Reife Früchte sinnlich erfahrbar machen

Im Buch Fruits of Life setzt das Thurgauer Performance-Duo Schmalz/Gombas das Thema Altern im Tanz in Szene. Im Februar gibt es dazu einen Tanzzyklus in der ­Lokremise.

Gabriella Gombas: Stirb und Werde

Der Tanz ist ei­ne Kunst­form, bei der wohl wie in kaum ei­ner an­de­ren der Kör­per ex­po­niert ist. Un­ser Kör­per ist gleich­zei­tig In­di­ka­tor für den Al­te­rungs­pro­zess, den Ver­fall. Auch die Be­weg­lich­keit lässt im Al­ter nach oder ver­än­dert sich.

Re­nee Schmalz ist 67 Jah­re alt und tanzt und per­formt seit 55 Jah­ren. Auf der Su­che nach der Es­senz des Le­bens kam Schmalz ge­mein­sam mit Duo-Part­ne­rin Ga­bri­el­la Gom­bas die Idee für das im Herbst er­schie­ne­ne Buch Fruits of Life. «Es soll ei­ne an­de­re Sicht­wei­se auf das Tanz­ge­sche­hen wer­fen, wo sonst wie kaum wo­an­ders die Ju­gend ge­fei­ert wird», sagt Schmalz. Schmalz hat sich zeit­le­bens mit dem Non-Bi­nä­ren im Tanz be­schäf­tigt und sich glück­lich ge­schätzt, die Rei­fe des Al­ters er­lan­gen zu kön­nen.

Mit der Fra­ge, ob es an­de­re Tän­zer:in­nen gibt, die sich mit dem Al­tern be­schäf­ti­gen, stiess Schmalz auf 17 Tän­zer:in­nen und fünf Au­tor:in­nen aus der Schweiz, Deutsch­land, den Nie­der­lan­den und Ös­ter­reich, die im Buch-Band zu­sam­men­ge­führt sind. Sie al­le er­hiel­ten von den Her­aus­ge­ber:in­nen Schmalz und Gom­bas ei­ne Car­te blan­che, um sich dem Phä­no­men ganz in­di­vi­du­ell an­zu­nä­hern.

Die Klar­heit aus der Le­bens­er­fah­rung

Das Er­geb­nis ist ein bild­lich und sprach­lich poe­ti­sches Werk mit eben­so ex­pe­ri­men­tier­freu­di­gen wie be­rüh­ren­den, aber auch tanz­theo­re­ti­schen Bei­trä­gen, die sich auf un­ter­schied­lichs­te Wei­se mit dem al­tern­den Kör­per aus­ein­an­der­set­zen. Stirb und wer­de heisst das Ka­pi­tel von Ga­bri­el­la Gom­bas, die mit Fo­to­gra­fie und Stimm­land­schaf­ten ar­bei­tet. Sie ent­deckt im Al­ter die Fä­hig­keit, sich auf das We­sent­li­che kon­zen­trie­ren zu kön­nen: «Es sind die Früch­te des Le­bens, die wir pflü­cken kön­nen.» Sie ver­gleicht das Al­ter mit den Träu­men der Nacht, mit de­nen wir das Ta­ges­ge­sche­hen ent­schlüs­seln kön­nen. Licht be­din­ge Dun­kel­heit, und in der Dun­kel­heit der Nacht liegt ei­ne an­de­re Wahr­heit, lau­tet Gom­bas’ rei­fe Er­kennt­nis. Ih­re Fo­to­se­rie gleicht ei­nem To­ten­tanz in der Dis­co, mit Schwarz­licht und Glit­zer.

Mit ei­ner Fo­torei­he zum al­tern­den Kör­per ist un­ter an­de­rem auch das Schwei­zer Tanz­kol­lek­tiv Dance me to the end ver­tre­ten, wel­ches zu Tanz und Al­ter forscht. Wil­ma Ves­seur ist Tän­ze­rin und Per­fo­me­rin aus Tro­gen, die sich mit dem Nicht-Dau­er­haf­ten und der Li­mi­na­li­tät, dem Schwel­len­zu­stand, be­fasst. Mit der Fo­torei­he Fal­ten & Rim­pels bringt sie den ge­al­ter­ten Kör­per mit all sei­ne Fal­ten und Fle­cken zu­rück in die Na­tur. Fluss­stei­ne und ge­wun­de­ne Baum­wur­zeln be­kom­men et­was Or­ga­ni­sches, ei­ne em­bryo­ähn­li­che Farn­kn­op­se wird ei­ner ro­si­gen Brust­war­ze ge­gen­über­ge­stellt.

Auf­bre­chen über­hol­ter Kon­ven­tio­nen

Die Kon­stan­zer Au­torin Ve­ro­ni­ka Fi­scher schafft es in poe­ti­scher Pro­sa, Ge­füh­le auf­le­ben zu las­sen, die in uns auf­kom­men, wenn wir über uns als In­di­vi­du­um und uns na­he­ste­hen­den Men­schen in Kon­fron­ta­ti­on mit dem Tod nach­den­ken: «Lass UNS zu­sam­men alt wer­den, flüs­terst du, und ich fra­ge mich noch im­mer, was du da­mit mein­test … Die Ver­schmel­zung der Kör­per von Zeit zu Zeit, je­des Mal ein we­nig mehr.»

Jo­han­nes Lo­thar Schrö­der schreibt in sei­nem Es­say In ei­ne neue Zeit ge­tanzt über die Ta­bui­sie­rung und Ent­ta­bui­sie­rung von Le­bens­al­ter. Dar­in zeigt er auf, wie sich Pi­na Bausch und Kurt Joos für ei­nen selbst­be­stimm­ten Kör­per im post­mo­der­nen Tanz ein­setz­ten, der sich un­ab­hän­gig von Vor­ga­ben der In­sti­tu­tio­nen und Er­war­tun­gen des Pu­bli­kums ent­wi­ckelt.

Ob­wohl im Pro­jekt Fruits of Life al­le Künst­ler:in­nen ei­nen an­de­ren An­satz wäh­len, bil­den sie meist das Äl­ter­wer­den als ein Heim­kom­men ab, «was für je­den et­was an­de­res be­deu­ten kann», er­gänzt Ga­bri­el­la Gom­bas. «Ei­ne Sehn­sucht des In­di­vi­du­ums nach Ver­bun­den­heit», er­kennt Re­nee Schmalz in den In­sze­nie­run­gen, Fo­to­gra­fien und Tex­ten.

Das Künst­ler:in­nen-Duo Schmalz/Gom­bas lebt und ar­bei­tet in Tä­ger­wi­len und Gott­lie­ben im Thur­gau. Buch­ver­nis­sa­ge und ein ers­ter Tanz­zy­klus gin­gen be­reits im Herbst über die Büh­ne. Der Tanz­zy­klus 2 wird im Fe­bru­ar in der Lok­re­mi­se in St.Gal­len ge­zeigt. Tän­zer:in­nen, die das Buch mit­ge­stal­tet ha­ben, wer­den je drei Po­si­tio­nen pro Tag zum The­ma Al­ter tan­zen und noch ein­mal ei­ne an­de­re Per­spek­ti­ve auf das Buch er­öff­nen. In der Lok­re­mi­se ent­steht an den Pro­be­ta­gen zu­dem ei­ne Vi­deo­in­sze­nie­rung.

 

Schmalz/Gom­bas: Fruits of Life, edi­ti­on ABCDEF­GHI­JKLM­NOP­QR­STUV­WXYZ Do­mä­ne Wis­sen­schaft & Schö­ne Küns­te, Dies­sen­ho­fen 2024.

Tanz­zy­klus 2: 22. Fe­bru­ar, 19.30 Uhr, und 23. Fe­bru­ar, 13.30 Uhr, Lok­re­mi­se St.Gal­len.

schmalz-gom­bas.ch/fruits-of-life