Regime der Sichtbarkeit

Was tun mit einem Gesetz, das stört, weil es etwas verbieten will, das kaum jemanden stört, weil man es nie sieht? Eine Glosse zur Abstimmung über das «Burkagesetz» im Kanton St.Gallen.
Von  Rolf Bossart

Was man sieht, kann gewöhnlich mehr stören, als was man nicht sieht.

Eine Burka, obwohl eigentlich eher fürs Unsichtbare zuständig, sieht man bekanntlich sehr gut. Daher kann sie auch störend wirken.

Allerdings sieht man sie selten in St. Gallen. Daher stört sie hier eher weniger. Und es ist darum störend, dass einige sich so sehr daran stören, dass sie die Burka verboten haben wollen.

Nun ist ein Gesetz, das etwas verbietet, das man nicht sieht, aber auch wieder nicht so sehr störend, weil so ein Gesetz normalerweise ziemlich unsichtbar in der Schublade bleibt.

Daher ist es auch etwas seltsam, dass dieses Gesetz einige wiederum so fest stört, dass sie es unbedingt aus der Schublade des Vergessens, in die es ja gehört, zerren wollten, es in der Öffentlichkeit mit der höchsten Sichtbarkeitsstufe der Volksabstimmung versehen und Gefahr laufen, dass es dabei plötzlich noch um ganz andere Fragen gehen könnte, über die keine Stimmbürgerschar zu befinden hat.

Und jetzt haben wir den Salat: Die Burka stört, das Gesetz stört und es stört diese Abstimmung über etwas, das es nicht geben sollte, da es etwas verbietet, das man kaum sieht, und dafür, dass man es öfter sehen kann, sich aber auch wieder nur wenige erwärmen würden.

Doch weil ich als gewissenhafter Stimmbürger, wenn ich gefragt werde, Antwort gebe, sage ich Nein zu diesem Gesetz, vor allem deshalb, weil mich die unsichtbaren Motive hinter dem Gesetz doch mehr stören als die sichtbaren Argumente hinter dem Referendum. Auch wenn letztlich beide, die anti-islamischen Motive und die Anti-Diskriminierungs-Argumente, am Thema vorbeizielen. Aber das ist ja auch kein Wunder bei der mangelnden Sichtbarkeit.