr

Alle Veranstaltungen an der FHS St.Gallen, Rosenbergstrasse 59. Weitere Infos hier.