, 20. November 2015
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Regale, Bühnen und Innensichten

Regale mit Leere, aber Tiefgang, und neue Raumerfahrungen im strengen Zumthor-Bau: Das bietet die Ausstellung des Österreichers Heimo Zobernig im Kunsthaus Bregenz. Nina Keel hat sie getestet.

Das Ablegen des Mantels im Untergeschoss geschieht zu Sätzen über Regale im Ohr, die der «Regalkünstler» Helge Schneider in einem Film sermonisch von sich gibt. Schmunzelnd verlasse ich die Garderobe Richtung erste Etage, wo es weitergeht mit Regalen, diesmal aber realen Regalen. Sie bilden den Auftakt der letzte Woche eröffneten Einzelausstellung von Heimo Zobernig im Kunsthaus Bregenz.

Puppen und Möbel und Menschen

In einem regelmässigen Raster aufgestellt, sind auf der ersten Etage des KUB gegenwärtig reihenweise leerer Regale zu sehen: Der Rundgang beginnt mit Billy-Regalen aus unbehandelten Spanplatten, geht über zu runden, verloren im Raum stehenden Barelementen, bis hin zu komplett dysfunktionalen, aus schwarzen und rohen Regalfragmenten zusammengesetzten Objekten, die rein skulptural sind. Dieses Ikea-ähnliche, doch wesentlich leblosere Setting wird durchsetzt von Werken mit Schaufensterpuppen. Sie sind teils gefängnisartig von Strukturen umgeben, teils durch Regalelemente segmentiert und stellen eine Art Verschmelzung zwischen Puppen und Möbeln dar.

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Doch weit gefehlt, wer denkt, das Ganze bleibe in der Puppenwelt: Über Spiegel, die an der Innenseite einiger Regale angebracht sind, schafft Zobernig Menschen-Möbel-Hybride, wenn auch temporäre. Auf das Involviert-Sein folgt schliesslich – abgesetzt von den fünf Reihen Möbeln und Objekten und unter Änderung der Blickrichtung – eine Zäsur in Gestalt einer weissen Leinwand auf Rollen.

Hinter dem Vorhang

Die ist aber nur von kurzer Dauer, denn kaum im zweiten Obergeschoss angelangt, wird der weitere Weg in den Ausstellungsraum durch eine herabhängende, schwarze Vorhangwand versperrt. Den Besuchenden stehen zwei Möglichkeiten offen: Dem frei gebliebenen Korridor ins Ungewisse zu folgen oder unter dem Vorhang hindurchzugehen. Ich entscheide mich für letzteres und bin sofort verwickelt ins Werk. Doch was ist hier überhaupt das Werk? Sollte es die Vorhangsinstallation sein – was wäre dann der Raum dahinter? Oder bin zuletzt ich Teil des Werkes in dem Bühnenspiel, das ich nun mit der Aufsicht führe?

Die Einzelausstellung von Heimo Zobernig wird ergänzt durch Werke im öffentlichen Raum von Bregenz und ist bis zum 10. Januar 2016 zu sehen; ebenso die Ausstellung von Amy Sillman in der KUB-Arena im Erdgeschoss.
kunsthaus-bregenz.at

In diesem Raum wird zudem deutlich, dass nicht nur die ungeduldige Ausstellungsbesucherin eine Grenze überschreitet, sondern auch Zobernig selbst, als er einen Teil der milchigen Glasplatten der Decke herausnehmen liess und so den Blick frei gibt auf die technischen Innereien des KUB. Damit gelingt es ihm aber auch, aufzuzeigen, wie in Kunstausstellungen Strategien des Aufladendens mit Bedeutung funktionieren, was u.a. über Lichtsituationen oder über das Nicht-Berühren-Dürfen von Kunstobjekten erreicht werden kann. Zobernig, der in den 70er Jahren an der Kunstakademie in Wien die Bühnenbildnerklasse besuchte und bekannt ist für seine architektonisch-künstlerischen Interventionen, schuf hier den stärksten Raum seiner Ausstellung.

Zumthor bekommt eins auf die Decke

Was dann ein Geschoss weiter oben folgt, ist eine Wiederholung von Teilen der Präsentation Zobernigs im österreichischen Pavillon an der diesjährigen Biennale resp. eine weniger gelungene Version davon. In Venedig purifizierte Zobernig den 1934 eröffneten österreichischen Pavillon mit einfachen, aber wirkungsmächtigen Eingriffen: Er liess die Decke durch das Einsetzen schwarzer Raumkörper tiefer legen und einen gleichfarbigen Boden einziehen. Eine ursprünglich angedachte, brachiale Bronzefigur liess er zugunsten der Leere weg.

Diese wird nun in Bregenz ausgestellt und bildet den figurativen Gegenpart zur dunklen Deckenkonstruktion. Auch in Bregenz hätte man die Figur besser weggelassen, denn durch ihre Präsenz kann sich die von der heruntergehängten Decke ausgehende Enge – eine komplett neue Erfahrung in den sonst überhöhenden Zumthor-Räumen – kaum einstellen, zu sehr lenkt sie davon ab.

Dennoch überzeugt die Ausstellung mit ihrem über weite Strecken äusserst durchdachten Aufbau, der mit einer eher konventionellen Objektpräsentation anfängt und sich hin zu einer Dekonstruktion ihrer Rahmenbedingungen entwickelt. Nicht zuletzt wird in Zobernigs Einzelpräsentation wieder einmal verdeutlicht, wie die gebaute Umgebung unsere Bewegungen, Wahrnehmung sowie auch unser Verhalten beeinflusst.

Bilder:  Nina Keel

 

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